Häusliche Gewalt hat viele Gesichter - und kommt viel zu häufig vor. „In Deutschland erfährt jede vierte Frau physische und sexuelle Gewalt durch ihren Partner“, geht die Kirchheimer CDU-Landtagskandidatin Dr. Natalie Pfau-Weller auf Zahlen von 2019 ein. In einem Gespräch mit der Polizistin und Tübinger CDU-Landtagskandidatin Diana Arnold sowie zwei Mitarbeiterinnen des Kirchheimer Frauenhauses hat sie in Kooperation mit dem Kreisverband der Frauen Union nachgehakt, wie häusliche Gewalt aussieht, wie sich die Zahlen entwickeln und welche Rolle die Corona-Pandemie spielt. Dabei gab es auch überraschende Erkenntnisse.
Über 13 000 Fälle von Straftaten in Beziehungen sind 2019 in Baden-Württemberg gemeldet worden. „Das sind 2200 Fälle mehr als vor acht Jahren“, legt Diana Arnold dar. Die Realität bilden die Zahlen trotzdem nicht ab: „Die Dunkelziffer ist enorm“, weiß die Polizistin. Bis der Leidensdruck so groß wird, dass misshandelte Frauen die Polizei rufen, dauert es. „Wenn sie sich an uns wenden, ist es nicht das erste Mal, dass sie Opfer von Gewalt werden.“ Oft zeigen sie ihren Peiniger nicht an, weil sie sich schämen, physisch und psychisch von ihm abhängig sind. Sie solidarisieren sich mit ihm und wollen nicht gegen ihn aussagen.
Mehr als Schläge
Teilweise ist häusliche Gewalt schwer greifbar, erläutert eine Mitarbeiterin des Kirchheimer Frauenhauses, die wie ihre Kollegin anonym bleiben möchte. Nicht immer geht es um Schläge oder Vergewaltigungen. Es gibt unterschiedliche, auch subtile Formen partnerschaftlicher Gewalt. Dazu gehören finanzielles Kurzhalten, Arbeitszwang oder -verbot, aber auch Drohungen, Erpressung, Bloßstellen oder das Verbieten von Kontakten.
Dass die Belastungen der Corona-Pandemie und des Lockdowns häusliche Übergriffe befördern, liegt nahe. Überraschenderweise schlägt sich das auch ein Jahr nach Beginn der Pandemie weder beim Kirchheimer Frauenhaus noch bei der Polizei nieder. „Wir beobachten keine Zunahme der Fälle“, melden Diana Arnold und Frauenhaus unisono. „Das heißt aber nicht, dass weniger Gewalt stattfindet“, betont eine der Mitarbeiterinnen des Vereins „Frauen helfen Frauen“. Sie scheint sich nur mehr noch als sonst im Verborgenen abzuspielen.
Handy kassiert, PC stillgelegt
Viele Opfer haben keine Möglichkeit, sich zu wehren, weil ihre Partner wegen Homeoffice oder Kurzarbeit ständig zu Hause sind. „Der Partner hindert sie am Rausgehen, kassiert das Handy und legt den PC still“, vermutet die Mitarbeiterin und sagt: „Wir rechnen damit, dass nach dem Lockdown die Zahl der Anfragen zunimmt.“ Einen Hinweis gibt es bereits: „Die Anrufe beim Hilfe-Telefon sind um 22 Prozent gestiegen.“ Das Frauenhaus dagegen war 2020 nur zu 73 Prozent ausgelastet - zum einen, weil aufgrund der Hygienevorgaben weniger Personen aufgenommen wurden. Zum anderen, weil manche Frauen aus Angst vor einer Ansteckung mit Corona ihr Zuhause nicht verlassen wollten.
Die ganz großen Opfer der Pandemie sind aus Sicht von Diana Arnold allerdings die Kinder. Immer wieder gibt es Phasen, in denen weder Lehrer noch Erzieher ein Auge auf sie haben. „Und am Bildschirm fällt es nicht auf, wenn Kinder eingeschüchtert sind, Striemen oder rote Ohren haben.“ Ob es nun um Gewalt gegen Frauen oder Kinder geht - entscheidend ist es aus Sicht von Diana Arnold, nicht wegzuschauen. „Zivilcourage ist gefragt“, betont sie. „Wir sind darauf angewiesen, dass etwa die Nachbarn Vorfälle melden.“ Oft sei es nur so möglich, Gewalt zu identifizieren, den Tätern Platzverweise zu erteilen und Opfer in Sicherheit zu bringen. Die Mitarbeiterinnen von „Frauen helfen Frauen“ wünschen sich zudem mehr Prävention, etwa in Schulen. Zudem müssten Erzieher und Lehrer besser geschult werden.
Risikogruppen herausfiltern
Diana Arnold setzt Hoffnungen in ein Projekt des Innenministeriums, das Fälle häuslicher Gewalt bewertet und Risikogruppen herausfiltert. „Das hilft, Gegenmaßnahmen zu ergreifen, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist“, sagt sie. Eine Tatsache, die ihr und den Frauenhaus-Mitarbeiterinnen längst bewusst ist: Werden Kinder Opfer häuslicher Gewalt, ist das Risiko höher, dass sie später selbst zu Tätern werden.
Dass häusliche Gewalt sich nur in unteren sozialen Schichten abspielt, ist dagegen ein Trugschluss. „Es fängt im Asyl- und Obdachlosenbereich an und reicht bis zum Professor oder Aufsichtsratsvorsitzenden“, sagt Diana Arnold. Und noch etwas: Zwar sind es meis- tens Frauen, die in der Partnerschaft Gewalt erfahren. Aber eben nicht immer. „Auch Männer sind Opfer - in nicht geringer Zahl.“