Esslingen. Es ist still. Drei weiße Luftballons in Herzform wiegen sanft in der Luft. Dahinter haben sich hunderte Menschen versammelt. Sie sind an der katholischen Kirche St. Elisabeth in der Pliensauvorstadt zusammengekommen, um ihrer Trauer und Fassungslosigkeit über den tragischen Unfall in der vergangenen Woche in Esslingen-Weil Ausdruck zu verleihen. Nach gemeinsamen Gebeten in der Kirche warten sie nun darauf, dass sich der Trauermarsch in Bewegung setzt – Ziel ist die Unfallstelle, an der eine Woche zuvor eine Mutter und ihre zwei kleinen Söhne ums Leben gekommen sind.
Fast eine Stunde vor Beginn der Andacht am frühen Dienstagabend fahren die ersten Autos vor der Kirche St. Elisabeth vor. Schon bald sind die Parkplätze belegt, viele Fahrzeuge müssen Kehrt machen. Unterdessen kommen immer mehr Menschen zu Fuß an. Man nickt sich grüßend zu, winkt verhalten, immer wieder gibt es stumme Umarmungen. Viele hier kennen sich – und sie kennen die Familie, die drei Tote zu betrauern hat und Teil der italienischen katholischen Gemeinde Esslingen ist.
Trauermarsch als Form der Solidarität
So wie Francesca Quattrocchi, deren Sohn mit der verstorbenen Mutter befreundet war. „Ich will Anteilnahme zeigen, damit er weiß, dass er nicht alleine ist“, sagt sie mit Blick auf den Mann, der seine Frau und seine drei- und sechsjährigen Söhne verloren hat. Sie habe selbst zwei Enkel im Alter der verstorbenen Kinder und sei völlig schockiert gewesen von der Nachricht über den tragischen Unfall. Der Trauermarsch, auf italienisch Fiaccolata, sei in Italien üblich, um bei einem Trauerfall Anteilnahme und Solidarität zu zeigen.
Das bestätigt Serafina Kuhn, Gemeindereferentin bei der Katholischen Gesamtkirchengemeinde Esslingen, zu der die italienische Gemeinde gehört, die den Trauermarsch organisiert hat. Kuhns Büro befindet sich in der Pliensauvorstadt und sie war früher selbst in der italienischen Kirchengemeinde tätig: „Daher habe ich zu den Menschen hier eine besonders enge Beziehung“, sagt sie. Eine „Fiaccolata“ sei ein Fackelzug, der traditionell in Dörfern Italiens veranstaltet werde, wenn eine Tragödie passiere wie vergangene Woche in Weil. Man laufe gemeinsam mit Fackeln oder Kerzen zur Unfallstelle. „Das wird gemacht, um den Opfern zu gedenken und ein weiteres Mal Leid und Schmerz mit den Angehörigen zu teilen“, so Kuhn. In einer Situation, in der es für die Hinterbliebenen eigentlich keinen wirklichen Trost gebe, zeige man ihnen, dass sie Menschen an ihrer Seite haben, die einfach da sind und den Trauerweg mitgehen.
Das zeigen am Dienstagabend mehrere hundert Menschen. Bei der Andacht vor dem Trauermarsch ist die Kirche St. Elisabeth voll besetzt, es müssen sogar zusätzliche Stühle aufgestellt werden. Als Pfarrer Charles Unaeze das Wort ergreift, ist es mucksmäuschenstill. Er spricht von dem Unfall als tragischem Unglück, das alle in Schock und Fassungslosigkeit versetze. Aber auch von der Solidarität der Gemeinde, die an der Seite der betroffenen Familien stehe und den Schmerz mit ihnen ertrage.
Nach mehreren gemeinsamen Gebeten auf Italienisch und Deutsch begibt sich die Trauergemeinde nach draußen. Es ist inzwischen dunkel, nur die Kerzen, die fast alle in der Hand tragen, leuchten. Angeführt von den drei weißen Herzballons setzt sich der stille Zug in Bewegung. Schweigend laufen die Trauernden durch die Straßen der Pliensauvorstadt, viele halten sich an der Hand oder im Arm – eine schier endlos erscheinende Lichterkette schlängelt sich über Parkstraße und Weilstraße bis zum Sportpark Weil, bei dem vergangene Woche die 39-Jährige und ihre drei und sechs Jahre alten Söhne ums Leben gekommen sind. Noch immer ist unklar, wie genau es zu dem verheerenden Unfall gekommen ist, bei dem ein Auto von der Weilstraße abkam und auf den Gehweg schleuderte, wo die Mutter mit ihren zwei Söhnen unterwegs war.
Auch Oberbürgermeister zeigt Trauer und Anteilnahme
Auf dem Gelände des Sportparks kommt man in einem großen Kreis zusammen. Pfarrer Unaeze betet, sagt aber auch: „Es ist nicht einfach zu beten, wenn wir so viele Fragen haben und so viel Trauer im Herzen.“ Dennoch dürfe man den Glauben nicht verlieren und müsse weiter vorangehen. Dann stimmt er inmitten den Lichtermeers zusammen mit einer Sängerin das Lied „Amazing Grace“ an. Auch Oberbürgermeister Matthias Klopfer ist gekommen, um seine Trauer und Anteilnahme zu zeigen – unter anderem mit einem Gedicht und der Aussage: „Esslingen ist seit einer Woche eine andere Stadt – und auch meine Welt ist seit einer Woche eine andere.“
Dann werden die drei weißen Herzballons losgelassen, die schnell im Dunkel der Nacht verschwinden und manch einen mit Tränen in den Augen zurücklassen – für viele scheint die Trauer damit erst richtig zu beginnen.
Polizei untersucht den Unfallhergang
Unfall: Am Dienstag vor einer Woche wurden eine 39-Jährige und ihre drei und sechs Jahre alten Söhne gegen 17 Uhr auf dem Gehweg auf Höhe des Sportparks Weil in Esslingen von einem Auto erfasst. Sie erlagen noch an der Unfallstelle ihren schweren Verletzungen. Der Wagen war auf der Weilstraße in Richtung Mettinger Brücke unterwegs gewesen und aus noch ungeklärter Ursache ins Schleudern geraten und von der Fahrbahn abgekommen.
Ermittlungen: Die Polizei ermittelt gegen den 54 Jahre alten Unfallfahrer wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung. Die Ergebnisse einer Blutuntersuchung, die Aufschluss über eine mögliche Beeinträchtigung des Fahrers durch Alkohol oder Drogen geben soll, liegen nach Angaben der Polizei noch nicht vor. Der Unfallverursacher hat sich bislang noch nicht zur Sache geäußert, sondern laut Polizei von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht.