Nürtingen. Regungslos nahm der Mann auf der Anklagebank das Urteil des Schwurgerichts entgegen. Als die Dauer der Haft von drei Jahren und zehn Monaten verkündet wurde, murmelte er nur leise vor sich hin: „Bloß?“. Bereits am ersten Verhandlungstag machte der Nürtinger deutlich, dass er mit dem Angriff auf den Mitarbeiter des Jobcenters eine Gefängnisstrafe erreichen wollte. Immerhin hätte er dort ein Dach über dem Kopf und regelmäßige Mahlzeiten.
Nachdem der Langzeitarbeitslose am Morgen des 13. November schriftlich mitgeteilt bekommen hatte, dass er aufgrund fehlender Unterlagen kein Hartz IV bekommt, schnappte er sich einen 440 Gramm schweren Hammer aus dem Keller, lief zum Jobcenter in der Galgenbergstraße und attackierte seinen Sachbearbeiter in dessen Büro. Der konnte den Schlag abwehren. Als ein Kunde zu Hilfe eilte, ließ der Angeklagte von seinem Opfer ab.
Der 33-Jährige hatte die Tat bereits gestanden. Die wichtigste Frage, die am dritten Verhandlungstag noch geklärt werden musste, war die, ob es sich tatsächlich um einen versuchten Mord gehandelt hat oder ob der Täter freiwillig vom Mordversuch zurückgetreten ist, als er den Hammer fallen ließ und sich beruhigte. Der Rücktritt vom Mordversuch hätte eine strafbefreiende Wirkung und es bliebe nur der Vorwurf der schweren Körperverletzung.
Oberstaatsanwalt Matthias Schweitzer hatte keinen Zweifel, dass es sich um ein versuchtes Tötungsdelikt gehandelt hat: „Der Angeklagte hat den Tod des Geschädigten nicht nur billigend in Kauf genommen, sondern wollte, dass er stirbt“, sagte Schweitzer in seinem Schlussplädoyer. Auch das Mordmerkmal der Heimtücke sei gegeben. Der Täter habe die Wehrlosigkeit des Opfers bewusst ausgenutzt. Schweitzer forderte eine Haftstrafe von drei Jahren und zehn Monaten. Die Nebenklagevertreterin Sibylle Walch-Herrmann erinnerte in ihrem Plädoyer an die seelischen Schäden, die ihr Mandant davongetragen hat: „Angst ist sein täglicher Begleiter.“
Verteidigerin Bettina Brodbeck forderte hingegen eine Bewährungsstrafe für ihren Mandanten. Er sei freiwillig von dem Mordversuch zurückgetreten, schließlich habe er das Opfer nur verletzen wollen, um das Ziel einer Inhaftierung zu erreichen. „Bei dem Angeklagten handelt es sich nicht um einen blutrünstigen Psychopathen, sondern eher um ein Häufchen Elend“, so Brodbeck.
Die erste Strafkammer folgte der Forderung des Oberstaatsanwalts. Bei dem Angeklagten handle es sich um einen „psychisch schwer gestörten Menschen“, so Richterin Ute Baisch. „Aber auch ohne die schizoide Persönlichkeitsstörung wäre es zu der Tat gekommen“, war sie sich sicher. Matthäus Klemke