Seit Monaten finden sich auf der Tagesordnung des Amtsgerichts Nürtingen ungewöhnlich viele Fälle des „Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse“. Bei den meisten handelt es sich um Vergehen im Zusammenhang mit falschen Angaben zur Corona-Impfung. „Pro Referat dürfte derzeit durchschnittlich eine derartige Sache pro Woche auf der Tagesordnung stehen“, sagt Sabine Kienzle-Hiemer, Direktorin des Amtsgerichts in Nürtingen.
„In der Tat hat die Corona-Pandemie im Deliktsbereich des Gebrauchs unrichtiger Gesundheitszeugnisse ihre Spuren hinterlassen“, bestätigt auch Martin Raff, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Reutlingen, in dessen Zuständigkeitsbereich auch der Landkreis Esslingen fällt. Die Fallzahlen seien von zehn Fällen im Jahr 2020 auf 172 Fälle im Jahr 2021 angestiegen. „Das ist wenig verwunderlich, da die erste Corona-Impfung in Deutschland Ende Dezember 2020 verabreicht wurde und die G-Regelungen, also bestimmte Freiheiten bei nachgewiesener Impfung, erst später eingeführt wurden“, so Raff. Zwar fielen darunter auch Fälle von gefälschten Maskenattesten, gefälschten Genesenen-Bescheinigungen sowie Fälle ganz ohne Corona-Bezug, „wir können jedoch sagen, dass es sich in der deutlichen Mehrheit um falsche Impfnachweise handeln dürfte“, so Raff. Doch wie kommt die Polizei den Tätern auf die Spur? „Hinweise auf Verdachtsfälle von gefälschten Impfausweisen erhält die Polizei von unterschiedlichen Seiten“, sagt Raff. „Regelmäßig stammen solche Meldungen jedoch von Apotheken, bei denen der Impfausweis zur Ausstellung eines digitalen Impfzertifikats vorgelegt wird.“
Auch in der Nürtinger Mörikeapotheke haben des Öfteren Leute versucht, mit falschen Angaben zu Corona-Impfungen an digitale Zertifikate zu kommen. Die Mitarbeiter wissen jedoch, worauf sie achten müssen und erkennen Fälschungen. „Am einfachsten erkennt man einen falschen Impfpass an der Chargennummer“, sagt Inhaber Christoph Schilling. Als Charge bezeichnet man eine bestimmte Menge an Impfstoffdosen, die in einem Produktionsgang unter identischen Bedingungen entstanden sind. Jede Charge wird mit einer Chargennummer gekennzeichnet, welche auch auf dem Aufkleber im Impfpass aufgedruckt ist. Apotheken haben die Möglichkeit zu prüfen, ob eine im Impfpass genannte Nummer zu der verimpften Dose der Covid-19-Impfstoffe passt. Daneben gibt es aber noch andere Warnzeichen, auf die die Mitarbeiter achten. „Zum Beispiel, wenn in einem Impfpass nur die Covid-Impfungen vermerkt sind und sonst nichts“, sagt Schilling. Auch die angebliche Unterschrift des behandelnden Arztes kann Hinweise geben. „Wer sich seine Impfungen in einem Impfzentrum abgeholt hat, hat diese mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht von ein und demselben Arzt bekommen. Wenn die Unterschriften aber alle gleich aussehen, sollte das stutzig machen.“
Haben die Mitarbeiter einen verdächtigen Impfpass vor sich liegen, wird aber nicht gleich die Polizei gerufen. „Wir reden dann erst einmal mit den Leuten und fragen, wann sie sich haben impfen lassen und bei welchem Arzt.“ Auch die Reaktion der Leute könne einiges verraten. „Manche werden dann sehr nervös“, sagt Schilling. Um ganz sicher zu gehen, fragen die Apotheken-Mitarbeiter dann noch bei den Ärzten selbst nach, die angeblich unterschrieben haben sollen. „Wenn diese dann bestätigen, dass die Unterschrift gefälscht ist, wird Anzeige erstattet“, so Schilling. Ende vergangenen Jahres habe man in der Mörikeapotheke einige gefälschte Impfpässe vorgelegt bekommen. „Seitdem die meisten Corona-Regeln weggefallen sind und man den Impfstatus kaum noch vorzeigen muss, haben wir keine Fälle mehr“, so Schilling.
Nun sind vor allem die Gerichte mit den Vergehen beschäftigt. Mit dem neuen Infektionsschutzgesetz sind die Strafen für gefälschte Impfpässe deutlich verschärft worden. „Damals waren die Taten strafbar als Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse nach § 279 StGB, jedoch nur bei Vorlage des Dokuments bei Versicherungsgesellschaften oder Behörden. Hier im Bezirk insbesondere bei der Einreisekontrolle am Flughafen Stuttgart“, so Richterin Sabine Kienzle-Hiemer.
Gefälschter Impfpass: Welche Strafen drohen?
Seit der Strafrechtsänderung im November 2021 ist bereits der bloße Besitz eines Impfpasses mit falscher Impfeintragung strafbar, zum Beispiel wenn dieser zu Hause aufbewahrt wird. Ersttätern droht nun eine saftige Geldstrafe. Wiederholungstäter und Vorbestrafte könnten sogar Freiheitsstrafen von bis zu einem Jahr bekommen.
Wer einen gefälschten Impfpass ausstellt, der muss mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder mit einer Geldstrafe rechnen. In besonders schweren Fällen droht sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
In den meisten Fällen bleibt es jedoch bei einer Geldstrafe. Ein Verhandlungstermin muss erst dann angesetzt werden, wenn jemand Einspruch einlegt. „Der Tatvorwurf an sich wird nicht bestritten. Es geht primär um die Höhe der Geldstrafe, genauer gesagt um die Höhe des Tagessatzes, die sich an den Einkommensverhältnissen und etwaigen Unterhaltspflichtverpflichtungen des oder der Angeklagten orientiert, worüber jedoch auch im Beschlusswege, somit ohne Hauptverhandlung, entschieden werden kann“, sagt die Nürtinger Richterin Sabine Kienzle-Hiemer.
Kommt es zu einer Verhandlung, bekommen die Richter immer wieder dieselbe Erklärung zu hören: „Angst vor der Impfung und etwaigen Folge- oder Nebenwirkungen sowie den Wunsch, wieder am ,normalen‘ Leben teilhaben zu können“, so Kienzle-Hiemer.
Auch wenn immer wieder Verhandlungstermine am Amtsgericht Nürtingen angesetzt werden müssen, in den wenigsten Fällen kommt es am Ende auch tatsächlich zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. „In den meisten Fällen wird – meist auch erst kurz vor dem Termin – der Einspruch entweder zurückgenommen oder auf die Tagessatzhöhe beschränkt und einer Entscheidung im Beschlusswege zugestimmt“, sagt die Leiterin des Amtsgerichts Nürtingen. mk