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Graue Wölfe: SPD zieht Konsequenzen

Kritik Der SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid und Vertreter der Filderstädter SPD besuchten türkische Rechtsextremisten. Kandidaten mit Verbindungen stehen auf der Wahlliste. Von Michael Weißenborn

Will künftig bessere Wege finden, um mit den muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ins Gespräch zu kommen: der Bundestagsabgeordnete Nils Schmid. Foto: Archiv

Erst hatte der Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordnete und Ex-Minister Nils Schmid seinen Besuch bei einem Graue-Wölfe-Verein in Filderstadt noch hartnäckig verteidigt. Nach der Berichterstattung schrieb er auf seiner Instagram-Seite, die Teilnahme am Fastenbrechen sei ein Fehler gewesen, und löschte seine entsprechenden Posts. Er wolle sich künftig um „besser geeignete Wege bemühen, um mit unseren muslimischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern ins Gespräch zu kommen“, zeigt sich Schmid reumütig.

SPD räumt Fehler ein

Die Filderstädter SPD-Ortsvereinsvorsitzende Ines ­Schmidt und der Filderstädter SPD-Fraktionschef Walter Bauer ­hatten ihren Post schon zuvor gelöscht. Ines Schmidt erklärte, sie sei auf Betreiben von Nils ­Schmid „in gutem Glauben und um zu zeigen, dass wir Integration fördern“ zum Fastenbrechen bei den Grauen Wölfen des Deutsch-Türkischen Freundschaftsvereins gegangen. „Ich unterstütze keine Rechts­extremisten“, sagt sie. Walter Bauer räumte „Fehler“ ein, den Graue-Wölfe-Verein im Vorfeld nicht besser abgeklopft zu haben. Gleichzeitig beharrt er aber auf dem „Recht, mit Menschen zu sprechen, über die in den letzten Jahren nichts vorlag“. Er habe im Vorfeld des Besuchs bei der Stadtverwaltung Informationen über den Verein eingeholt. Zunächst hatte die SPD Filderstadt erklärt, sie habe von der Stadt keine kritischen Hinweise erhalten, um wenig später unter dem Druck von Oberbürgermeis­ter Christoph Traub (CDU) zu erklären, bei der Abfrage sei der besuchte Verein mit einem anderen Islamverein verwechselt worden.

Traub betont: „Die behauptete Abfrage bei der Stadtverwaltung hat es so nicht gegeben.“ Ein Besuch oder Fas­tenbrechen sei nie erwähnt worden. Die nachgereichte Stellungnahme der SPD zu einer Verwechslung überzeuge ihn daher nicht. Seine Position zu dem Graue-Wölfe-Verein stehe seit Jahren fest: „Wir distanzieren uns vom Rechtsextremismus der Grauen Wölfe“, die nur dem Namen nach ein Deutsch-Türkischer Freundschaftsverein seien. 

Weitere Ungereimtheiten

Warum Position und Kenntnisstand von OB und kommunalen SPD-Spitzen so unterschiedlich ausfallen, bleibt fraglich. Und es gibt weitere Ungereimtheiten bei der SPD in Filderstadt. Auf der Face­book-Seite des örtlichen Ablegers der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF) wimmelt es von politisch aufgeladenen Kulturveranstaltungen. Laut Landesinnenministerium zählt der Verein in Filderstadt zu den aktivsten im Land. Ines ­Schmidt und Walter Bauer beteuerten, sie wüssten nicht, ob einer der drei SPD-Gemeinde­ratskandidatin­nen und -kandidaten, die bei dem Treffen mit den Grauen Wölfen dabei waren, bei dem Extremisten-Verein aktiv sei. Doch eine einzige Nachfrage bei einer Gemeinderätin zur 47-jährigen Gülten Ilbay (SPD-Lis­tenplatz 14) ergibt: „Sie hat eine Führungsrolle in der MHP-Moschee.“ MHP steht für den rechtsextremistischen Koalitionspartner von Staatschef ­Recep Tayyip Erdogans AKP in der Türkei und für den politischen Arm der Grauen Wölfe. Von Ilbay finden sich auf der Face­book-Seite des Vereins im Dezember 2023 Fotos, auf denen sie freudig den Wolfsgruß zeigt. Die SPD-Gemeinderatskandidatin ist dort Vorsitzende der Frauengruppe. Auf Listenplatz 25 für die anstehende Gemeinderatswahl sowie auf SPD-Listenplatz 9 für die Kreistagswahl steht der ebenfalls 47-jährige Hasan Arslan. Auf einem Foto vom April 2024 posiert er mit zwei Männern vor einer Fahne mit dem Logo der Graue-Wölfe-Partei MHP, die an die Fahne der Okkupationstruppen im Osmanischen Reich erinnern. Auch von der 43-jährigen Muesser K. gibt es Fotos, auf der sie 2018 neben Personen zu finden ist, die den Wolfsgruß zeigen.

Kein unbeschriebenes Blatt

Die Betroffenen konnten nicht angefragt werden. Die SPD Filderstadt nannte trotz mehrfacher Aufforderung nicht ihre Kontaktdaten.

Der Freundschaftsverein ist in Filderstadt kein unbeschriebenes Blatt: 2009 veranstaltete er in einer städtischen Halle ein nationalistisches Jugendfest. Nach einem öffentlichen Aufschrei verlangte die Stadt eine sogenannte Ehrenerklärung, mit der der Verein jeglichem Extremismus abschwor. Eren Güvercin von der FDP-nahen Organisation „Liberale Vielfalt“, der die türkischen Nationalisten be­obachtet, beklagt „parteiübergreifend“ einen naiven Umgang mit dem Phänomen der Grauen Wölfe. „Unsere Politiker müssen realisieren, dass deren Ideologie nicht nur in der Türkei gegen ­Kurden, Armenier, Juden und die Demokratie hetzt, sondern auch hier bei uns.“

Die Landes-SPD hat sich jetzt klar vom Verhalten ihres SPD-Ortsvereins in Filderstadt und den drei Kommunalwahl-Kandidaten mit Bezügen zu den Grauen Wölfen distanziert. „Für das Handeln der SPD Filderstadt gibt es keine Ausflüchte“, sagte der Generalsekretär der Landes-SPD Sascha Binder, „es ist ein unentschuldbarer Vorgang.“ Das habe er so der Ortsvereinsvorsitzenden Ines Schmidt und dem Fraktionsvorsitzenden Walter Bauer mitgeteilt. Von den drei Kandidaten auf der SPD-Wahlliste in Filderstadt für die Kommunalwahlen „mit eindeutigem Bezug zu den Grauen Wölfen“, forderte Binder umgehend eine Erklärung, „dass sie im Falle einer Wahl das Amt nicht antreten“.

Druck vom SPD-Generalsekretär

Erst unter dem Druck von Generalsekretär Binder teilte der SPD-Ortsverein Filderstadt mit, dass die drei Kandidaten keine Mitglieder der SPD seien. „Der SPD Ortsverein Filderstadt wird sämtliche Wahlkampfaktivitäten mit den drei betroffenen Kandidaten einstellen und distanziert sich von deren Verbindungen zu dem Verein Deutsch-Türkischer-Freundschaftsverein“, ließen die beiden Ortsvereinsvorsitzenden Sarmed Munir und Ines Schmidt per E-Mail wissen. 

Rechtlich könnten die Kandidaten nicht mehr von der Wahlliste genommen werden. Von zwei Kandidaten liege bereits eine Erklärung vor, im Falle einer Wahl das Mandat nicht anzunehmen. Im Übrigen gelte der Unvereinbarkeitsbeschluss der SPD zu den Grauen Wölfen von 2013.

Anders als der Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordnete Nils ­Schmid, der den Besuch bei den Grauen Wölfen erst unter öffentlichem Druck als Fehler bezeichnete, klingt der SPD-Landespolitiker Sascha Binder klar und deutlich: „Die Grauen Wölfe gehören zu einer rechtsextremistischen Bewegung, die wir politisch bekämpfen und deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz wir unterstützen.“

 

Die Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine

Das Bild, das der Bundestagsabgeordnete Nils ­Schmid und andere SPD-Politiker lächelnd beim gemeinsamen Fastenbrechen mit Mitgliedern des Deutsch-Türkischen Freundschaftsvereins in Filderstadt zeigt, ist mittlerweile von der Facebook-Seite des Politikers verschwunden. Deutlich war auf dem Bild das Logo der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland – kurz ADÜTDF. Der Verfassungsschutz beobachtet die als „Graue Wölfe“ bekannte Organisation seit über zwei Jahrzehnten als Teil des türkisch-rechtsextremistischen Spektrums. Die ADÜTDF ist laut Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg (LfV) der größte türkisch-rechtsextremistische Dachverband im Bundesland und die inoffizielle Auslandsorganisation der rechtsextremistischen türkischen Partei MHP.
50 Ortsvereine in Baden-Württemberg gehören dem Dachverband an, darunter auch Vereine in Filderstadt und Nürtingen. Sie bezeichnen sich zwar selbst als „Deutsch-Türkische Freundschaftsvereine“, vertreten aber laut einem Bericht des LfV eine Ideologie, die unter anderem gegen die Völkerverständigung und insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet ist. „Weitere Merkmale des türkischen Rechtsextremismus sind ethnische und religiöse Feindbilder sowie eine ausgeprägte Israelfeindlichkeit, die bisweilen in Antisemitismus umschlägt“, heißt es in dem Bericht. nz