Herr Gallus, wie geht es Ihnen?
Georg Gallus: Mittlerweile ganz gut, ich komme ohne körperliche Schmerzen durch den Tag und seit kurzem ist auch die ärztliche Behandlung abgeschlossen.
Sie haben vier Schusswunden, wie kann man sich diese Art der Verletzung vorstellen?
Gallus: Das Problem ist ganz einfach: Eine Schusswunde hat eine ganz andere Qualität als zum Beispiel eine Schnittwunde, da spielt die Temperatur eine große Rolle. Die Kugel ist richtig heiß, man muss sich das so vorstellen: Die Zellen um den Schusskanal und drumrum verbrennen. Die Heilung von innen raus dauert und ist eine Frage der Zeit – doch mein Heilungsprozess verlief etwas langsam, aber gut.
Schmerzfrei zu sein ist das eine, aber wie geht man damit um? Vor allem, können Sie nachts überhaupt noch schlafen?
Also, konkret sage ich dazu gar nichts – ich sag aber eines: Seit ich aus der Klinik entlassen wurde, halte ich mich an verschiedenen Aufenthaltsorten auf und ich fühle mich da sicher. Und die Sicherheit ist das A und O, deswegen kann ich gut schlafen – aber: Es ist eine andere Schlafqualität als zuvor, das ist wohl der Psyche geschuldet.
Sie haben vier Kinder, vier Geschwister, können Sie mit Ihrer Familie Kontakt halten?
Grundsätzlich halte ich es so und komme damit wunderbar zurecht. Ich habe natürlich Kontakt, aber nicht so intensiv, wie man es sich vielleicht vorstellt. Die Kontakte sind minimiert. Letztlich ist alles dem Thema Sicherheit untergeordnet – mindestens solange, bis der Täter gefunden ist.
Inwiefern hat sich Ihr Leben verändert?
Das Thema ist immer, dass ich mich von meinen Lebensgewohnheiten, die ich mir in den letzten 40, 50 Jahren angeeignet habe, ein gehöriges Stück weit verabschieden muss, um meine eigene Sicherheit zu gewährleisten.
Man sieht Sie ja meistens nur alleine...
Ich war von jung an das Single-Leben gewohnt und seit meiner Scheidung vor 17 Jahren bin ich es wieder. Ich komme mit mir alleine ganz gut zurecht und habe nicht vor, dies in meinem letzten Lebensabschnitt zu ändern. Dem Oberarzt hatte ich vor der Operation auf seine Frage, ob er bei mir endoskopisch-chirurgisch arbeiten solle, geantwortet: bei mir kommt‘s auf Schönheit nicht mehr an, Funktionalität ist mir wichtiger. Insofern habe ich ihm gleich von mir aus angeboten, er kann bei mir den Bauch aufschneiden. Weil ich es mir rein anatomisch biologisch schon vorstellen konnte, was Schusswunden anrichten können.
Woher haben Sie dieses Wissen?
Ich habe Freunde, die als Jäger unterwegs sind und von daher beim Zerlegen des Wildes schon zugesehen. Wieviel Muskelfleisch da weggeschnitten werden muss, das durch die streuende Energie der Kugel kaputt ist, ist enorm. Letztendlich ist es beim Tier genauso wie beim Menschen – Muskel ist Muskel. Als Bauer habe ich mein ganzes Leben lang auch viel mit Tieren gearbeitet, da hat man öfters mit Verletzungen und Tierärzten zu tun. Da war es für mich ziemlich klar – und ich war vor der OP klar bei Verstand – was passieren muss und was man machen kann. Die Funktionsfähigkeit meines Körpers wieder herstellen – nur darum ging es.
Sie haben vor der Not-OP mit dem Arzt gesprochen, Sie waren nach dem Attentat also bei Bewusstsein und geistig voll da?
So ist es. Mal intensiver, mal weniger intensiv, aber ich habe alles mitbekommen.
Man sieht zu Hause seinen geschockten Sohn, Notärzte, Sanitäter und die Polizei – was ging Ihnen durch den Kopf?
Also, ich muss jetzt eines sagen, ich hatte tausend Schutzengel. Mein Glück war, dass ich gedanklich sofort den Ernst der Lage – beim ersten Schuss – erkannt habe. Bin dann dank meiner körperlichen Fitness sofort vom Sofa runter und habe mich hinterm Tisch versteckt. Diese Schnelligkeit und diese geistige Frische haben mir das Leben gerettet. Liegt man auf dem Sofa, geht man normalerweise erst mit dem Oberkörper hoch und steht dann auf– so auch ich. Doch hätte ich es so gemacht, wäre ich jetzt tot. Damit hätte ich dem Täter eine große Angriffsfläche – den Oberkörper – präsentiert.
Das klingt so, als hätten Sie keine Schmerzen gehabt?
Am Anfang hast du so viel Adrenalin, da spürst du keine Schmerzen. Man merkt aber, dass am Bein und Bauch etwas ist. Später, im Krankenhaus nach der Not-OP und Intensivstation, lag ich einige Tage mehr oder weniger flach. Hatte ich starke Schmerzen, haben sie die Pulle am Halsschlagader-Katheder wieder aufgedreht – das wirkt dann ganz schnell. Ich muss deutlich sagen: die Fachärzteschaft unter der medizinischen Leitung von Professor Dr. Riedl hat mich hervorragend betreut. Für mich richtig anstrengend waren die parallel zur ärztlichen Behandlung laufenden polizeilichen Befragungen, aber das musste natürlich sein.
Wie konnten Sie der Polizei helfen?
Die ersten Tage auf der Intensivstation konnte ich gar nicht schlafen, da ging mir nur eines durch den Kopf: wie intensiv breite ich den polizeilichen Ermittlern mein Leben aus? Es ging und geht immer nur um die eine Frage: Was kann ich in meinem gesundheitlichen Zustand beitragen, dass der Täter möglichst schnell gefunden wird? Das Einzige, was ich konnte war, alles offenzulegen – ich habe da wirklich vor fremden Leuten mein ganzes Leben ausgebreitet. Das Interessante dabei ist, was man noch alles so weiß. Ich bin ja ein recht physisch lebender Mensch, habe sehr viele Erinnerungen an Geschehnisse, Begebenheiten oder Orte, die ich in meinem Leben besucht habe. Mein Leben war abwechslungsreich, spannend, vielfältig, nie eindimensional. Es ist unglaublich, welch großartiges Archiv unser Gehirn ist. Die Polizei tut alles – ich habe da ein gutes Gefühl – dass sie den Täter finden.
Sie waren wochenlang allein im Zimmer, durften keinen vertrauten Besuch empfangen, was sehr an die Coronazeiten erinnert. Wie erging es Ihnen als Patient?
Ich bin überzeugt davon, dass die medizinische Gesundung ganz viel auch mit der mentalen, persönlichen und pflegerischen Situation zu tun hat – und das war alles hervorragend. Die Pflegerinnen und Pfleger haben sich Zeit genommen. Es war zwar für mich eine schlimme Situation, aber ich habe mich wohlgefühlt und wusste immer, die helfen mir. Dies zu wissen hat sicherlich meinen Heilungsprozess positiv unterstützt. Immer ein bisschen belastend war der Polizeischutz, das ist nichts Angenehmes, nahm mir aber viel Angst. Alles wurde kontrolliert. Wer hat die Legitimation mit mir zu sprechen? Telefonate gab es nur in begrenztem Umfang, anfangs durfte ich gar keinen Besuch bekommen. Da ging es ausschließlich um Sicherheitsfragen. Ich hatte dafür vollstes Verständnis. Ich bin überzeugt, die Polizeiarbeit ist hervorragend. Die wissen schon, was sie tun und daran hält man sich auch in aller Regel. Da ich ein Stück weit ein Einzelkämpfer bin, kam ich mit dem Alleinsein relativ gut klar, musste aber tatsächlich viel an die Coronazeit denken. Denn in dieser Zeit wurde mir bewusst, wie sich die Bewohner in den Pflegeheimen gefühlt haben müssen, als sie von ihren Angehörigen nicht besucht werden durften.
An was hält man sich fest, gab es irgendeinen Lichtblick?
Tatsächlich war das der erste Blumenstrauß überhaupt in meinem Leben, und der kam von meiner Familie. Und da ist mir bewusst geworden, was Blumen mit einem anstellen können – auch auf der psychischen, mentalen Ebene. Wenn du nur ein weißes Zimmer hast, mit einem einzigen halbschrägen Bild, sonst nix, null, dann siehst du nur noch den Blumenstrauß, dann bist du happy. Meinen zweiten Blumenstrauß hat mir Landrat Wolff geschickt. Bei meiner Entlassung sagte ich zu allen Klinik-Frauen, schenkt euren Männern einmal einen Blumenstrauß und seht, wie gut es ihnen tut.
Denken Sie jetzt mehr an die Zukunft?
Ich hadere nicht mit meinem Schicksal, das ist jetzt passiert. Ich schau da in die Zukunft, was mich leben lässt. Ich habe im April das Rentenalter erreicht, und mein Sohn macht jetzt den Hof, in Bälde wird er ihn übernehmen. Ich werde dann sein Berater sein. Natürlich gibt es zwischendurch Stunden, wo du nicht so gut drauf bist. Aber auch emotionale Geschichten, wenn Leute, Bürger, die ich kenne, auf mich zukommen und fragen, Mensch Georg, darf ich dich in den Arm nehmen und mir dann heulend im Arm liegen – das sind schon ganz berührende Momente. Ja, mein Leben hat sich geändert – es wird stark vom Thema Sicherheit bestimmt.
Sie sind in einer christlichen Familie aufgewachsen, hat sich der Glaube seit dem Geschehnis bei Ihnen geändert?
Ich bin liberaler Christ, Mitglied der evangelischen Kirche. Meine Großeltern waren Pietisten. Meine Großmutter bei der Hahn‘schen Gemeinde. Es ist in meiner Situation eine starke Kraft, den Glauben an Jesus Christus zu haben. Ich weiß, viele Bürger haben mich in ihr Gebet eingeschlossen, weil auch sie nicht verstehen können, dass es so etwas in unserer Gesellschaft gibt. Diesen Rückhalt habe ich immer gespürt. Da bin ich sehr dankbar. Zeit meines Lebens war ich immer viel in Kirchen, auf Friedhöfen und Kriegsgräberstätten. Ich gehe da gerne hin, aus freien Stücken. Es gibt mir Sicherheit, Geborgenheit und Friedfertigkeit. Am Emotionalsten war es für mich, als ich nach dem Krankenhausaufenthalt das Grab meiner Eltern besuchen konnte. Meinen Vater hatte ich eigenhändig zur Solotrompete „Ich hatte einen Kameraden“ erst vor knapp zwei Jahren zur ewigen Ruhe niedergelassen. Dieser Besuch war mir wichtig, Werte sind mir wichtig. Ich hatte wirklich gedacht – durch Pandemie und Ukrainekrieg – ändert sich die Gesellschaft wenigstens in Nuancen, dass ich wenigstens erkenne, da passiert und bewegt sich etwas, es entwickeln sich mehr Werte – Pfeifendeckel! Der materielle Egoismus ist wieder da.
Machen Sie in der Politik weiter?
Nächstes Jahr sind Kommunalwahlen, ich überlege noch, ob ich politisch weiter mache. Habe aber auch überlegt, ob ich jetzt Goodbye Deutschland sagen soll. Die Heimat verlassen und vielleicht dorthin gehen, wo ich in Ruhe und Frieden leben kann? Mich hat einige Tage lang sehr tief die Frage bewegt: Wohin gehe ich eigentlich zum Sterben? Solange der Täter da draußen rumläuft, kann ich ja nicht mal mehr zum Sterben nach Hause. Heimat ist schon etwas ganz Großes. Ein Stück weit wurde sie mir jetzt genommen. Ich bin jetzt in wechselnden Aufenthaltsorten unterwegs. Zurück zur Frage: Ich habe den Eindruck, in unserer Gesellschaft gibt es immer mehr Nehmende und weniger Gebende – in sehr vielen Bereichen. Das muss sich wieder grundsätzlich ändern, wollen wir als Gesellschaft überleben. Dabei mitzudiskutieren und sich einzubringen mit meinen liberalen Gedanken überlege ich natürlich. Aber die Gesundheit geht vor – auch die psychische.
Kein Geheimnis, Sie und Landrat Wolff sind nicht die besten Freunde…
Ganz ehrlich, mit ihm habe ich gar kein Problem. Ich kann mit dem Landrat nach einer harten Auseinandersetzung wieder ein Bier trinken, das habe ich früh gelernt. In den 80er Jahren im Gemeinderat ging es oft schon rund. Ich habe und werde immer meine Meinung sagen. Dies ist mein Verständnis von freiheitlicher Ordnung. Aus rein gesundheitlichen Gründen habe ich einen Besuch von Landrat und Bürgermeister abgelehnt – beide hatten den Wunsch geäußert – was sich so auch gehört. Aber ich war nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus bei beiden, weil ich mich bedanken wollte. Das war mir ein großes Anliegen. Weil sie wegen mir Stress hatten, weil sie zu mir gestanden sind und weil sie für mich klare Kante gezeigt haben
Man bezeichnet Sie als streitlustig, diskussionsfreudig, Sie polarisieren – was steckt dahinter?
Die Wahrheit, die ich meist kurz und knackig sage. Ich rede nicht um den heißen Brei herum. Von meinen Eltern habe ich gelernt, wie man als Bauer diskutiert. Oft geht’s ums Wetter, welche Arbeiten stehen bei welchem Wetter an, wer macht was, kann man heuen oder nicht, kommen Gewitter – man ist ständig am Diskutieren. Grundsätzlich: für mich ist das eine Botschaft, die ich ein Stück weit rüberbringen will. Ich glaube, das ist auch das Problem, das manche mit mir haben, auch von höheren Positionen: Bei uns zuhause wurde und wird immer ohne Ansehen der Person auf Augenhöhe gesprochen. Egal mit wem, ob mit einem Geschäftsführer, dem Landrat, Bürgermeister oder Arbeiter. Schwätzen und diskutieren, das habe ich von meinem Vater gelernt. Da wo Gallus draufsteht ist auch Gallus drin, und das ist etwas Wunderbares.
Landwirt und Politiker
Georg Gallus, am 6. April 1957 geboren, übernahm 1976 als Zweitältester von fünf Kindern mit 19 Jahren den Uhlandhof in Hattenhofen als sein Vater dieser zum Parlamentarischen Staatssekretär ernannt wurde. Danach schloss er sein Studium zum Diplom-Agraringenieur ab. Auf dem Hof werden Weihnachtsbäume, Brennholz und Hackschnitzel produziert, außerdem werden Locations für diverse
Feiern vermietet. Seit der laufenden Wahlperiode sitzt der FDP-Politiker im Göppinger Kreistag.
Durch Schüsse, die in der Nacht vom 18. auf den 19. März durch ein Fenster in seiner Wohnung abgegeben worden waren, wurde er schwer verletzt und lag viele Wochen im Krankenhaus. ack