Kinderwunsch
"Ich bin eine von denen“: Wenn es mit dem Baby einfach nicht klappt

Mehrere Jahre lang hatte die Lenningerin Mirjam Brox mit Unfruchtbarkeit zu kämpfen. Nun hat sie in Kirchheim eine Selbsthilfegruppe für Menschen gegründet, die sich in einer ähnlichen Situation befanden oder noch befinden. 

Im Laufe der mehr als vierjährigen Tortur hat Mirjam Brox mehr Schwangerschaftstests gemacht, als sie zählen kann. Foto: Fiona Peter

Mirjam Brox sitzt im Badezimmer, vor ihr das kleine Stäbchen, das ihr bereits so viele schmerzliche Momente bereitet hat. Die Uhr scheint langsamer zu ticken als gewohnt. Ding. Fünf Minuten. Mit pochendem Herzen greift sie nach dem Test. Ein Blick und eine Linie genügen, um ihre Hoffnung zu zerschmettern. Nicht schwanger. Schon wieder.

Nach Angaben der „World Health Organisation“ (WHO) ist weltweit jede sechste Person im Laufe ihres Lebens von Unfruchtbarkeit betroffen. „Ich bin eine von denen“, sagt Mirjam Brox.

Die Stimmung in diesem Wartezimmer war wie auf einer Beerdigung.

Mirjam Brox

Dass sie eines Tage Mutter werden möchte, hat Mirjam Brox immer gewusst. Eilig hat sie es damit aber nicht. Erst Karriere, dann Kinder – das ist der Plan. Als sich Mirjam und ihr Mann Felix Brox einig sind, dass der Zeitpunkt stimmt, ist sie schon 36 Jahre alt. „Ich hatte nicht den Glauben, dass ich die Pille absetze und es direkt passiert“, erinnert sie sich. Was in den darauffolgenden Jahren auf sie zukommt, liegt dennoch jenseits aller Erwartungen.

Mit der Gebärmutter stimmt etwas nicht

Nach rund einem halben Jahr wird Mirjam Brox das erste Mal schwanger. In der sechsten Woche verliert sie das Kind. „Das war natürlich bitter, aber statistisch gesehen noch erklärbar“, so Brox. Die zweite Schwangerschaft lässt nicht lange auf sich warten. Doch auch diesmal stirbt das Kind.

Unter die Trauer des Paars mischt sich Verunsicherung, und die beiden ziehen die Kinderwunschklinik in Esslingen zu Rate. Dort ist das Problem bald gefunden: Mirjam Brox hat eine herzförmige Gebärmutter. Bei dieser angeborenen Fehlbildung weist der Uterus oben eine mittige Einkerbung auf. Ist der Uterus nur leicht verformt, hat das in der Regel keine Auswirkung auf die Schwangerschaft; bei einer starken Ausprägung, wie in Mirjam Brox‘ Fall, besteht jedoch ein erhöhtes Risiko für Fehlgeburten – unter anderem, weil dem Kind der Platz zur Entwicklung fehlt. Die heute 41-Jährige erinnert sich an die Worte des Chefarztes der Klinik für Frauenheilkunde in Ostfildern: „Frau Brox, Sie können jederzeit wieder schwanger werden, aber mit der Gebärmutter werden Sie niemals Mama.“

Doch Mirjam Brox ist nicht bereit, das Handtuch zu werfen und entscheidet sich für eine Operation. Eine Nürtinger Klinik soll die Einkerbung chirurgisch korrigieren und gleich noch nachsehen, ob mit ihren Geschlechtsorganen sonst alles in Ordnung ist. Als sie aus der Vollnarkose erwacht, teilt der Chirurg ihr jedoch die Schocknachricht mit: Die Gebärmutter sehe in seinen Augen „okay“ aus. Er habe sich daher spontan entschlossen, die Einkerbung nicht zu entfernen. „Ich war fassungslos und unheimlich wütend“, erzählt Mirjam Brox. Die Verformung muss bei einer zweiten Operation korrigiert werden.

Rückschlag nach Rückschlag

Um die Chancen auf eine Schwangerschaft zu erhöhen, entscheidet sich das Paar, die Zeugung vom Schlafzimmer ins Labor zu verlegen und es erst mit Insemination, nach ausbleibendem Erfolg schließlich mit künstlicher Befruchtung zu versuchen. Dabei handelt es sich keinesfalls um den leichteren Weg. Mirjam Brox berichtet von nicht enden wollenden Untersuchungen und schmerzhaften Eingriffen. Alleine ist sie mit ihrem Elend nicht. „Die Praxis war zu allen Zeiten immer gleich voll“, erinnert sich sie sich. Entmutigung, Frust und Trauer hätten schwer in der Luft gehangen: „Die Stimmung in diesem Wartezimmer war wie auf einer Beerdigung.“ 

Bei den ständigen Arztbesuchen hören ihre Pflichten jedoch nicht auf. Auch das tägliche Setzen von Spritzen gehört zum Prozess. Hinzu kommt, dass die Hormontherapien bei ihr zur Bildung von Zysten führen, die operativ entfernt werden müssen. Im Grunde, so Brox, habe sie ihr ganzes Leben nur nach den Behandlungszyklen ausgerichtet.

Ich konnte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr hoffen. Ich wollte nur Mama sein.

Mirjam Brox

Doch der absolute Tiefpunkt steht Mirjam Brox noch bevor: Obwohl sie sich überrumpelt und nicht wohl bei dem Gedanken fühlt, lässt sie sich von ihrem Arzt zu einer Art hormonellem „Reset“ überreden. Vor dem nächsten künstlichen Befruchtungsversuch sollen ihre Hormone so auf ein Ursprungslevel zurückgebracht werden.

„Das war wirklich der Supergau“, beschreibt sie die Erfahrung. Durch die Behandlung gerät ihr Emotionshaushalt komplett aus den Fugen, und sie erkennt sich selbst kaum wieder. Nicht nur ihre Ehe – auch freundschaftliche, familiäre und geschäftliche Beziehungen – werden während dieser Zeit auf die Probe gestellt. „Es war wesensverändernd“, so Brox. „Nach fünf Wochen habe ich es nicht mehr ausgehalten. Ich wollte nur noch runter von diesem Trip.“

Für sie ist klar: Dieser Versuch wird der letzte sein. „Ich konnte nicht mehr. Ich wollte nicht mehr hoffen. Ich wollte nur Mama sein.“ Und für einen flüchtigen Moment sieht es so aus, als werde ihr Wunsch endlich erfüllt. Sie wird mit Zwillingen schwanger. Doch beide Kinder sterben. Sie bricht endgültig zusammen.

Das Leben geht weiter

Niemals Mutter werden – dieser Aussicht starrt die Lenningerin nun entgegen. Adoption kommt für sie in Frage, für ihren Mann ist es keine Option. „Wir haben uns nie gegenseitig Vorwürfe gemacht“, berichtet Mirjam Brox. „Er hat immer gesagt: Wir machen so lange weiter, wie du noch möchtest und kannst.“ Das, so Brox, habe die Reißleine und damit auch die Verantwortung für das gemeinsame Ziel allerdings einzig und allein in ihre Hände gelegt.

Die heute 41-Jährige gesteht, sich selbst unter immensen Druck gesetzt zu haben. Sogar eine Trennung habe sie in Betracht gezogen: „Ich dachte, eine andere Frau könnte ihm seinen Traum zumindest erfüllen.“

Diese Idee verwirft Mirjam Brox glücklicherweise, und zwingt sich, nach vorne zu sehen. Ihre neue Devise: Endlich wieder leben. Statt sich von ihrem unerfüllten Kinderwunsch paralysieren zu lassen, schreibt sie eine Bucket-List mit anderen Träumen: Wünsche wie „Fallschirm springen“ und „nach Paris reisen“ stehen darauf. Doch das Leben hat andere Pläne für sie.

Ein Wunder geschieht

Schwanger? Als ihre Periode länger ausbleibt, könnte Mirjam Brox diese Idee kaum lächerlicher erscheinen. Auf das Drängen einer Freundin macht sie doch einen Test, und kann ihren Augen kaum trauen. Auch nach zahlreichen weiteren Tests und Arztbesuchen dauert es lange, bis sie sich traut, zu akzeptieren: Ich werde Mama. Einige Monate später, im Oktober 2024, wird ihre Tochter geboren.

Mutterschaft, so Brox, sei so wie sie es sich vorgestellt habe „und doch ganz anders“. Das Thema unerfüllter Kinderwunsch begleitet die 41-Jährige trotzdem weiter. Eigentlich möchte sie gerne mehr Kinder. Nachdem sie bei der Geburt ihrer Tochter fast gestorben wäre, ist diese Option aber vom Tisch.

Familie Brox bereut es nicht, all die Strapazen – die Schmerzen, die Zeit, den Kreislauf aus Euphorie und Angst, Hoffnung und Enttäuschung – auf sich genommen zu haben, doch es war alles andere als leicht. „Ich konnte so lange weder mich leiden noch meinen Körper“, beichtet Mirjam Brox unter Tränen.

Wenig hilfreich seien auch die ständigen ungefragten Ratschläge, die invasiven Fragen und verletzenden Sprüche gewesen, die von allen Seiten in Richtung des Paars geflogen kamen. „Ein Ratschlag ist am Ende auch ein Schlag“, betont Mirjam Brox. Gesellschaftliches Umdenken beim Thema Kinderwunsch hält die Mutter für dringend nötig. Ein Anfang sei es, wenn Unfruchtbarkeit kein Tabu-Thema und Rechtfertigung nicht mehr nötig sei.

Es muss niemand allein leiden

Obwohl es sich bei dem unerfüllten Kinderwunsch um ein derart verbreitetes Problem handelt, hat sich Mirjam Brox auf ihrem Weg oft unverstanden und isoliert gefühlt. Um anderen Menschen in ähnlichen Situationen dieses Leid zu ersparen, hat sie die Initiative ergriffen und eine Selbsthilfegruppe gegründet.

Die Gruppe soll einen Raum schaffen, in dem sich Betroffene untereinander finden, austauschen und unterstützen können. Mirjam Brox stellt klar, dass in der Gruppe nicht nur Frauen und kinderlose Menschen willkommen sind, sondern alle, die etwas beizutragen haben. „Man darf dort schwach sein, aber auch Erfolge feiern“, so Brox.

Das erste Treffen der Kinderwunschgruppe fand bereits Mitte des Monats statt. Das Feedback? „Sehr, sehr positiv.“ Künftig ist geplant, jeden Monat einmal zusammenzukommen. „Man kann auch ganz unverbindlich vorbeischauen“, fügt Mirjam Brox hinzu. Ihr wichtigster Ratschlag ist und bleibt aber: „Vernetzt euch! Tauscht euch aus!“

Die monatlichen Treffen finden in der Familienbildungsstätte (FBS), Widerholtstraße 4, in Kirchheim statt. Anmelden können sich Interessierte über die FBS-Homepage (www.fbs-kirchheim.de), wo regelmäßig auch die kommenden Termine bekanntgegeben werden. Das nächste Treffen ist auf Mittwoch, 4. Juni, um 19 Uhr angesetzt. Zum jetzigen Stand sind die Folgetermine am 20. August, 17. September, 15. Oktober, 19. November, 17. Dezember und 14. Januar um dieselbe Uhrzeit. Weitere Informationen gibt es auch auf dem Instagram-Account @kiwu_kirchheim.

Dinge, die Mirjam Brox gerne früher gewusst hätte 

Schwangerschaft und Schilddrüse hängen eng miteinander zusammen: Ein Schilddrüsenwert im Normbereich ist nicht unbedingt ausreichend für einen Kinderwunsch.

Unfruchtbarkeit liegt genauso häufig am Mann wie an der Frau. Auch der Lebensstil des Mannes wirkt sich auf die Qualität der Spermien aus und spielt daher eine entscheidende Rolle.

Ein Spermiogramm – die gängige Form der Spermienuntersuchung – kann nur begrenzt Auskunft geben. Ob die DNA der Spermien intakt ist, kann nur durch eine Spermien-DNA-Fragmentierung festgestellt werden.

Kinderwunschkliniken informieren oft nicht über alle Behandlungsmethoden. Es ist daher ratsam, selbst zu recherchieren und sich bei der Krankenkasse zu erkundigen.

Viele Paare schaffen es trotz mehrerer Behandlungszyklen nicht, ein lebendes Kind auf die Welt zu bringen oder überhaupt schwanger zu werden.