Kurz mal googeln, etwas auf der Webseite nachlesen oder eine E-Mail verschicken – all das macht Ansgar Seitz nicht. Denn er hat keinen Internetzugang. Der 64-Jährige aus Neuhausen hat zwar einen alten Computer, aber den benutzt er nur, um Fotos zu verwalten oder Excel-Listen zu erstellen. Einen Drucker besitzt er nicht, zur Not schreibe er wichtige Dinge eben vom Bildschirm ab. Als Konstrukteur hat er mit CAD-Programmen gearbeitet, und selbstverständlich hatte er in seinem Job eine Mail-Adresse und Internetzugang. Doch seit er im Vorruhestand ist, hat er sich bewusst entschieden, analog zu leben.
Alles über ELSTER
Leben ohne Internet – das sei möglich, werde aber schwieriger. So wurmt es ihn, dass er mittlerweile einen Steuerberater beauftragen muss, weil die Einkommenssteuererklärung nur noch elektronisch per ELSTER möglich ist. „Kann mich der Staat wirklich dazu zwingen?“, fragt sich Seitz. Auf die Palme aber bringt ihn auch die neue Grundsteuer. Seine Erklärung hat er schriftlich eingereicht, entsprechende Formulare gibt es ja. Zehn Monate lang hat Ansgar Seitz nichts gehört – bis ihm jetzt eine Mahnung ins Haus flatterte. Wie kann das sein? Hinter sich hat der 64-Jährige eine kleine Odyssee, um bei einem Sachbearbeiter des Esslinger Finanzamts nachzufragen. Unter der angegebenen Servicenummer ist nie jemand zu erreichen. Irgendwann schwingt er sich aufs Fahrrad und fährt zum Finanzamt, um vor Ort nachzufragen. Aber dort steht er mit einem anderen jungen Mann, der einen Eingangsstempel für seine Papiere haben möchte, vor verschlossenen Türen. „Man hatte fast das Gefühl, die verbarrikadieren sich dort“, sagt Ansgar Seitz.
Dem Eindruck widerspricht Michael Baun, Leiter des Esslinger Finanzamts. Fakt sei, dass Kundinnen und Kunden die Servicecenter nur mit einem reservierten Online-Termin und zu den Öffnungszeiten besuchen könnten. „Es geht leider nicht ohne Termin“, sagt der Behördenleiter. Den könne man aber auch telefonisch vereinbaren. Allerdings: „Die telefonische Erreichbarkeit ist derzeit sehr schlecht“, bedauert Michael Baun. Weil im Moment viele wie Ansgar Seitz ein Schreiben wegen der Grundsteuer erhalten, würden die Drähte heißlaufen. „Die Krux ist, dass die Anrufer auch dann ein Freizeichen hören, wenn alle Leitungen besetzt sind“, sagt Baun. Im Übrigen würden derzeit keine Mahnungen wegen der Grundsteuer verschickt, sondern es sind so genannte Erinnerungsschreiben. „Es werden keine Verspätungszuschläge fällig, wir wissen, dass es sich hier um einen Kraftakt handelt“, so Michael Baun.
Sogar noch Fax vorhanden
Alle schriftlichen Anträge wie der von Ansgar Seitz muss die Behörde einscannen. Fehle auch nur ein Detail oder kann nicht zugeordnet werden, erscheint der Vorgang gar nicht erst im System – und das Erinnerungsschreiben geht raus. Wer telefonisch auch nach vielen Versuchen keinen Erfolg hat, soll sich am besten über das Kontaktformular an das Finanzamt wenden. Auch ein Brief sei möglich. „Wir sind eine Behörde, bei uns gibt es Papier, wir haben ja sogar noch Fax“, sagt Baun selbstironisch. Auch Ansgar Seitz hat jetzt ein Einschreiben an das Finanzamt mit der Bitte um Klärung geschickt.
Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben, stoßen in vielen Lebensbereichen auf Schwierigkeiten. Betroffen sind vor allem Senioren. Ob Konzerttickets bestellen oder Arzttermine buchen – vieles geht online. „Gut die Hälfte unserer Klientel hat aber gar keine Mail-Adresse“, sagt Josef Birk, Vorsitzender des Stadtseniorenrats Esslingen, „das führt tendenziell zu Ausgrenzung, die weiter zunehmen wird.“ Der Stadtseniorenrat ermutigt dazu, die Herausforderungen anzunehmen. Hilfe gebe es zum Beispiel von den Digitalmentoren oder anderen kostenlosen Angeboten. Aber er ist zugleich der festen Überzeugung, dass Senioren ein Recht darauf haben, auch ohne Netz zu leben. „Ein 80-Jähriger muss sagen dürfen, dass er das nicht mehr schafft oder nicht schaffen will“, findet er, das müssten gerade Behörden beachten und alternative Zugänge ermöglichen.
Das Leben ohne Internet meistern
Terminvereinbarung Bei den Finanzämtern ist vorab ein Termin nötig, um persönlich vorsprechen zu können. Der muss online oder telefonisch gebucht werden. In einer Pressemitteilung weist die Oberfinanzdirektion Karlsruhe darauf hin, dass es wegen der aktuell vielen Rückfragen zur Grundsteuerreform zu längeren Wartezeiten bei der telefonischen Kontaktaufnahme kommt. Andere Behörden wie etwa der Esslinger Bürgerservice bieten für dringende Angelegenheiten auch Spontanbesuche an, dann sind aber Wartezeiten möglich. Bei sehr starkem Besucheraufkommen sei die Ausgabe von Tagestickets begrenzt, heißt es auf der städtischen Webseite.
Umfrage Menschen, die keinen Zugang zum Internet haben, stoßen in nahezu allen Lebensbereichen auf Schwierigkeiten. Das ist das Ergebnis einer Umfrage der Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen (BAGSO), an der mehr als 2300 Menschen ab 60 Jahre teilgenommen haben. Betroffen sind nicht nur Ältere, die das Internet nicht nutzen, sondern auch jene, deren digitale Kompetenzen für die oft komplexen Anforderungen nicht ausreichen. Große Schwierigkeiten bereiten demnach die Digitalisierung von Bürgerdiensten, der öffentlichen Verwaltung und des Bankensektors. pep