Kirchheim. Manuela Rukavina legte gleich mal die Eckpunkte klar und rechnete vor: Im Stuttgarter Landtag sind weibliche Abgeordnete deutlich unterrepräsentiert. Der Frauenanteil im Parlament liegt gerade mal bei 20 Prozent, und das bedeutet Schlusslicht im Bundesvergleich. Auch wenn es Fortschritte bei der Kinderbetreuung gäbe, steckten viele Frauen immer noch im Rollenkorsett (der Hausfrau und Mutter), vor allem auf dem Land stelle sich immer noch die Frage „wohin mit den Kindern?“. Und gleiche Bezahlung für Männer und Frauen sei in manchen Branchen auch noch nicht umgesetzt.
Nun sollte im Spitalkeller den hiesigen Landtagskandidaten mal auf den Zahn gefühlt werden: Andreas Schwarz (Grüne), Andreas Kenner (SPD, Karl Zimmermann (CDU), Ulrich Kuhn (FDP) und Heinrich Brinker (Die Linke). Tatsächlich findet man im Wahlkreis Kirchheim keine einzige Kandidatin auf dem Stimmzettel.
Die Wahlprogramme gab’s zunächst im Schnelldurchlauf, dem Anlass entsprechend vor allem auf frauenpolitisch wichtige Themen verdichtet. Je drei Minuten gestand Moderatorin Ingrid Held den Herren am Podium zu. Danach ging’s ans Eingemachte. Ein zentrales Thema dabei war das Landeswahlrecht. Ein Blick auf die Kandidatenlisten lässt vermuten, dass der baden-württembergische Landtag auch nach der Wahl weit entfernt sein wird von einer gleichmäßigen Sitzverteilung von Männern und Frauen. In 14 von 70 Wahlkreisen kandidiert keine einzige Frau. Frauenverbände fordern daher seit Langem wie bei der Bundestagswahl ein Zwei-Stimmen-Wahlrecht, das heißt eine Stimme für eine Person, eine für eine Liste (auf der gleich viele Männer und Frauen stehen). Dafür wollte sich die grün-rote Landesregierung in den vergangenen fünf Jahren schon starkmachen, aber zu einer Gesetzesänderung kam es bislang nicht.
Andreas Schwarz erinnerte zunächst daran, dass seine Partei einige weibliche Kabinettsmitglieder hat. Über Kandidatenlisten ließe sich besser steuern, wer in den Landtag einzieht. Gleichzeitig müsse man aber über Direktmandate den näheren Bezug zum Wahlkreis sicherstellen. Nur ein Fünftel Frauen im Landtag, das „darf nicht sein“, gab Andreas Kenner den Frauenverbänden recht. Woran es bisher gehakt hat? „Wer ein neues Gesetz beschließt, weiß, dass er sich womöglich selber das Wasser abgräbt“, vermutete der SPD-Kandidat. CDU-Mann Karl Zimmermann brachte die vergebliche Suche nach Kandidatinnen ins Spiel, sodass ausgeglichene Listen an der Praxis scheitern. Auch die FDP im Kreis hätte gerne eine Frau nominiert und hat keine gefunden, bestätigte Ulrich Kuhn. An dieser Stelle erinnert Manuela Rukavina daran, dass andere Länder da offenbar keine Probleme hätten.
Am Arbeitsmarkt hat sich in den letzten Jahren die Beschäftigungsquote von Frauen auf 70 Prozent erhöht, da jedoch das Arbeitsvolumen gleich geblieben ist, kann das nur heißen, dass immer mehr Frauen in kleinen, oft nicht sozialversicherungspflichtigen Jobs arbeiten. Frauen werden darüber hinaus oftmals immer noch schlechter bezahlt als Männer. Ein Relikt aus früheren Zeiten, das der „Linke“ Heinrich Brinker komplett ablehnte und gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit bei Männern und Frauen forderte.
Im Öffentlichen Dienst sei das überholt, erinnerte Karl Zimmermann, da gäbe es keine Ungleichheit mehr, da säßen durchaus Frauen in den Chefsesseln. Das konnte Andreas Kenner nur bestätigen, gerade in der Kirchheimer Stadtverwaltung gäbe es genügend Beispiele, angefangen von der Oberbürgermeisterin über Amtsleiterinnen und leitende Angestellte. In der freien Wirtschaft werde dies nicht ohne gesetzliche Regelung funktionieren. Da es aber im Öffentlichen Dienst bereits ein „Chancengleichheitsgesetz“ gibt, plädierte Andreas Schwarz für eine genaue Auswertung, auf welchen Verwaltungsebenen paritätische Stellenbesetzungen bereits durchgeführt werden und wo noch nachgebessert werden muss.
Egal ob kostenlose Kinderbetreuung, gesicherte (und vor allem ausreichende) Altersvorsorge für Frauen, steuerliche Nachteile – alle fünf Landtagskandidaten waren sich einig, dass die Chancengleichheit in vielen Bereichen noch deutlich verbessert werden muss, bis die im Grundgesetz verankerte Gleichberechtigung von Männern und Frauen restlos erfüllt ist. Ein Grund zum Feiern wäre für die Vorsitzende des Landesfrauenrats, Manuela Rukavina, wenn bis 2021 (also am Ende der kommenden Legislaturperiode) wenigstens eine Änderung des Wahlverfahrens erreicht wäre.