Geht nicht, gibt‘s nicht. Ohne dass er selbst dieses Motto ausgibt, beschreibt es die Haltung, mit der Dietmar Jauss die Dinge anpackt. 30 Jahre lang war er Ortsvorsteher in Gutenberg. Und obwohl es in dem Lenninger Teilort keine Schule mehr gibt und auch die Versorgung mit Lebensmitteln besser sein könnte - im Talschluss herrscht ein besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl. Das wird deutlich an Aktionen wie einst dem Bau des Sporthauses. Dabei krempelte Dietmar Jauss wie viele andere die Ärmel hoch. Das zeigt sich aber auch am Bachstelzenfest, wenn das ganze Dorf auf den Beinen ist. Dass der Gewinn in eine gemeinsame Kasse fließt, versteht sich von selbst. Beispielhaft ist auch die Sanierung des Backhauses: Dafür schoss die Dorfgemeinschaft 10 000 Mark zu. „Wir hatten als erster Ort in Lenningen einen Teigraum“, sagt Dietmar Jauss. Dabei schwingt wie so oft Stolz über den besonderen Geist mit, der in Gutenberg herrscht. Den pflegte der Ortsvorsteher unter anderem mit Rundbriefen an alle Ehemaligen, die er alljährlich vor Weihnachten verfasste, und dem Silvesterwiegen. Zu der Gaudi lud er am 31. Dezember neben den Ortschaftsräten auch alle Mitarbeiter und die Höhlenführer ein.
Warum er 1989 Ortsvorsteher geworden ist? „Ich habe immer gesagt, das macht man, oder man macht es nicht“, sagt Dietmar Jauss. Das galt auch, als er darum gebeten wurde, den Vorsitz des Musikvereins zu übernehmen, den er 13 Jahre innehatte. Heute ist der Schlagzeuger mit 72 Jahren das älteste aktive Mitglied des Vereins.
Mit großer Selbstverständlichkeit ging Dietmar Jauss in den drei Jahrzehnten als Ortsvorsteher all die Dinge an, die es zu erledigen galt: Die Umsetzung des Baugebiets „Blumenring“ fiel genauso in seine Amtszeit wie die Erweiterung des Friedhofs und die Umgestaltung des Rathausvorplatzes. Dafür, dass sich im Ort etwas bewegte, ging er gern voran. „Neue Ideen einzubringen, ist wichtig“, betont Dietmar Jauss. So entstand im Ortschaftsrat die Idee, einen Biosphärenmarkt aufzuziehen, als Frühjahrs- und Herbstmarkt vor sich hin dümpelten. 2020 findet er nun bereits zum zehnten Mal statt.
In den 30 Jahren, in denen Dietmar Jauss Ortsvorsteher war, erschienen auch die große Ortschronik, eine Broschüre über die Gutenberger Höhlen und ein Buch über Karl Gußmann, das der Förderkreis Schlössle mit der Bücherei und der Gemeinde herausgab. Bei solchen Projekten unterstützend mitzuwirken, war für Dietmar Jauss nie eine Frage.
„Ich habe ihn mit Herzblut gemacht“, sagt der sympathische 72-Jährige mit dem unverkennbaren weißen Lockenschopf über seinen Nebenjob, der seit dem Beginn seines Ruhestands vor neun Jahren mehr und mehr Zeit in Anspruch nahm. Der Job begann für ihn nicht erst im Rathaus, wo kurioserweise der Schlüssel andersherum ins Schloss gesteckt werden muss als üblich. „Viele Leute haben mich auf der Straße angesprochen, wenn sie etwas vorbringen wollten“, sagt er. „Das ist normal.“ Ob irgendwo das Gras zu hoch war oder ein Baum Schatten schmiss, im Winter zu viel oder zu wenig gestreut wurde - Tag und Nacht klingelten die Bürger an seiner Haustür, riefen an oder schrieben E-Mails - „die wenigsten kamen mit ihren Anliegen in die Sprechstunde“, sagt Dietmar Jauss. Nicht selten galt es, zu vermitteln. Taktieren war dabei seine Sache nicht. „Man muss ehrlich sein. Fertig.“
Gut erinnert sich Dietmar Jauss an seine Anfangszeit, als er nächtelang „auf dem Rathaus hockte“, um sämtliche Ordner zu studieren. „Ich habe jedes Blatt durchgelesen. Manches auch zweimal.“ Eine aus dem Jahr 1954 stammende „Handreichung für Standesbeamte“ war die ganze Unterstützung für seine erste Traurede. Dass er früher als andere samstags Trauungen anbot, lockte auch manch Auswärtigen nach Gutenberg.
Terminsitzungen mit Vereinen, die Belange des Weilers Krebsstein, die Wälder und Berge, von denen Gutenberg auf drei Seiten umschlossen ist, die Situation der Feldwege, die Wasserversorgung, der Bauwagen, in dem sich Jugendliche treffen können, Besprechungen mit Landwirten, die Herbstschafweide, die Gutenberger Steige - um all diese Themen, die bislang das Leben von Dietmar Jauss bestimmten, wird sich künftig der Ortsvorsteher Harald Röhner kümmern. Dietmar Jauss und seine Frau Waltraud werden sich indes rasch daran gewöhnen, dass kaum noch E-Mails eingehen, und das Telefon schweigt. „Jetzt ist es gut“, sagt er mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie er drei Jahrzehnte lang unermüdlich für Gutenberg geackert hat. „Jetzt bin ich ein Bürger wie jeder andere.“