Zwischen Neckar und Alb
Hassbotschaften: Ostfilderns Rathauschef kündigt Strafanzeige an

Hetze Der Oberbürgermeister von Ostfildern erfährt nach Anfeindungen in sozialen Medien eine Welle der Solidarität. Kommunalpolitiker stellen sich parteiübergreifend hinter den Sozialdemokraten. Von Corinna Meinke und Frederic Feicht

Seit Tagen erlebt Christof Bolay ein Wechselbad der Gefühle. Allein auf Facebook hat der Oberbürgermeister von Ostfildern rund 600 Anfeindungen und von Hass geprägte Kommentare, ja sogar Todesdrohungen erhalten. Inzwischen erfährt der Sozialdemokrat aber auch Solidarität und Unterstützung.

Vom rechten Rand ausgehende Anfeindungen von Kommunalpolitikern sind längst keine Einzelfälle mehr. Der Rechtsstaat reagiert inzwischen mit Spezialabteilungen der Staatsanwaltschaften und Strafverschärfungen auf diese Bedrohung der demokratischen Gesellschaft. Anlass für die Anfeindungen im Fall Bolay ist die Allgemeinverfügung der Kommune zum Verbot unangekündigter „Spaziergänge“. Empörung hatte ein laut Städtetag juristisch gebräuchlicher Passus in Ostfildern ausgelöst. Bei diesem handele es sich um den korrekten Hinweis, dass ein Versammlungsverbot auch zwangsweise durchgesetzt werden könne und darauf, welche Bandbreite an Einsatzmitteln der Polizei zur Verfügung stehe, heißt es in einer Erklärung der Kommune und des auch für den Kreis Esslingen zuständigen Polizeipräsidiums Reutlingen.

Bolay verwahrt sich gegen Vorwürfe, der Einsatz der Schusswaffe stehe zur Debatte und stellte auf Facebook klar: „Der Einsatz der Schusswaffe zur Durchsetzung eines Versammlungsverbots ist ausgeschlossen.“ Und er erinnerte an die Maßgabe, wonach die Polizei bei jedem Einsatz die erforderlichen Maßnahmen unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zu wählen habe. „Keiner wurde und wird auf den unangekündigten Versammlungen in Ostfildern, den sogenannten Spaziergängen, mit einer Schusswaffe bedroht. Keiner muss um sein Leben fürchten“, so Bolay.

Ihm sei es wichtig, die Empörungswelle richtig einzuordnen. So habe sich bei der Durchsicht der Kommentare gezeigt, dass diese in der großen Mehrzahl nicht von Bürgerinnen und Bürgern aus Ostfildern stammten, sondern die Absender aus dem ganzen Bundesgebiet kämen. Bolay und sein Team überprüfen den Angaben des Rathauschefs zufolge derzeit sämtliche Kommentare, E-Mails und Briefe auf strafbare Inhalte, die zur Anzeige gebracht werden sollen.

Die Bedrohung sei nicht vorüber, trotzdem wolle er sich jetzt vor allem wieder dem Tagesgeschäft widmen, so der Oberbürgermeister. „Jetzt kommt bei mir viel Zuspruch aus der Bürgerschaft, den unterschiedlichen politischen Lagern in Ostfildern und von den Mitarbeitern an. Das tut natürlich gut“, erklärte Bolay. Und er freue sich auch, dass Kollegen aus benachbarten Kommunen im Schulterschluss eine Solidaritätsadresse an ihn vorbereiteten.

Die Bürgermeister im Kreis Esslingen zeigen sich solidarisch mit Bolay. „Ich verurteile die Angriffe auf meinen OB-Kollegen Christof Bolay aufs Schärfste“, sagte der Esslinger Oberbürgermeister Matthias Klopfer. Auch wenn freie Meinungsäußerungen und Demonstrationsfreiheit ein verfassungsmäßiges Recht seien, seien die Grenzen freier Meinungsäußerung für ihn erreicht, wenn Beleidigungen, Hetze und Gewalt geäußert und angewandt würden. „Die Zahl der Beleidigungen, Drohungen und Gewalttaten gegenüber Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitikern sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Verwaltungen erreicht mittlerweile ein Niveau, das nicht mehr tragbar ist. Diese Handlungen sind ein direkter Angriff auf unsere Demokratie“, so Klopfer.

Frank Buß, Bürgermeister von Plochingen, schlägt einen ähnlichen Ton an: „Die Entwicklung in unserer Gesellschaft ist besorgniserregend, da demokratiefeindliche Kräfte zunehmend an Bedeutung gewinnen.“ Kirchheims Oberbürgermeister Pascal Bader betont, dass jeder das Recht auf eine friedliche Meinungsäußerung habe. Dieses hohe Gut sei von den Oberbürgermeistern und Bürgermeistern zu schützen, sofern die dafür geltenden Regeln eingehalten würden. Auch wenn er Verständnis für Wut und Frust im Zusammenhang mit der Pandemie habe, sei der „Shitstorm“ gegen Bolay inakzeptabel: „Einschüchterungen und Morddrohungen gegen Amtskollegen wie Christof Bolay sind völlig inakzeptabel. Sobald Hass, Hetze und Gewalt ins Spiel kommen, ist eine Grenze überschritten. So etwas hat in der politischen Auseinandersetzung keinen Platz, sondern bedroht unsere Demokratie.“

Die Bedrohung hat viele Gesichter

Beschimpfung Die SPD-Regionalrätin Ines Schmidt von den Fildern ist nach einer Kundgebung vor einem Jahr in Bonlanden bedroht worden. Wie damals in der Zeitung zu lesen war, hatte Ines Schmidt eine E-Mail und drei Anrufe erhalten, in denen sie beschimpft und gefragt worden sei, ob sie denn „Mitglied bei der Schlägertruppe der Antifa“ sei.
Drohbriefe Der Nürtinger SPD-Bundestagsabgeordnete Nils Schmid hatte laut Medienberichten vor zwei Wochen Drohbriefe erhalten, die sich gegen ihn und außerdem noch weitere Personen richteten. Daraufhin durchsuchte die Polizei mit einem Großaufgebot den Nürtinger Bahnhof, in dem sich das Büro des sozialdemokratischen Politikers befindet.
Empörung hat folgender Passus ausgelöst: „Um sicherzustellen, dass das Versammlungsverbot eingehalten wird, wird die Einwirkung auf Personen durch einfache körperliche Gewalt, Hilfsmittel der körperlichen Gewalt oder Waffengebrauch angedroht. Dies ist nach Abwägung der gegenüberstehenden Interessen verhältnismäßig.“ com

 

"Wahren Sie den Respekt“

Appell Oberbürgermeister und Landrat fordern zu mehr Solidarität auf.

Kreis. In einem gemeinsamen Brief haben die Oberbürgermeister Matthias Klopfer, Christoph Traub, Dr. Johannes Fridrich, Dr. Pascal Bader, Roland Klenk und Christof Bolay sowie Landrat Heinz Eininger zu mehr Respekt untereinander und mehr Solidarität für die Mitmenschen aufgefordert. „Jede Impfung, jede Abstandswahrung, jeder korrekt angewandte Mundschutz ist ein Beitrag, die Pandemie zu stoppen“, heißt es in dem gemeinsamen Schreiben.
Weiter gehen die Rathauschefs auf die zunehmende Aggressivität bei den „Spaziergängen“ und die Hasskriminalität im Netz und Drohungen gegenüber haupt- und ehrenamtlichen Kommunalpolitikerinnen und -politikern ein. „In unserer Demokratie sind freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und freie Wahlen verfassungsmäßig geschützt und möglich. Das Recht auf freie Meinungsäußerung erreicht aber dort Grenzen, wo sachliche Kritik ausbleibt und stattdessen Beleidigungen, Hetze und Gewalt geäußert und angewandt werden“, schreiben die Politiker weiter. In ihren Augen hat die Häufung und Schwere der Beleidigungen und Drohungen ein Niveau angenommen, das nicht mehr hinnehmbar ist. All diejenigen, die für ihren Einsatz für ein funktionierendes Miteinander in Städten, Kreisen und Gemeinden verbal oder körperlich angegriffen und bedroht würden, verdienten den Schutz des Staates und der gesamten Gesellschaft. pm