Weilheim. „So ein Angeber“, dachte sich Irene Hocker, als ein junger Mann den „Neckarblick“ in Nürtingen betrat. Hochgewachsen war er und kam erst nach all seinen deutlich kleineren Motorradfreunden in das Nürtinger Lokal, als wären sie seine Entourage. Hielt der sich für etwas Besonderes? Irene Hocker arbeitete schon eine ganze Weile im Neckarblick. Die Schwägerin ihrer Schwester hatte sie bekniet, dort als Bedienung auszuhelfen. Dutzende Gäste hatte sie schon bewirtet, aber dieser hier stach ihr ins Auge.
Schnell stellte die junge Frau fest, dass sie sich in dem jungen Mann gewaltig getäuscht hatte. Gerhard Hocker war Stammgast in dem Nürtinger Lokal und gehörte nicht ohne Grund zu den beliebtesten Kunden. Die junge Irene fand schnell heraus, dass der ehemalige Marinesoldat gar nicht mal so übel war. Doch die Leute tuschelten. „Ach, der meint es doch eh nicht ernst“, waren sie sich einig. Manche sagten ihr das auch direkt ins Gesicht. Irene erzählte ihrem Gerhard von den Gerüchten – und der machte kurzen Prozess: „Weißt du was? Dann verloben wir uns einfach.“ Ein kleines Problem gab es aber noch: Mutter und Vater wussten noch nichts von dem neuen Liebesglück. „Ich habe meinen Eltern erst danach von der Verlobung erzählt“, erinnert sich Irene Hocker. Verschwiegen hatte sie ihren streng katholischen Eltern allerdings, dass ihr Liebster evangelisch ist. Doch auch dieses Geheimnis wurde schnell gelüftet – und stand dem jungen Glück letztlich nicht im Weg. Am 19. Mai 1962 läuteten die Hochzeitsglocken: Irene Hockers Bruder, ein Ordensgeistlicher, traute die beiden.
Das junge Paar lebte zunächst bei Irene Hockers Mutter in Weilheim, doch dort wurde es schnell eng: Exakt neun Monate nach der Hochzeit erblickte Martin das Licht der Welt, der erste Sohn des Ehepaars Hocker. Die junge Familie zog in eine eigene Wohnung in Weilheim. Drei Zimmer auf 56 Quadratmetern waren fortan ihr Zuhause. Das änderte sich zunächst auch dann nicht, als in den Jahren 1964, 1966 und 1970 Jürgen, Gerd und Mathias auf ihren großen Bruder Martin folgten.
Mit vier Kindern wurde es dann aber doch zu eng, und das Ehepaar ging wieder zu Irene Hockers Mutter. Die hatte sich gemeinsam mit ihrem Mann ein altes Bauernhaus gekauft. Doch ein Jahr nach dem Kauf verunglückte Irene Hockers Vater tödlich. Anstatt das Bauernhaus im Angesicht der großen Umbauarbeiten wieder zu verkaufen, krempelten Irene und ihre fünf Geschwister die Ärmel hoch und bauten das Haus selbst um. „Wir haben alles selbst gemacht – bis auf die Heizung“, berichten Irene und Gerhard Hocker stolz. Bis heute wohnen sie in dem Weilheimer Haus, das für seinen zur Osterzeit hübsch geschmückten Brunnen berühmt ist.
Das selbstgebaute Heim würde sich laut Gerhard Hocker auch anbieten, um morgen die diamantene Hochzeit gebührend zu feiern. Doch die vier Söhne bestehen darauf, dass die Eltern zur Feier des Tages ausgehen und sich umsorgen lassen sollen. Darum geht es zum 60. Hochzeitstag mit der großen Familie nach Häringen ins Rössle. Katharina Daiss