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IG Metall: Mitbestimmung bei Zukunftsthemen

Gewerkschaft   Alessandro Lieb ist seit gut einem halben Jahr Erster Bevollmächtigter der IG Metall im Landkreis Esslingen. Er spricht über seine Ziele, die Transformation und über die Zukunft des Standorts.  Von Henrik Sauer

Die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen beschäftigt Alessandro Lieb schon sein ganzes Berufsleben. Noch während seiner Ausbildung zum Industriemechaniker bei der ehemaligen Firma ZF Lenksysteme in Schwäbisch Gmünd, heute Robert Bosch Automotive Steering, wurde er Jugendvertreter. An der Mitbestimmung im Betrieb fand er großen Gefallen. 2014 wurde er freigestellter Betriebsrat und 2018 Betriebsratsvorsitzender für den Standort Schwäbisch Gmünd. Nur ein Jahr später hatte er dort seinen ersten großen Härtetest zu bestehen, als das Unternehmen den Abbau von 2000 Stellen ankündigte: „Wir haben damals erreicht, dass es keine betriebsbedingten Kündigungen und eine Standortsicherung gibt.“

2021 wechselte Lieb als Gewerkschaftssekretär zur IG Metall. In der Bezirksleitung Baden-Württemberg in Feuerbach widmete er sich den Themenschwerpunkten Transformation und Digitalisierung. In dieser Funktion hatte er auch Kontakt zur Esslinger IG Metall und hiesigen Betrieben. Im Juni 2022 wurde er in Esslingen zunächst als Nachfolger von Jürgen Groß zum Zweiten Bevollmächtigten, und nach dem Ruhestand von Gerhard Wick 2023 zum Ersten Bevollmächtigten gewählt.

Ganz oben auf der Prioritätenliste steht bei dem 32-Jährigen der Erhalt des Wirtschaftsstandorts Landkreis Esslingen und damit der Beschäftigung, wie er sagt. Ziel müsse sein, bei dem derzeitigen Wandel den Beschäftigten Sicherheit und Perspektive zu geben. Hierfür würde Lieb gerne das Recht auf Mitbestimmung der Arbeitnehmervertreter ausweiten auf die Ansiedlung von neuen Produkten und Projekten an bestehenden Standorten: „Dies ist bislang eine rein unternehmerische Entscheidung, über die die Chefs mit uns nicht reden müssen.“ Sein Anliegen sei es, „intensiv an Argumenten zu arbeiten, warum es richtig und wichtig ist, neue und Folgeprojekte im Landkreis Esslingen zu platzieren.“

Dafür sprächen vorhandene industriellen Strukturen und Fachkräfte, die duale Ausbildung und politische Sicherheit. Die Personalkosten, die meis­tens zuerst als Gegenargument angeführt würden, dürfe man zwar nicht außer Acht lassen, sie dürften aber nicht das einzige Kriterium sein: „Das ist eine zu einseitige Betrachtung.“
 

Potenzial bei der Digitalisierung

Wie ist aus seiner Sicht der Stand der Transformation in den Betrieben? „Beim Maschinenbau nehme ich es bei allen Betrieben wahr, dass ihnen die Veränderungen klar sind und sie auch andere Märkte für die spanende Bearbeitung in den Blick nehmen oder nach ganz neuen Möglichkeiten suchen“, sagt er. Nachholpotenzial sehe er bei der Digitalisierung. Damit meine er weniger die Produkte an sich als vielmehr die internen Prozesse: „Schafft es ein Unternehmen, dass man vom Angebot bis zur Inbetriebnahme der Maschine beim Kunden alle Prozessschritte digital verfolgen kann? Bei diesem Punkt haben wir noch einiges vor uns.“

Hierzu gehört für ihn auch, alle Mitarbeiter zu befähigen, sich die digitalen Grundkenntnisse anzueignen: „Wir erleben hier ein Auseinanderdriften von Beschäftigungsgruppen.“ Lieb verweist auf die „Agentur Q“, eine gemeinsame Einrichtung von IG Metall und dem Arbeitgeberverband Südwestmetall, die Betriebe diesbezüglich unterstützt.

Wie begleitet die Gewerkschaft die Transformation? Neben der Möglichkeit, Zukunftstarifverträge zu schließen, in denen Punkte wie Qualifizierung der Beschäftigten, Veränderungen im Betriebsablauf und Investitionen im Hinblick auf eine konkrete Zukunft des Standorts beschrieben seien, nennt Lieb den Zukunfts-Check der IG Metall. Mit diesem Werkzeug, das Lieb in seiner Zeit bei der Bezirksleitung mitentwickelt hat, werde zusammen mit dem Betriebsrat eine Bestandsaufnahme gemacht, wie gut das Unternehmen für die Zukunft aufgestellt ist. „Es geht darum, ein gemeinsames Verständnis aus den unterschiedlichen Sichtweisen in den verschiedenen Unternehmensbereichen hinzubekommen.“ Das nächste Ziel sei dann, dieses gemeinsame Verständnis auf die Belegschaft zu übertragen. Zwölf bis 15 solcher Checks seien im Bereich der Esslinger IG Metall bisher gemacht worden.

Kein Stellenabbau im großen Stil

Ein Stellenabbau im größeren Stil zeichne sich derzeit nicht ab, sagt Alessandro Lieb: „Das erste bis dritte Quartal wird für die Unternehmen herausfordernd. Aber konkrete Anzeichen für einen konjunkturell bedingten größeren Stellenabbau gibt es derzeit nicht.“

Und wie beurteilt der Esslinger IG-Metall-Chef die aktuellen Geschehnisse zum Thema Rechtsextremismus aus gewerkschaftlicher Sicht? Die Demonstrationen pro freiheitlich demokratischer Grundordnung stimmten ihn positiv, sagt er. „Auch wir als Gewerkschaft sehen uns in dieser Verantwortung, bei der Vielfalt an Nationalitäten, die in den Betrieben herrscht. Mitbestimmung ist das Fundament der Demokratie. Es geht für uns darum, Lösungen für die Leute in den Betrieben zu bekommen, damit sie keine Existenzängste haben müssen, die rechte Tendenzen befördern könnten.“

Aus tariflicher Sicht steht für die Metall- und Elektrobranche im Herbst die nächste Tarifrunde an. „Der Forderungsbeschluss kommt Mitte des Jahres“, sagt Lieb, deshalb könne er noch nicht konkreter werden: „Wir wollen früh einsteigen und ab Anfang des zweiten Quartals mit den Beschäftigten die Diskussion beginnen.“