Esslingen. Der 56-Jährige, der sich wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Kindern vor dem Landgericht verantworten musste, wurde nun freigesprochen. Der Verdacht, er habe sich zwischen September 2016 und August 2019 mehrfach an seiner Ende 2009 geborenen, leiblichen Tochter vergangen, habe sich nicht bestätigen lassen. Die Vorsitzende Richterin Sina Weber legte gleich zu Anfang ihrer Urteilsbegründung dar, dass die Beweisführung schwierig gewesen sei. Die Kammer sei auch nicht von der Unschuld des Angeklagten überzeugt, aber eben auch nicht von dessen Schuld. Der 56-Jährige hatte die Vorwürfe bestritten und alle Verdächtigungen von sich gewiesen. Daher, so die Vorsitzende Richterin, stehe seine Aussage gegen jene seiner Tochter. Doch, so führte die Richterin weiter aus, gebe es keine objektiven Beweise, die den Vorwurf eines sexuellen Missbrauchs an der heute Elfjährigen belegten. Auch eine vom Gericht abgelehnte gynäkologische Untersuchung der Tochter hätte diesen Beweis nicht erbringen können.
Motiv der Tochter unklar
Bei der Suche nach Motiven für die Angaben des Kindes tat sich das Gericht schwer. Der Angeklagte habe mit seiner zweiten Ehefrau und der gemeinsamen Tochter in einer letztendlich glücklichen und stabilen Beziehung gelebt. Nach beiderseitigem Einverständnis wurde in dieser Ehe zwar das klassische Rollenbild vom arbeitenden Mann und der für Kindererziehung und Haushalt zuständigen Frau gepflegt. Aber der Angeklagte habe sich auch dem Wunsch seiner Partnerin nach einem Fernstudium mit teilweisen Abwesenheiten und einer späteren Teilzeitbeschäftigung nicht verweigert.
Der gemeinsamen Tochter, so die Einschätzung der Vorsitzenden Richterin, habe klar sein müssen, dass sie mit ihrer Aussage ihre Familie zerstöre. Doch es könne sein, dass immer wieder aufflammende Auswanderungspläne des Ehemannes dazu beigetragen hätten. Die Richterin wies auch auf Widersprüche in den Angaben der Tochter hin. In der polizeilichen Vernehmung seien bestimmte Vorkommnisse noch als wahrscheinlich, in der richterlichen Befragung aber als sicher geschildert worden. Das lasse auf einen „Denkprozess“ schließen.
Der Angeklagte habe in seiner ausführlichen Aussage selbst eingeräumt, mit dem Mädchen Kampfspiele durchgeführt und in deren Verlauf die Tochter geküsst zu haben. Das könne durchaus zu Fehlinterpretationen des aufgeweckten, klugen Kindes geführt haben. Daher sei er freizusprechen, erklärte die Richterin: „Es gibt nicht immer nur Schwarz oder Weiß. Es gibt durchaus auch Grautöne.“ Simone Weiß