Kirchheim. Wenn ein Segelflieger ständig fliegen will, muss er wie ein Zugvogel der Sonne folgen: In Frankreich fängt die Saison früh an, danach hebt der Süden Deutschlands ab, schließlich starten die Flieger auch im Osten. In der Fliegerstadt Kirchheim lockt das Wetter jetzt auf den Flugplatz, im April hat die Saison angefangen. „Ich kenne keine andere deutsche Stadt, die ein Segelflugzeug inmitten ihrer Sehenswürdigkeiten auf Busse drucken lässt“, sagt Silvan Meckelnburg. Das „g“ von „zeug“ lässt er dabei verdächtig nach „ch“ klingen, irgendwie anders eben. Er ist Hamburger. In Kirchheim ist er nicht nur auf der Suche nach dem richtigen Wetter: Er ist gekommen, um zu bleiben: Um hier zu fliegen und sich zum Flugzeugbauer ausbilden zu lassen.
Eigentlich ist es kein großer Zufall, dass das Nordlicht ausgerechnet an der Teck gelandet ist. Kirchheim schmückt sich nicht umsonst mit dem Titel „Fliegerstadt“. „Die Segelflugtradition hier in der Region ist schon besonders“, sagt der Hanseat. Seine drei Azubi-Kollegen stimmen nickend zu. Und Christian Selzer, einer von ihnen, ergänzt: „Hier ging es richtig früh los.“ Schon vor dem Zweiten Weltkrieg gab es in Kirchheim Tendenzen zum Segelflug. Seit 1938 sitzt der Segelflugzeugbauer Schempp-Hirth in Kirchheim – einer der größten in der Branche.
Der Ruf der Firma reicht weit – nicht nur bis in die Hansestadt. Schempp-Hirth ist tatsächlich einer der wenigen Standorte, an dem sich junge Menschen in Deutschland zum Leichtflugzeugbauer ausbilden lassen können. Und der beste – so lautet zumindest Silvan Meckelnburgs Überzeugung. Auch seine Kollegen haben für den Ausbildungsplatz weite Wege auf sich genommen. Christian Selzer, David Renton und Jonathan Stampa kommen aus Wuppertal, Usingen bei Frankfurt und dem niedersächsischen Walsrode.
Die erste Erfahrung, die sie später nach Kirchheim lotsen sollte, machten alle vier früh: Als sie mit 14 das erste Mal alleine ein Segelflugzeug steuern durften, ist es um sie geschehen. „Das ist halt fliegen, das ist geil“, schwärmt Jonathan Stampa. Es sei eine Faszination, die absolute Freiheit, ein Glücksgefühl sondergleichen. Alle anderen Versuche, das Gefühl beim Fliegen in Worte zu fassen, scheitern. Man müsse es einfach selbst erlebt haben, sonst könne man es nicht verstehen.
Dieses komische Gefühl, das sich so schwer in Worte fassen lässt, hat später ganze Arbeit geleistet. Die vier 14-Jährigen hat es immerhin dazu bewegt, nach einigen Jahren nicht nur ihre Freizeit auf dem Flugplatz, sondern auch ihren Arbeitstag in der Flugzeugwerkstatt zu verbringen. In zweieinhalb Jahren sind sie gelernte Leichtflugzeugbauer – ein eher exotischer Beruf. Die Ausbildung öffnet trotzdem nicht nur die eine Tür: „Wir könnten danach auch in der Formel 1 anfangen oder Windräder bauen“, sagt der 19-jährige Christian Selzer aus Wuppertal. Innerhalb von drei Jahren durchlaufen sie jede Station bei Schempp-Hirth, die es bedarf, um am Schluss ein ganzes Segelflugzeug zu bauen: Von der Nase bis zum Rumpf. Die Azubis bauen mit. Vor der Verantwortung scheuen die Azubis nicht, zumal jeder Handgriff, den sie machen, nochmals überprüft wird. Hauptsache ist, sie können endlich mit anpacken. Für den 18-jährigen David Renton wäre es der größte Albtraum gewesen, nach der Schulzeit noch jahrelang in der Uni weiterzubüffeln. „Ich wollte schon immer handwerklich arbeiten“, sagt er.
Der Hamburger Silvan Meckelnburg fühlt sich inzwischen im Schwabenland angekommen. Besonders die vielen Berge haben es ihm angetan. Außerdem sei nicht nur der Ausbildungs-, sondern auch der Flugstandort Kirchheim gut. „Von hier aus kann man gut 1 000 Kilometer fliegen“, sagt er. Die Wetterlage lasse zehn Stunden Flugvergnügen zu, der Luftraum sei relativ frei, auf lange Strecken habe man hier nicht mit großen Flughäfen zu kämpfen. Auch das ist nicht selbstverständlich.