Drei Kirchheimer im Landtag, doch offene Fragen und der Denkzettel der Wähler trüben die Freude
Happy End ohne Euphorie

Es dauerte lange, bis ein wenig Euphorie aufkam. Erst nach 22.30 Uhr stand gestern fest: Der Wahlkreis Kirchheim wird wieder durch ein Politiker-Trio vertreten. Der Grüne Andreas Schwarz hat der CDU das Direktmandat abgejagt, doch auch CDU-Kandidat Zimmermann und SPD-Mann Kenner ziehen via Zweitmandat ins Parlament ein. Dennoch hinterlässt der gestrige Wahlabend einen schalen Nachgeschmack.

Kirchheim. „Die Menschen sind zufrieden mit der Regierungspolitik der letzten fünf Jahre, und Winfried Kretschmann hat klar den Auftrag zur Regierungsbildung“, bilanzierte Andreas Schwarz. Der Grüne Abgeordnete war der Einzige im Wahlkreis, der schon zu früher Stunde wirklich Grund zur Freude hatte: So war es ihm gelungen, der CDU das einst sichere Direktmandat abzunehmen. Dennoch verdiente die „Wahlparty“ der Grünen ihren Namen nicht.

Zwei Wermutstropfen birgt das Ergebnis: Zum einen sieht Schwarz die Problematik, die aus seiner Sicht erfolgreiche Koalition mit der SPD nicht einfach fortführen zu können. Zum anderen belastet ihn aber auch der enorme Erfolg der Rechtspopulisten: „Wir werden die AfD in den nächsten Jahren stellen“, prophezeit der Gewählte daher selbstbewusst. Die Anzahl der Kirchheimer an seiner Seite ist da zweitrangig: „Mit mir hat der Wahlkreis Kirchheim einen starken Abgeordneten, der an führender Stelle Landespolitik mitgestaltet und den Kreis gut vertritt.“

Um Fassung musste der langjährige CDU-Abgeordnete Karl Zimmermann ringen, nachdem die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm flimmerten. In der Hand hielt er einen Zettel, auf dem er gestern um 17 Uhr das Wahlergebnis prognostiziert hat – erschreckend exakt. „Das beweist, dass ich in der Politik den richtigen Riecher habe“, übte er sich in Galgenhumor. Den brauchte er an diesem Abend auch. Schnell war klar, was sich der Christdemokrat bis vor Kurzem noch nicht hätte träumen lassen: Das Direktmandat war Geschichte. Das markierte den Beginn einer echten Zitterpartei für den eingefleischten CDU-Politiker. Für ihn ist der Fall jetzt klar: Hier liegt eine Denkzettelwahl vor, die die Südwest-CDU auslöffeln muss. „AFM“ nennt er zähneknirschend die Abkürzung, die ihm das politische Leben zum zweiten Mal schwer gemacht habe: 2011 habe AFM für Atomkraft, Fukushima und Mappus gestanden. Heuer stehe es für Asyl, Flüchtlingspolitik und – Merkel. Selbst als ihm das Zweitmandat sicher scheint, ist der gelernte Kriminalist von Euphorie weit entfernt: „Das ist erst ein vorläufiges Ergebnis!“ warnt er und rechnet offenbar mit allem.

Ein wahres Wechselbad der Gefühle durchlebte auch der SPD-Kandidat Andreas Kenner im Laufe des Wahlabends. „Ich fühle mich wie der Trainer von Brasilien nach dem 7:1 im WM-Halbfinalspiel gegen Deutschland“, kommentierte er verzweifelt das Absacken der SPD noch weit unter die AfD. Dass sein persönliches Wahlergebnis klar über dem Landesdurchschnitt liegt, wundert ihn wenig. Als Stimmenkönig im Kirchheimer Ratsrund konnte er in seiner Heimatstadt 16,76 Prozent für sich verbuchen und fieberte lange dem Mandat in greifbarer Nähe entgegen. Die Genossen hatten einen wahren Horror davor, dass sich das Schicksal von Sabine Fohler wiederholen könnte: Nachdem sie in die Fußstapfen von Carla Bregenzer getreten war, verpasste sie hauchdünn den Einzug ins Parlament via Zweitmandat. Kenner teilt dieses Schicksal aber nicht. Er ist der letzte SPD-Mann, dem die Fahrkarte nach Stuttgart zugeteilt wurde. „Bei mir ist jetzt echt die Euphorie ausgebrochen“, jubelte er zu später Stunde.

Wesentlich früher konnte sich Ulrich Kuhn schon einigermaßen zufrieden zurücklehnen: Der Kandidat der Liberalen sah im Abschneiden der FDP durchaus Grund zum Feiern. Die traditionsreiche Partei werde aller Voraussicht nach ein entscheidendes Wörtchen mitzureden haben bei den Koalitionsverhandlungen, freute er sich. Hierbei zeigt sich Kuhn zwar grundsätzlich für alles offen, sieht aber wenig Schnittmengen mit den Grünen: Sicher sei Kretschmann „ein netter Mensch“, räumt er ein, dennoch gelte: „Wir geben unsere Positionen nicht auf!“ Was die AfD anbelangt, hofft er auf einen reinen Denkzetteleffekt, der sich nicht wiederholen möge.

In diesem Punkt ganz andrer Meinung dürfte Günter Lenhardt sein. Der Kandidat der AfD im Wahlkreis, der selbst in der eigenen Partei aufgrund unbedachter bis menschenverachtender Äußerungen teilweise in Ungnade gefallen ist, wurde vom Wähler keineswegs abgestraft: Mit 14,21 Prozent liegt die AfD im Wahlkreis nur wenig unter dem Landesergebnis. Ob Lenhardt feierte, darüber kann nur spekuliert werden. Er war telefonisch nicht zu erreichen.