Ausstellungseröffnung
Im Boden spielen sich bei den gigantisch kleinen Lebewesen Dramen ab

Sven Marhan sprach im Naturschutzzentrum Schopflocher Alb über die spannende Welt der oft skurril aussehenden, minikleinen Tierchen, die unter der Erdoberfläche leben. 

Das Interesse an den gigantisch kleinen Lebewesen war bei der Ausstellungseröffnung im Schopflocher Naturschutzzentrum groß. Foto: Iris Häfner

Der Krimi unter unseren Füßen – es ist unglaublich, was sich im Boden abspielt, wenn wir über eine Wiese laufen. Was es da für Kuriositäten gibt, sehen sie hier auf diesen Bildern“, sagt Dr. Sven Marhan von der Universität Hohenheim. Er führt in die Sonderausstellung „Gigantisch klein – Einblicke in die winzig kleine Lebewelt der Bodentiere“ ein, die noch bis zum 27. April im Naturschutzzentrum Schopflocher Alb zu sehen ist. 

Das Interesse an den kleinen Tierchen ist groß und hat die Erwartungen der Veranstalter übertroffen, es mussten noch Stühle herbeigeschafft werden. Aufmerksam lauschten die Zuhörerinnen und Zuhörer dem Vortrag „Tiere im Boden – klein aber wichtig“ des Professors. Die anschließende Fragerunde gestaltete sich lang, vielseitig und überaus interessant.

 

Die Springschwänze können richtig gut und weit springen. Vor allem die Kugelspringer sind richtig gut darin.

Sven Marhan

 

Sven Marhan hat sich der Bodenbiologie verschrieben. Die Forschung mit den Kleinstlebewesen im Boden steckt noch in den Kinderschuhen. Deshalb weiß niemand, ob es hier auch ein Artensterben oder invasive Arten gibt, wie ein Zuhörer wissen wollte. „Wir haben eine Hecke geschnitten und beobachten, wie das die Bodenfauna beeinflusst. Ist das eine Störung für die Lebewesen oder hat das einen positiven Effekt – oder gehen Schädlinge in die Ackerfrüchte rein?“, nennt Sven Marhan die Fragen, denen er und seine Studierenden nachgehen. Bei bis zu zwölf Meter Bearbeitungsbreite der Ackergeräte samt sich einstellender Monokultur stellt sich auch die Frage, welchen Einfluss die moderne Landwirtschaft auf die Artenvielfalt im Boden hat.

Dr. Marco Drehmann, Geschäftsführer des Naturschutzzentrums, geht das Herz bei kleinen Tieren auf. „Auf den Bildern sind skurrile Sachen zu sehen wie der Ameisenlöwe. Die Tiere haben teilweise eine unglaubliche Ästhetik, man kann richtige Schönheiten entdecken“, warb er bei seiner Begrüßung für das Betrachten der rasterelektronenmikroskopischen Tieraufnahmen aus der wissenschaftlichen Arbeit des Senckenberg Museums für Naturkunde Görlitz. Weil die Bodentiere mit bloßem Auge oft nicht zu erkennen sind, werden sie bis zu 200.000-fach vergrößert.

Was die Tiere machen oder nicht machen, interessiert Sven Marhan. Er zählt Beine, um zu wissen, ob es sich um Insekten (sechs) oder Spinnen (acht) handelt – wobei auch da manche Tierchen tricksen und auf die falsche Fährte führen. „Eines haben sie aber gemeinsam: Sie müssen in den Boden reinkommen und da gibt es diverse Möglichkeiten“, erklärte er. Dazu kommen abiotischen Faktoren. „Feuchtigkeit nimmt zu oder Licht und Sauerstoff nimmt ab. Bei vielen Arten gibt es deshalb keine Pigmentierung, Rückbildung der Augen und eine höhere CO2-Toleranz“, nannte er Beispiele. Bei Fadenwürmern rechnen die Wissenschaftler mit 50.000 Tieren pro Quadratmeter Wiesenboden. „Das entspricht 20 Großvieheinheiten auf einen Hektar – die Masse ist also  vergleichbar mit Großvieh“, sagte Sven Marhan. Regenwürmer finden sich in Bodentiefen bis zu drei Meter. In der Tiefe von neun bis zehn Zentimetern spielt sich das meiste Leben ab, je weiter es nach unten geht ist es weniger belebt.

Sven Marhan. Foto: pr

„Fadenwürmer sind Pfanzenparasiten und für Tomaten relativ schädlich. Es gibt aber auch nützliche Nematoden: Pilzfresser, Bakterienfresser und Räuber. Sie beschleunigen Mineralisationsprozesse und setzen Nährstoffe frei – aber es gibt auch nematodenfressende Pilze“, führte der Professor aus. Dieser Krimi spiele sich innerhalb von Minuten oder mehreren Tagen ab. Nematoden sind Überlebenskünstler. „Im Anabiosestadium sind sie fast tot, der Stoffwechsel extrem reduziert. Bei bestimmten Bedingungen erwachen sie wieder. In einem 24.000 Jahren alten Eiskern in Sibirien konnten sie aufgetaut und wieder zum Leben erweckt werden.“ Auch im All würden die Tierchen starke Widerstandskraft zeigen. 

Bärtierchen haben Stilette

Nematoden häuten sich und legen Eier, manche sind getrenntgeschlechtlich, manche Zwitter und manche schaffen die Parthenogenese, sprich die Jungferngeburt. „Sie brauchen keinen Partner zu finden. Bei vielen Bodentieren ist das ein häufiger Weg bei der Fortpflanzung.“ 

Auch wenn die Bärtierchen vergrößert niedlich aussehen, sind sie das nicht. „Sie haben acht Beine mit Klauen und der Rüssel hat nadelscharfe Stilette, mit denen sie ihre Beute anstechen und aussaugen“, beschreibt er das Fressverhalten. Silberfischchen sind flügellose Nützlinge, viele von ihnen leben im Boden. Es sind Hexapoden, also Sechsfüßer. Sie gelten als die artenreichste Organismengruppe, zu denen auch die Springschwänze gehören. „Die können richtig gut und weit springen, es gibt viele verschiedene Arten. Vor allem die Kugelspringer sind richtig gut darin“, erzählt er. In einem Rückwärtssalto kommen die wenige Millimeter großen Tierchen dank ihrer Sprunggabel bis zu 30 oder gar 35 Zentimeter weit, um einem Fressfeind zu entkommen. Wichtig sind sie für die Humusbildung, denn sie ​​​​​​​ernähren sich unter anderem von Totholz.

Weniger beliebt bei den Menschen sind dagegen die Blindspringer. „Sie treten gerne in Blumentöpfen in Massen auf“, sagt Sven Marhan. Sie sind etwa drei Millimeter groß, weiß und schädigen – egal ob in Freiland oder unter Dach – die Pflanzen, insbesondere Sämlinge.