Das Planänderungsverfahren zur Großen Wendlinger Kurve dürfte demnächst abgeschlossen sein. Indes, für viele Betroffene dieser Baumaßnahme ist mittlerweile klar: Sie sind die Verlierer des Verfahrens. Denn zur zweiten Runde, in der die Kommunen, aber auch einzelne Betroffene noch einmal zum Projekt Stellung nehmen konnten, liegen nun die Antworten der Deutschen Bahn vor.
Auf die nochmalige Bitte der Stadt Wendlingen, den Erdaushub, der anfällt, wenn der knapp 800 Meter lange Tunnel gebaut wird, über die Baustellenausfahrt abzuwickeln, antwortete die Bahn nochmals: „Die Behelfsauf- und -abfahrt zur Autobahn 8 wird nicht aufrechterhalten. Es werden nach heutigem Kenntnisstand nur während der Phase des Tunnelvortriebs werktäglich durchschnittlich 2,5 Lkw pro Stunde die Baustelle mit Ausbruchmaterial verlassen, einschließlich der leeren Rückfahrten also fünf Lkw pro Stunde.“ Insgesamt werde es laut DB 400 Lkw-Bewegungen geben.
Hierfür die Autobahnauffahrten bestehen zu lassen, hält die DB nicht für angemessen. Vor allem auch deswegen, weil man dafür die L 1250 durch das Industriegebiet nutzt. Dass die Stadt Wendlingen einwendet, dass im gleichen Zeitraum eventuell ebenfalls Baumaßnahmen realisiert werden, die zur Belastung der L 1250 als Durchfahrtsstraße beitragen könnten, dass die Landesstraße auch heute schon stark belastet ist und dass deswegen möglicherweise Lkw-Fahrer doch die L 1250 verlassen und quer durchs Wendlinger Stadtgebiet kurven, lässt die Deutsche Bahn in ihren Planungen unberücksichtigt.
Gegen diese Absage auf ganzer Linie kommt die Gemeinde Oberboihingen noch gut weg. Denn hier sagt die Bahn zu, die erneut vorgetragenen Anregungen, Bedenken und Einwendungen im Zuge der weiteren Planungsschritte zu prüfen. Das hört sich gut an. Doch dann erfolgen etliche Einschränkungen. Das Tunnelportal wird, entgegen dem der Kleinen Wendlinger Kurve, eine eckige Form erhalten. Das sei nicht schlimm, da die verschiedenen Formen nur bei Fahrten aus dem Ort heraus sichtbar seien, argumentiert die DB. Und erwähnt nebenbei, dass ein rundes Tunnelportal eine Vollsperrung der Unterboihinger Straße zur Folge hätte. Für die Oberboihinger natürlich das Totschlagargument, denn eine Vollsperrung wird mehr als alles andere befürchtet.
Nach wie vor beharrt die DB auch darauf, dass gekrümmte Lärmschutzwände technisch nicht machbar seien. Immerhin will man überprüfen, ob transparente Lärmschutzwände möglich sind. Zudem erklärt sich das Unternehmen bereit, nach dem Erhalt des Planänderungsbeschlusses eine Infoveranstaltung für die Betroffenen bezüglich Baulärms, Erschütterungen und Schallschutz abzuhalten.
Nichts wissen wollte die DB indes davon, ein besonders überwachtes Gleis zu installieren, und führt dafür wiederum technische Gründe an. Nicht sehr viel Einsatz zeigte die Gemeinde, wenn es um die gravierenden Beschwernisse geht, die auf die Bewohner der drei Hochhäuser am Ortsausgang zukommen. Von den Ausführungen der DB nimmt sie nur Kenntnis.
Die Familie Falk/Wollny hat Post erhalten. Sie wohnt in einem der drei Hochhäuser in der Unterboihinger Straße und ist von den Baumaßnahmen und dem Betrieb der Strecke besonders stark betroffen. Werner Falk hatte der DB mitgeteilt, in keinem Punkt mit der Argumentation des Unternehmens einverstanden zu sein.
So regt Falk an, der Schallgutachter möge sein Programm zur Lärmberechnung doch nachjustieren, da ihm die Berechnungen nicht schlüssig erschienen. Eine Nachjustierung entspreche jedoch nicht den Vorschriften, so die DB.
Dass auch ohne die Große Wendlinger Kurve Anspruch auf verbesserten Lärmschutz besteht, weist die Deutsche Bahn von sich. Und beruft sich auf die Bundeslärmschutzverordnung aus dem Jahr 1990. Mehr Bahnverkehr bedeutet danach nicht automatisch mehr Lärmschutz. Der Hinweis Werner Falks, dass zahlreiche renommierte Experten zu dem Ergebnis kommen, dass Bahnlärm zu Aufwachreaktionen, verändertem Gefäßwiderstand, zur Änderung der Herzschlagfrequenz, zur vermehrten Bildung von Stresshormonen und erhöhtem Blutdruck führt, wird von der Bahn zur Kenntnis genommen. Jedoch bemerkt das Unternehmen, dass ihr schalltechnisches Gutachten auf den geltenden gesetzlichen Bestimmungen beruhe.
Unangreifbares Gutachten
Die Bahn bezieht sich bei ihrem schalltechnischen Gutachten auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 2020, das ihr in einem anderen Fall, beim Bau der Strecke Oldenburg – Wilhelmshaven, Recht gegeben hat.
Gegen die Pläne zum Bau der Strecke, die quer durch Oldenburg führt, hatten Stadt und 11 000 Anwohner geklagt. Das höchste deutsche Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil keine rechtlichen Bedenken darin gesehen, dass die Bahn sich hier eines Akustikgutachters bediene, der ausschließlich für die DB arbeitet und in seiner wirtschaftlichen Bedeutung und Existenz von ihr abhängig ist. Auch nicht darin, dass sich der Gutachter einer veralteten Software bediente. Seine Berechnungen müssen nicht nachvollziehbar sein.
Das Gericht geht viel eher davon aus, dass der Gutachter lediglich plausibel darlegen muss, dass die gesetzlichen Vorgaben erfüllt sind. Auch sieht es das Gericht nicht als erforderlich an, dass sich die Vorschriften auf dem neuesten Stand der Technik befinden. Das Urteil hat Auswirkungen auf Oberboihingen, denn damit dürfte nach Auffassung des Juristen Armin Frühauf, der sich mit dem Oldenburger Fall beschäftigt hat, jedes Schallgutachten der DB unangreifbar sein.
Anwohner Werner Falk bezeichnet es als wahren Hohn, dass die Deutsche Bahn ihm mitteilt, eine Entschädigung für seinen Balkon sei nicht möglich. „Eine dunkelgraue Lärmschutzwand, etwa dreieinhalb Meter vor unserem Balkon, stellt für die DB keine Beeinträchtigung des Wohnwertes dar“, ärgert sich Werner Falk.
Auch Beate Bonte, die im Hochhaus nebenan wohnt, hatte kein Glück mit ihrer erneuten Einwendung. Die DB argumentierte, dass die sogenannte Gesundheitsschwelle, die bei 60 Dezibel Lärm liegt, um 0,2 Dezibel verfehlt werde, weswegen Ansprüche ausscheiden. Auch für die Entschädigung, die Beate Bonte für die Wertminderung ihrer Eigentumswohnung geltend gemacht hat, hatte der Schienenbau-Monopolist kein Verständnis. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage. „Der Einwenderin wird kein Eigentum entzogen, sie ist nur mittelbar betroffen“, schreibt die DB. sg