Knut J. ist so was von begeistert: „Rundum perfekt“ sei der Aufenthalt gewesen. Wolfram L. fand’s ebenfalls „perfekt“, er gibt ebenfalls die Höchstnote. Und so geht es weiter: „Großartig“, „Immer wieder gern zu Gast“ – eine Salve an Lobeshymnen. Eine homöopathische Dosis Wasser tröpfelt freilich auch in den Wein, in Summa aber reicht es zur stolzen Gesamtnote 4,0 – dem Spitzenplatz im Ranking: „Nr. 1 von 15 Hotels in Esslingen am Neckar“, heißt es ausdrücklich. Dumm nur, dass das erste Haus am Platz noch gar nicht existiert.
Die Bewertungen für das künftige Leonardo Hotel Esslingen fanden sich bis Dienstag auf dem Online-Touristikportal Tripadvisor. Eröffnet wird das Hotel beim Neckarforum erst am 10. Januar 2024. Dass für das neue Haus einer großen Kette die Zeugnisse den Leistungen vorausgehen, wurde in der hiesigen Hotellerie mit Missmut registriert: „Hat die Leonardo-Gruppe das nötig?“, lautet eine gallige Frage. Nein, hat sie nicht, lautet die Antwort vonseiten des Konzerns. „Wir haben damit nichts zu tun und als Hotelbetreiber keinen Einfluss auf das, was die Online-Plattformen verbreiten“, sagt eine Sprecherin. Eine Aussage, die von einem Branchenkenner, der anonym bleiben will, auf Anfrage weitgehend bestätigt wird.
Anfrage an Tripadvisor blieb unbeantwortet
Wer steckt dann dahinter? Eine Bitte um Aufklärung, die am 19. Dezember an Tripadvisor gerichtet wurde , blieb bislang unbeantwortet. Reagiert hat der Plattformbetreiber trotzdem, und zwar sehr schnell: Die 351 angekündigten Einzelbewertungen, die am Nachmittag des 19. Dezember noch angeklickt werden konnten, waren am Abend desselben Tages nicht mehr sichtbar. Das Ranking und eine auf den Bewertungen basierende Grafik blieben allerdings auf der Website. Schaute man sich die Bewertungen an, wurde schnell klar, dass sie sich mit ihren Datierungen auf das frühere Hotel Park Consul im selben Gebäude beziehen, das schon Ende 2020 geschlossen wurde. Die Brendal Group als Betreiber meldete damals für ihre Hotels Insolvenz an – laut eigener Aussage wegen der Corona-Flaute. Über drei Jahre steht das Esslinger Hotelgebäude leer, bis die international tätige Leonardo-Gruppe am 10. Januar an den Start geht – nach etlichen Umbauten und Umgestaltungen.
Baubedingte Verzögerungen wegen Lieferschwierigkeiten hatten zur Verschiebung des ursprünglich für den Sommer 2023, dann zum Beginn des Weihnachtsmarktes geplanten Eröffnungstermins geführt. Die Stadt als Besitzerin des Gebäudes kam der lange Leerstand mit hohen Kosten für den Gebäudeunterhalt (über 20 000 Euro im Monat) und fehlenden Pachteinnahmen (knapp 800 000 Euro im Jahr) teuer zu stehen. Dazu kommen städtische Investitionskosten von 2,7 Millionen Euro vor der Übergabe an Leonardo.
Der Neuanfang bedeutet jedenfalls ein neues Hotel, nicht eine Wiedereröffnung des alten. Insofern sind die Tripadvisor-Bewertungen äußerst verwirrend, zumal fast jede von einer Antwort des Hotels kommentiert wird und diese Antworten einem „Hotel Park Consul Team Esslingen am Neckar im Leonardo Hotel Esslingen“ zugeschrieben werden. Als ob das frühere Personal nach drei Jahren Schließung im neuen Hotel antrete.
Auch auf anderen Buchungsportalen ist das Hotel zu finden
Tripadvisor ist indes kein Einzelfall. Das Buchungsportal hotel-mix.de treibt es noch grotesker. Dort finden sich lobende Bewertungen vom Sommer 2023 – aus einer Zeit, als definitiv kein Hotelbetrieb im Haus am Neckarforum stattfand, nämlich .
Auf Trivago steht eine Bewertungsgrafik zum noch nicht eröffneten Hotel, auf Booking.com zwar keine individuelle Bewertung, aber unterm Stichwort „Stammgäste“ die rätselhafte Botschaft: „Sie“ (die Unterkunft, also das Leonardo Hotel, Anm. d. Red.) „hat mehr wiederkehrende Gäste als die meisten anderen Unterkünfte.“ Gäste, die aus einer nicht existenten Unterkunft wiederkehren – klingt nach Horrorfilm oder abgedrehter Mystik. Auch die Betreiber dieser drei Portale wurden von uns angeschrieben. Eine Antwort kam nur von Booking.com: „Die Angabe zu den wiederkehrenden Gästen wurde automatisch auf Basis der bei uns im System hinterlegten vergangenen Informationen und Buchungsdaten zu dieser Immobilie gezogen und bezieht sich damit auf das frühere Hotel. Wir bitten wegen der Verwirrung um Entschuldigung.“ Entfernt wurde die Aussage bislang nicht.
Für Daniel Ohl, den Pressesprecher der baden-württembergischen Sektion des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga), belegen die Esslinger Exempel den Zwiespalt, der mit den Online-Bewertungen verbunden ist: „Sie sind wirkmächtig, weil sich viele Gäste bei Buchungen an ihnen orientieren. Deshalb kann sie kein Hotelier ignorieren. Aber sie sind keineswegs immer zuverlässig.“ Selbst wenn die Faktenbasis – anders als im Esslinger Fall – korrekt ist, blieben die Bewertungen „subjektiv“. Der Dehoga biete deshalb mit seinem Sterne-System eine standardisierte Beurteilung an. Eine pauschale Bewertung der Bewertungen lehnt Ohl jedoch ab. Bei allen Risiken böten die Online-Zensuren „auch Chancen, vor allem für kleine und mittlere Betriebe.“