Die Fronten bleiben hart vor der Entscheidung über eine Änderung der Flugroute in Richtung Süden, die am Montag, 4. Juli, in der Fluglärmkommission fallen soll. Das ist eine Empfehlung, entscheiden wird das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung. Im Vorfeld haben die Gemeinderäte in Aichtal einstimmig beschlossen, dass sie beim Verwaltungsgerichtshof gegen die neue Route klagen werden, sollte sich eine Mehrheit dafür finden. Dagegen hoffen die Bürgermeister im Neckartal auf die Solidarität anderer Kommunen.
Scharfe Kritik am Verfahren
Die neue Route, über die im Probebetrieb zunächst ein bis zwei Flüge pro Stunde geführt werden sollen, würde die lärmgeplagten Menschen in Deizisau, Altbach und Plochingen zumindest etwas entlasten. Denkendorf, Neuhausen, Wolfschlugen und Nürtingen würden mehr belastet. „Wir wollten mit dem Beschluss zur Klage ein Zeichen setzen“, begründete Aichtals Bürgermeister Sebastian Kurz den Schritt. Er kritisierte „das intransparente Verfahren ohne Bürgerbeteiligung“. Die Stadt Aichtal habe aus der Zeitung von den Plänen erfahren. Es müssten auch die Kommunen am Verfahren beteiligt werden, die bisher nicht vom Fluglärm betroffen waren. Auch jetzt schon häuften sich bei ihm Klagen von Anwohnern über Fluglärm – das unabhängige Gutachten des Ingenieurbüros Accon habe gezeigt, dass bei voller Auslastung der Strecke in den Aichtaler Stadtteilen bis zu 600 Menschen hochbelastet würden: „Wenn nicht jetzt gehandelt wird, steht der Region ein jahrelanger politischer Konflikt ins Haus.“
Mit einem offenen Brief haben neben Kurz Nürtingens OB Johannes Fridrich und die Bürgermeister von Neuhausen, Denkendorf und Wolfschlugen deutlich gemacht, dass sie bereit wären, den Rechtsweg zu beschreiten. Der geplante Probebetrieb mit zwei Flugzeugen pro Stunde kann nach Kurz’ Worten kein Kompromiss sein, da es dafür keine Rechtsverordnung gebe.
Neckartal hofft auf Entlastung
„Jede einzelne Entlastung vom Fluglärm würde für die Menschen bei uns sehr viel helfen“, sagt Deizisaus Bürgermeister Thomas Matrohs. Mit seinen Kollegen Frank Buß aus Plochingen und Martin Funk aus Altbach hofft der Freizeitpilot inständig, dass die Fluglärmkommission die neue Strecke empfiehlt. „Da über die neue Route nur relativ wenige Flüge geführt werden können, bleibt eine große Last bei uns im Neckartal.“
Die drei Kommunalpolitiker sehen auch die Belastung der Menschen gerade in Denkendorf und in Neuhausen. „Es geht uns darum, den Lärm etwas gerechter zu verteilen“, sagt Altbachs Bürgermeister Martin Funk. Bei ihm klagten die Menschen schon lange über laute Flieger. Auch die Anwohner der Bahnstrecke sind dort und in Plochingen schwer belastet. Da die Fluglärmwerte in Deizisau und in Altbach jeweils die Grenze von 55 Dezibel bei Tag und 50 Dezibel nachts überschritten, wurden beide Kommunen im Februar dieses Jahres als feste Mitglieder in die Fluglärmkommission berufen. „Dafür haben wir uns lange eingesetzt, denn viele Menschen in unserem Verwaltungsverband sind stark vom Fluglärm betroffen“, sagt Frank Buß. „Ihre Stimme muss in der Kommission gehört werden.“ Dem Antrag von Nürtingen wurde nicht stattgegeben, da dort die Werte unter der vom Verkehrsministerium Baden-Württemberg festgelegten Grenze liegen.
Köngens Bürgermeister Otto Ruppaner hatte sich zunächst klar gegen die Route positioniert. Das unabhängige Lärmgutachten habe ihm gezeigt, dass die Verschiebungen für seine Gemeinde minimal seien: „Wir sehen keinen Handlungsbedarf, würden einen Probebetrieb aber aufmerksam verfolgen.“ Ruppaner kritisiert „die unglückliche Kommunikation“ des Verfahrens. „Das hat die kommunalpolitische Familie gespalten.“
Mehr als 10 000 Unterschriften hat die Initiative „Vereint gegen Fluglärm“ gegen die neue Route gesammelt. „Wir haben einen Brief an alle Mitglieder der Fluglärmkommission geschrieben“, sagt deren Sprecher Rolf Keck-Michaeli. „Durch die neue Flugroute wurde im Accon-Gutachten keine merkliche Lärmentlastung für bisher betroffene Menschen ermittelt, es würde aber laut dem Zusatzgutachten im Auftrag der betroffenen Kommunen durch Einzelschallereignisse zu einer signifikanten Mehrbelastung in bisher nicht belasteten Wohngebieten kommen.“ Deshalb ergebe es keinen Sinn, die Route weiterzuverfolgen. Das sieht auch Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder so, der in der Kommission sitzt: „Für das Klima muss vor allem deutlich weniger geflogen werden.“ Es bringe nichts, sich „für eine fragwürdige Flugroute zu verkämpfen“.
Fakten zur Entscheidung der Fluglärmkommission
Flugverfahren werden per Rechtsverordnung durch das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) festgelegt. Die Planung erfolgt durch die Deutsche Flugsicherung (DFS). Die Fluglärmkommission für den Flughafen Stuttgart gibt nur eine Empfehlung ab.
Mit Altbach und Deizisau ist die Fluglärmkommission im Februar auf 17 Mitglieder gewachsen. Auch der Flughafen und die Industrie- und Handelskammer haben einen Sitz in der Kommission. Sie stimmen am Montag, 4. Juli, über die Empfehlung zur neuen Flugroute ab.
Weitere Mitglieder sind Filderstadt, Leinfelden-Echterdingen, Esslingen, Ostfildern, Stuttgart, Denkendorf, Steinenbronn, Neuhausen, Schönaich, die Bundesvereinigung gegen Fluglärm, die US-Streitkräfte und das Ministerium für Verkehr in Baden-Württemberg.
Die Behörden sind zwar nicht an die Entscheidung der Kommission gebunden. Doch weichen sie vom Beratungsergebnis der Fluglärmkommission ab, weil sie die vorgeschlagenen Maßnahmen für nicht geeignet oder nicht durchführbar halten, müssen sie das begründen. eli