Weilheim und Umgebung
Im Wohlfühlstall gibt’s Schweinemüsli

Tierhaltung Die Idee der „Bad Boller Strohschweine“ bietet Landwirt Philipp Aichele Planungssicherheit – und den Schweinen ein hohes Maß an Tierwohl. Von Constantin Fetzer

Tierhaltung mit guter Perspektive – das gilt in Bad Boll sowohl für die Aussicht auf die Schwäbische Alb vom Auslauf aus, als auch die Philosophie, mit der Philipp Aichele auf dem Lindenhof seine Strohschweine hält. „Wir bieten unseren Tieren ein tolles zu Hause, achten auf gutes Futter und ein angenehmes Stallklima“, erklärt der Landwirt.

2020 hat er zusammen mit seinem Bruder Friedrich den Hof gekauft und den bestehenden Stall nach den höchsten Tierwohlstandards umgebaut, sodass die Tiere 100 Prozent mehr Platz als gesetzlich vorgeschrieben haben. Und: Sie haben einen vergleichsweise großen Außenbereich, den sie gerne nutzen. „Übrigens auch bei Minusgraden“, berichtet Philipp Aichele – das könne jeder über einen Livestream auf der Webseite sehen. Eine Kamera hält das schweinische Treiben rund um die Uhr fest. So kann man sich anschauen, was Haltungsstufe 4 bedeutet, Premium - die beste, die es gibt: Statt Spaltenboden laufen die Tiere auf Stroheinstreu und haben eine Fußbodenheizung im Winter. Eine Klimaanlage im Sommer sorgt für angenehme Temperaturen im Stall, da Schweine keine Schweißdrüsen besitzen und unter großer Hitze ansonsten leiden würden.

 

Wir bieten unseren Tieren ein tolles Zuhause und achten auch auf gutes Futter.
Philipp Aichele
Landwirt
 

Zur gesamten tierbewussten Philosophie gehört für die Familie Aichele aber noch mehr: Das Futter zum Beispiel müssen sich die Tiere aus einer speziellen Futterschale herausarbeiten. „Das hält sie in Bewegung und sie fressen nicht so schnell – das ist viel gesünder“, erklärt Aichele. Das Getreide für dieses „Schweinemüsli“ kommt aus einem Umkreis von maximal acht Kilometern, das Soja wird in der EU produziert und kommt nicht wie bei großen Mastbetrieben aus Südamerika oder anderen weit entfernten Teilen der Welt.

Höhere Standards

Überhaupt scheint die Schweinewelt hier in Bad Boll irgendwie noch in Ordnung. Die Tiere werden nicht zu einem bestimmten Stichtag schlachtreif und im Turbogang hoch gemästet, sondern haben ein möglichst stressfreies Leben mit ihren Artgenossen. Schon die ausschließlich weiblichen Ferkel, die die Familie Aichele von Züchter Ernst Rösch aus Schalkstetten erhält, wachsen die ersten Wochen ganz normal auf. Der Tierwohlstall des Ferkel-Betriebs geht weit über die jetzigen gesetzlichen Anforderungen hinaus – und legt höhere Standards, als die kommenden gesetzlichen Vorschriften der neuen Haltungs-Verordnung, die in 14 Jahren gültig sein wird.

Etwa sechs Monate sind die Tiere auf dem Hof bei Familie Aichele. Dann werden sie im nahegelegenen Metzger-Schlachthof in Göppingen möglichst stressfrei „von fest angestellten und erfahrenen Mitarbeitern verarbeitet“, wie Samuel Rüger, Vorstand bei der Metzgergenossenschaft Mega Stuttgart, mit Blick auf die Lebensmittelskandale von Industrieschlachtern in der Vergangenheit, betont. Der Metzgermeister und Diplom-Fleischsommelier hat das Qualitätsfleischprogramm „Bad Boller Strohschwein“ entwickelt. Er weiß: Viele Endverbraucher haben einen hohen Anspruch an Transparenz, Tierwohl und Fleischqualität.

Vertrag sichert Sicherheit

Mit Exklusivlieferant Philipp Aichele hat die Mega darum einen langfristigen Liefervertrag geschlossen, mit deutlich höheren Preisen, die die Arbeit des Landwirts und die besondere Art der Tierhaltung angemessen honorieren. „Nur so können wir dem Landwirt eine wirtschaftliche Perspektive bieten und ihn zur Investition in Tierwohlstallungen motivieren“, erklärt Samuel Rüger. Denn: Nur mit festen Abnahmeverträgen gibt es zum Beispiel Fördergelder für den Stallbau.

Dieses Gesamtkonzept hat natürlich seinen Preis, den die Kunden beim Metzger aber offenbar bereit sind, zu bezahlen. „Das Fleisch gibt es nur bei wenigen ausgesuchten Metzgereien in der Region“, erklärt Samuel Rüger. Eine große Menge kann Philipp Aichele auf diesem nachhaltigen Niveau ohnehin nicht produzieren. Das muss er auch nicht. „Klasse statt Masse“ ist das Motto, mit der die Mega-Genossenschaft bereits mit der hauseigenen Marke „Staufenfleisch“ und „Stauferico“-Schweinefleisch gute Erfahrungen gemacht hat.

Die Haltungsformen in der Schweinemast

Stufe 1 Mindestfläche 0,75 Quadratmeter pro Tier (Stallhaltung), veränderbares Beschäftigungsmaterial – mindestens eine Kette, zum Beispiel mit einem Holzstück.

Stufe 2 Mindestfläche 0,825 Quadratmeter pro Tier (Stallhaltung) – also mindestens 10 Prozent mehr als gesetzlich vorgeschrieben. Zusätzliches organisches Beschäftigungsmaterial aus natürlichen Materialien.

Stufe 3 Mindestfläche 1,05 Quadratmeter pro Tier (Stallhaltung mit Außenklimareizen, mindestens Offenfrontstall) – also mindestens 40 Prozent mehr als vorgeschrieben. Organisches Beschäftigungsmaterial und Stroh.

Stufe 4 Mindestfläche 1,5 Quadratmeter pro Tier (Stallhaltung mit ständigem Zugang zu Auslauf oder Freilandhaltung) – also 100 Prozent mehr Platz als vorgeschrieben. Organisches Beschäftigungsmaterial, Stroh oder vergleichbares müssen immer verfügbar sein. In dieser Stufe werden die Bad Boller Strohschweine gehalten. fet