Es war das schwerste Schießunglück, das der Truppenübungsplatz Münsingen nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Vor 40 Jahren, am 3. Oktober 1983, wurden bei einem Übungsschießen der Heimatschutzbrigade 56 zwei Menschen getötet, 15 Personen schwer und neun leicht verletzt.
Die in Neuburg an der Donau (Bayern) beheimatete Heimatschutzbrigade 56 hatte am 3. Oktober 1983 zu einem Schauschießen für 800 Soldaten und zivile Gäste eingeladen. Unter ihnen der Präsident des Bayerischen Landesarbeitsgerichts, der jugoslawische Botschafter und der Generalstaatsanwalt. „Es war beabsichtigt, auf der Schießbahn acht das Zusammenspiel zwischen Luftwaffe, Panzern und Artillerie zu demonstrieren“, erinnern sich ältere Soldaten. Um eine bessere Sicht zu haben, wurden die Zuschauer auf der Ladefläche von olivgrünen Transportern platziert.
Gegen 14.20 Uhr nahm das Schießunglück auf der Hartenberghöhe seinen Lauf. Ein Missverständnis zwischen der Feuerleitstelle und den Soldaten der drei Panzermörser M 113 war schuld daran, dass anstatt mit Nebelgranaten mit scharfer Munition geschossen wurde. Das teilte die Staatsanwaltschaft Tübingen vier Tage später den Medien mit.
Ein 120-Millimeter-Geschoss schlug unmittelbar neben einem der 20 Zehntonner ein. Von den herumfliegenden Splittern der Sprenggranate wurden der 45-jährige Oberstleutnant Siegfried Niklaus und der 51-jährige Oberst Wolfgang Pohl, Kommandeur des Nachschubkommandos 2, sofort getötet. Beide waren beim II. Korps in Ulm stationiert. Der damals 50-jährige CSU-Bundestagsabgeordnete Fritz Wittmann (1933 bis 2018) wurde schwer verletzt, er verlor bei dem Unfall ein Bein.
Überall schreiende Menschen
Vor seinem Tod vor fünf Jahren erinnerte er sich sehr genau an das Schießunglück. Er hörte „einen Riesenkracher“ und fiel auf den Hosenboden. Im selben Augenblick bemerkte er, dass aus seinem linken Bein Blut spritzte und im rechten Arm Splitter steckten. Ein Freund, der unverletzt neben ihm saß, zog sofort seinen Gürtel aus der Hose und band das Bein ab.
Wittmann nahm die schwer verletzten Menschen am Boden wahr und sah im rechten Augenwinkel das tiefe Loch, wo vor ein paar Sekunden eine Mörsergranate eingeschlagen war.
Die scharfe Munition hätte erst nach der Gefechtspause gezündet werden dürfen und in dem zwischenzeitlich von den Zuschauern geräumten Gebiet niedergehen sollen, ist in alten Unterlagen nachzulesen. Ein Major war einer der Verantwortlichen, der auf einem der Lastwagen stand. Er hatte den Gästen die Schießvorführungen erklärt. Bei der Generalprobe sei alles noch nach Plan gelaufen, erzählte er fünf Stunden später Verteidigungsminister Manfred Wörner, der sich mit dem Hubschrauber von Bonn nach Münsingen hatte fliegen lassen.
Die Minuten nach der Detonation erlebte der Offizier als „ein totales Tohuwabohu“. Planlos liefen Menschen durch die Gegend, andere gingen in Deckung: „Neben mir lagen Leute, die sich nicht mehr bewegen konnten.“ Die Schwerverletzten wurden mit Rettungswagen und Hubschraubern nach Münsingen, Ulm, Tübingen, Laichingen, Ehingen, Bad Urach und Reutlingen in die Krankenhäuser gebracht.
Einen Tag später hatte die Bundesregierung während einer Sitzung in Bonn „mit Betroffenheit“ auf das Unglück reagiert. Bundeskanzler Helmut Kohl sprach den Hinterbliebenen der beiden getöteten Offiziere und den Angehörigen der Verletzten seine Anteilnahme aus.
Münsingens Bürgermeister Rolf Keller war bestürzt darüber, dass so etwas überhaupt passieren konnte. „Auf Übungen zur reinen Demonstration sollte man in einer Zeit verzichten, in der es andere Möglichkeiten gibt, sich darzustellen“, sagte er damals den Journalisten, die aus ganz Deutschland auf die Schwäbische Alb gereist waren. Kellers Amtskollege aus Bad Urach, Fridhardt Pascher, machte keinen Hehl daraus, „dass genau das eingetreten ist, was schon lange zu befürchten war“. Er erinnerte in diesem Zusammenhang an einen Vorfall in einer Nachbargemeinde: „In Heroldstatt saß ich am 30. Mai selbst mit auf der Ehrentribüne, nicht weit von Bundespräsident Carstens, als ein Geschoss außerhalb des Platzes einschlug.“ In rund 100 Metern Entfernung spielte damals eine Gruppe kleiner Kinder.
Eine weitere Granate landete im Wald
Es hätte noch schlimmer kommen können, erinnert sich der heute 70-jährige Berni Diether. Vor vier Jahrzehnten war er im Dienstgrad Feldwebel bei der Kommandantur beschäftigt und kurz nach dem Unglück vor Ort. Damals wurde noch ein zweites scharfes Geschoss abgefeuert. Das landete jedoch glücklicherweise 30 Meter weiter im angrenzenden Wald.
1984 mussten sich zwei Soldaten für das Schießunglück vor Gericht verantworten. Die Verhandlung endete mit einem Freispruch für den angeklagten Kompaniechef. Dem Hauptmann war vorgeworfen worden, seine Aufsichtspflicht verletzt zu haben. Diese Anschuldigung wurde jedoch während des Prozesses entkräftet. Der mitangeklagte Oberfeldwebel erhielt eine zehnmonatige Freiheitsstrafe auf Bewährung, außerdem musste er umgerechnet 1500 Euro Strafe bezahlen. Nach Ansicht des Gerichts hatte der 30-Jährige, der bei dem Schießen als Sicherheitsoffizier eingesetzt war, seine Aufgaben vernachlässigt und eigenmächtig das Kommando über den Feuerleitpanzer und die drei Panzermörser übernommen. Die Kammer hielt den Oberfeldwebel der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung für schuldig.
Zeitlebens hatte Fritz Witmann keinen Groll gegen die beiden Soldaten gehegt. „Ich kannte die beiden Männer, es waren zwei pflichtbewusste Soldaten, die dummerweise einen formalen Fehler gemacht haben.“