Tradition
Fruchtig, süß, rot und lecker

Seit vielen Jahren produziert Wolfgang Strölin den traditionellen Esslinger Himbeersirup. 80 Kilogramm Früchte werden diesmal gepresst.

Wolfgang Strölin rührt die zum Gären angesetzten Himbeeren gut durch. Foto: Gaby Weiß

Ein intensiver Duft nach Himbeeren liegt in der Luft: Im kleinen Museum, in der Werkstatt und in den Kellerräumen unter der ehemaligen Apotheke am Fischbrunnen in Esslingen wird in diesen Tagen Himbeersirup, eine traditionelle Esslinger Spezialität, hergestellt. Wie viel Zeit und Aufwand es benötigt, bis der süß-fruchtige Sirup in Apothekenqualität gekocht, in Flaschen abgefüllt und etikettiert ist, lässt sich abschätzen, wenn man Wolfgang Strölin, promovierter Apotheker im Ruhestand, bei dieser Arbeit beobachtet.

Jedes Jahr im Sommer, wenn die Beeren reif sind, wird der Esslinger Himbeersirup produziert. 80 Kilogramm Himbeeren waren es in diesem Jahr, bis zu 130 Kilogramm wurden in der Apotheke früher schon in einem Jahr verarbeitet. Die Früchte, deren Preis sich in den vergangenen vier Jahren verdoppelt hat, werden gefroren angeliefert. „So viele reife Himbeeren auf einen Schlag werden heute gar nicht mehr geerntet“, sagt Wolfgang Strölin, der die Spezialität seit vielen Jahren herstellt. Nach dem Auftauen gären die Früchte mehrere Tage in einem riesigen Bottich, die derzeit hohen Temperaturen beschleunigen den Prozess. Traubenzucker wird hinzugefügt, „um die Hefen zu füttern“. Mit einem langen Holzlöffel wird die Masse immer wieder durchgerührt, aufsteigender Schaum zeigt, dass der Gärprozess gut in Gang gekommen ist. „Je länger die Masse gärt, desto weniger Hefe ist enthalten. Das dauert unterschiedlich lang, je nach Reifezustand der Früchte, je nachdem, wie viel Pektin sie enthalten“, erklärt Strölin. Zwischendurch macht er die Gelierprobe, filtert den puren Saft und vermischt ihn im Reagenzglas mit derselben Menge Alkohol: Bleibt die Flüssigkeit klar und flüssig, ist die Hefe draußen, dann kann die Sirup-Produktion weitergehen.

In den kühleren Kellerräumen wird die Himbeermasse erst durch einen großen aufgehängten Sack abgegossen und anschließend nach und nach durch eine Handpresse getrieben. Übrig bleiben klarer Saft und kleine Presskuchen aus Fruchtfleisch und Samenkernresten, die kompostiert werden. Jetzt wird der so gefilterte Saft durch große Spezial-Hochleistungspapierfilter gegossen, zweimal am Tag müssen die Filter gewechselt werden, das Filtrieren dauert etwa vier Tage. Im Keller und in der Werkstatt unter der früheren Apotheke wird inzwischen alles mit Planen abgehängt und abgedeckt, bevor der Sirup gekocht und abgefüllt wird. Steindruckermeister Hans Ulrich und das Apotheker-Ehepaar Susanne und Wolfgang Strölin sind seit Jahren ein eingespieltes Team, bei dem jeder Handgriff sitzt.

Wolfgang Strölin führt akribisch Buch über den Herstellungsprozess. Der kolossale Kochtopf fasst sechs Liter Saft und 11,4 Kilo Zucker, der aus 25-Kilo-Säcken exakt abgewogen wird. Über einem großen Gaskocher wird das Saft-Zucker-Gemisch unter regelmäßigem Rühren erhitzt, bis es sprudelnd kocht. Ein Schild warnt: „17,4 Kilogramm Sirup kochen bei 110 Grad Celsius.“ Vorsicht ist angesagt: Wenn sich der Flüssigkeitspegel hebt, muss der Topf rechtzeitig vom Gas herunter gewuchtet werden, bevor der Sirup überkocht. „Eventuelle Spritzer sind glühend heiß, deshalb muss man lange Ärmel und feste Schuhe tragen“, mahnt Wolfgang Strölin. Etwa ein Dutzend Mal wird der große Topf in diesem Jahr befüllt, 16 bis 18 Minuten dauert der einzelne Kochvorgang, dann wird der Sirup noch einmal durch ein feines Tuch passiert, um letzte Rückstände und den beim Kochen entstandenen Schaum abzuseihen.

80 Kilo Himbeeren ergeben in diesem Jahr etwa 400 kleine Flaschen

Nun wird der geklärte Himbeersirup noch heiß von ruhiger Hand mit einem Trichter in die frisch gespülten bereitstehenden kleinen und großen Glasflaschen abgefüllt. 80 Kilo Himbeeren ergeben in diesem Jahr etwa 400 kleine Flaschen, schätzt Strölin. Befüllt wird bis an die Oberkante der Glasflasche. „Denn sobald der Sirup abkühlt, sinkt der Pegel, das ist Physik“, erklärt Hans Ulrich. Die Flaschen werden mit Deckeln verschlossen, abgewischt, damit nichts klebt, und nach dem Abkühlen mit den charakteristischen grün-roten Etiketten versehen. „Es muss nichts sterilisiert werden, der Zuckergehalt konserviert den Sirup, der hält zehn Jahre“, sagt Wolfgang Strölin.

Zum Abschluss werden die Räume und Kochutensilien gründlich geputzt: „Zum Lösen von Himbeerflecken sollte man immer Wasser mit Säure, am besten Essig oder Zitronensaft, verwenden, dann löst sich die Farbe heraus“, weiß Strölin aus Erfahrung. Der beim letzten Filter-Durchgang abgeschöpfte Schaum ist übrigens eine Delikatesse: „Den Schaum kriegt nur, wer beim Kochen mithilft. Hans Ulrich mag ihn mit griechischem Joghurt, und mit Quark und Schlagsahne verrührt und gefroren ergibt der Schaum ein Himbeereis mit unglaublich intensivem Geschmack“, freut sich Strölin auf das Dessert.

 

Vom „Sirupus Rubi Idaei“ zum Esslinger Himbeersirup

Historie: Schon im ersten Deutschen Arzneibuch aus dem Jahr 1872 ist das Rezept für „Sirupus Rubi Idaei“, den „Himbeersyrup“, verzeichnet. Hergestellt wurde er von Apotheken, die ihn anfangs zur Geschmackskorrektur einsetzten: „Denken Sie an Codein-Sirup gegen trockenen Reizhusten. Der schmeckt so gallenbitter, den nimmt ein Kind nur einmal ein und dann nie wieder. Wenn man ihn aber mit dem süßen, nach Himbeeren schmeckenden Sirup vermischt, dann geht das“, erzählt Wolfgang Strölin.

Rezepte: Klassisch wird der Esslinger Himbeersirup mit Mineralwasser verdünnt und dann als erfrischender Sommerdrink serviert. Auch in der Berliner Weiße mit Schuss ist er beliebt. Oder man kann ihn mit Sekt, Prosecco oder Wein als fruchtigen Cocktail genießen. Große und kleine Süßschnäbel geben zwei Esslöffel des roten Sirups als Topping über Vanillepudding oder Eiscreme oder verzieren Torten damit. Köche schätzen den kräftig-süßen Geschmack des Himbeersirups zur Abrundung von Salat- oder Bratensoßen.

Verkauf: Als Ende 2018 die Apotheke am Fischbrunnen geschlossen wurde, suchte Familie Strölin lange nach einem Vertrieb für die Esslinger Spezialität. Mit Hans Ulrich und dem Fünfeck am Blarerplatz fanden sich Geschäftspartner: „Der Himbeersirup hat jede Menge Fans, manche kommen extra von weither, um ihn zu kaufen.“ Erhältlich ist der Esslinger Himbeersirup in der Stadtinformation am Marktplatz und im Fünfeck (Franziskanergasse 5). Dort kostet die 0,7-Liter-Flasche 13,50 Euro, die 0,35-Liter-Flasche 9 Euro. gw