Kirchheim. Montags eine Website bauen, dienstags einen Taschenrechner programmieren, mittwochs einer Platine Leben einhauchen, donnerstags Spiele programmieren, freitags eine Präsentation vor gesammelter Mannschaft halten. Das ist nicht etwa der Wochenplan eines Computer-Cracks, höchstens eines angehenden. Das ist das, was auf jeden Neuntklässler zukommt, der für eine Woche bei „Creative Software“ ins Berufsleben eines Software Entwicklers reinschnuppern will.
Chef Dittmar Barner hat sich einiges gedacht, als er den Plan ausgetüftelt hat. Gute Zeugnisse waren gestern das A und O einer erfolgreichen Bewerbung. Heute ist es der Praxistest. Den einzigen Auszubildenden bei Creative Software hat Barner über ein Praktikum rekrutiert. „Die schulischen Leistungen sind nicht entscheidend“, sagt der Chef. Über eine Vier in Deutsch könne man hinwegsehen, solange der Eindruck bei der Arbeit stimmt. Damit ist Barner nicht alleine. Die Realität sieht trotzdem oft anders aus.
Das gängige Vorurteil zeichnet Praktikanten als kaffeekochende Mädchen für alles, als rumsitzende Nichtsnutze oder billige Arbeitskräfte. Karlheinz Beck von der Göppinger Arbeitsagentur mahnt Betriebe, die Sache nicht so locker anzugehen. Praktika sollten nicht auf die leichte Schippe genommen werden. Im Gegenteil: Für Firmen sind sie die optimale Gelegenheit für Werbung in eigener Sache. Statistiken geben ihm recht, Eigenwerbung haben einige von ihnen dringend nötig. „Ende Januar waren bei uns für den Raum Kirchheim 200 Ausbildungsstellen mehr gemeldet als Menschen, die eine Ausbildung starten wollen“, erklärt Beck. De facto hat sich der Ausbildungsmarkt seit einigen Jahren gedreht: Zum Ausbildungsstart 2016 wird es mehr Betriebe geben, die leer ausgehen, als Bewerber. Letztere hingegen haben oft die Qual der Wahl.
Die größte Konkurrenz für die Arbeitgeber kommt dabei gar nicht unbedingt aus der Konkurrenz, sondern von den Hochschulen. Die Generation Y, Kinder der Achtziger- und Neunzigerjahre, zieht es vor allem an die Universitäten im Land. Wer kann, macht sein Abitur und geht studieren. Die Industrie hält sich mit ihrer Bewerberanzahl gerade so über Wasser, der große Verlierer ist das Handwerk. Dabei kann gerade das so schön sein, besonders als Florist – findet der Inhaber von Blumen und Gärten Gerber in Kirchheim: „Das ist der tollste Beruf der Welt“, ist er überzeugt. Und dann sagt David Gerber unfreiwillig einen Satz über Praktikanten, der das ganze Problem vor Augen führt. „Wir sind schon begeistert, wenn jemand von unserem Job begeistert ist.“ Die Liebe auf den ersten Blick kommt im Blumenhandel nur nicht so häufig vor. Die Firma muss aktiv nach Auszubildenden suchen und für den Beruf werben. „Wie schön der Job ist, verstehen nur Menschen, die ihn erlebt haben“, erklärt er. Bei seiner heutigen Auszubildenden Falila Moumouni hat die Liebe auf den zweiten Blick geklappt. „Ich wurde beim Praktikum sofort mit einbezogen“, erzählt sie. Als sie sich am Ende noch einen eigenen Strauß als Souvenir binden durfte, war es vollends um sie geschehen. Ein Positivbeispiel.
Auf lange Sicht sollen Praktika laut Karlheinz Beck von der Agentur für Arbeit so helfen, den Fachkräftemangel in Deutschland zu bekämpfen. Sie sollen der Einstieg in den Beruf sein, eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Und wenn es einfach nicht funkt? Auch das könne für den Praktikant ein Erkenntnisgewinn im Arbeitsdschungel sein – solange es am Job liegt, nicht an einem vermasselten Praktikum. Dass das kein Beinbruch ist, kann auch Gerhard Angelmaier von Ramsperger Automobile bestätigen: „Die haben noch viel Zeit, etwas anderes zu finden. Die Weichen sind deswegen noch längst nicht gestellt.“