Noch schaut Ursula Plischke etwas sehnsüchtig hinüber zu ihrer Wohnung, die vier Jahre ihr Zuhause war. Vor zwei Wochen ist die 80-jährige Frau ins Kirchheimer Henriettenstift umgezogen. Begrüßt wurde sie dort mit großem Bahnhof. Für die betagte Dame, die einst im Chor der Kirchheimer Martinskirche gesungen hatte und die Musik über alles liebt, gab es zur Begrüßung perlende Töne auf dem Klavier. „Alle Bewohner, die ich schon kenne, waren da und haben geklatscht“, sagt sie mit einem Strahlen im Gesicht. „Jetzt muss ich mich eben noch eingewöhnen.“
Seit 28 Jahren ist Ursula Plischke auf Hilfe angewiesen. Mit 53 erlitt sie einen Schlaganfall. Lähmungen und andere Beeinträchtigungen waren die Folge. Dass sie lange in den eigenen vier Wänden bleiben konnte, ist dem betreuten Wohnen zu Hause zu verdanken. „Ursula Plischke ist unser erstes Mitglied“, erzählt Monique-Kranz Janssen, die das betreute Wohnen damals mit ins Leben rief und heute Geschäftsführerin des Kirchheimer Vereins buefet ist. Als erste hatte Ursel Plischke 2006 auf einen Zeitungsartikel reagiert und Bedarf angemeldet. 16 Jahre lang kümmerte sich der Besuchsdienst von buefet um die gehandicapte Frau. Hilfe beim Einkaufen, Fahrten zum Arzt, Cafénachmittage – all das sind Dinge, die ihr Ehrenamtliche ermöglichten. „Sie ist das Paradebeispiel für das betreute Wohnen zu Hause“, sagt Monique Kranz-Janssen. Das liege auch an der Aufgeschlossenheit Ursula Plischkes. „Im Laufe der Jahre hat sie viele Kontakte geknüpft und immer Interesse an anderen gehabt.“
Der Verein buefet besteht seit zwei Jahrzehnten. Dass er auch für die Dame, die inzwischen im Rollstuhl sitzt, seit vielen Jahren eine große Stütze ist, zeigt das Fotoalbum, das die Geschäftsführerin zum zehnten Geburtstag der Organisation gestaltet hatte. Da ist Ursula Plischke nicht nur als ältere Frau zu sehen, sondern auch im mittleren Alter als schicke Dame mit Hut. Ein dickes Eis darf bei den Ausflügen nicht fehlen. „Die Sorte ist mir egal. Hauptsache es ist Eis“, sagt sie lachend. Ihren Humor hat sie trotz aller Einschränkungen behalten. „Sonst kommen die Leute nicht.“
Dass sich Ursula Plischke im Henriettenstift bereits etwas heimisch fühlt, liegt an ihren beiden Tischgenossinnen, mit denen sie sich bei den Mahlzeiten gerne unterhält. Es liegt an Monique Kranz-Janssen, die ihr beim Einrichten und bei Formalitäten hilft. Es liegt aber auch an ihrer Liebe zur Veeh-Harfe. Schon vor Corona nahm sie als „Besucherin“ regelmäßig an den Musikstunden teil. Strenge Auflagen in der Pandemie vereitelten dann für zwei Jahre, von außen zu der Musikgruppe zu stoßen. Dass sie jetzt als Bewohnerin wieder gemeinsam mit anderen musizieren darf, macht sie glücklich. Gern greift sie auch in ihrem Zimmer zu dem Saiteninstrument, auf dem man durch Zupfen Melodien spielen kann. Noten benötigt Ursula Plischke, die einst gern am Klavier in die Tasten griff, bei bekannten Liedern nicht. Als die Musik erklingt, zwitschert es plötzlich munter aus ihrer Vogeluhr, die Plüschkatze auf der Fensterbank bürstet mit fröhlichen Maunzern beharrlich gegen den Takt. Für gute Stimmung ist bei Ursula Plischke gesorgt.
Die Kirchheimerin, die kurz vor dem Mauerbau in die Teckstadt kam, ist nicht nur ein Paradebeispiel dafür, wie das Konzept des betreuten Wohnens zu Hause über viele Jahre das Leben in den eigenen vier Wänden ermöglicht, wenn Hilfe nötig ist. Ihr Beispiel zeigt auch, dass das soziale Netz trägt. Zwar hält sie engen Kontakt zu ihrer „Wahlfamilie“, die sich nach ihrem Schlaganfall durch ihre Katzen kennengelernt hatte. Doch griff ihr der Besuchsdienst von buefet regelmäßig unter die Arme. Als es zu Hause zu beschwerlich wurde, zog sie um in eine barrierefreie betreute Wohnanlage, die an das Henriettenstift angedockt ist. Dort bekam sie von zwei, drei Leuten von buefet verlässlich Besuch. „Die haben sich einfach um mich gekümmert“, sagt Ursula Plischke.
Wieder schweift ihr Blick hinüber zu ihrem ehemaligen Zuhause. Es wird wohl noch eine Weile dauern, bis sie sich im Pflegeheim richtig eingewöhnt hat. „Den Übergang gestalten wir mit“, sagt Monique Kranz-Janssen. Künftig bringt der Besuchsdienst der Sanwaldstiftung Abwechslung in Ursula Plischkes Alltag. Die Organisation ist zuständig für das Henriettenstift. „Da funken wir nicht rein“, erklärt die buefet-Geschäftsführerin. Doch jetzt müssen erst einmal Papiere ausgefüllt und persönliche Dinge in dem Zimmer an den richtigen Platz gebracht werden. Dabei geht Monique Kranz-Janssen der Seniorin gerne zur Hand. Ursula Plischke ist dankbar: „Sie ist mir eine große Hilfe.“
Den Umzug ins Heim hinauszögern
Rund 200 Menschen haben bislang wie Ursula Plischke das Angebot des betreuten Wohnens zu Hause des Kirchheimer Vereins buefet angenommen. Ursula Plischke hat vor 16 Jahren den Anfang gemacht. „Damit lässt sich der vorzeitige Umzug ins Heim abfedern“, sagt Monique Kranz-Janssen. „Die Menschen müssen erst umziehen, wenn es gar nicht mehr anders geht.“
Die Zahl derjenigen, die ehrenamtlich Besuchsdienste im betreuten Wohnen machen, ist ungefähr genauso hoch wie die der Betreuungsnehmer. Drei Viertel der Ehrenamtlichen sind bereits seit 2006 dabei. ank