Der Blick geht unweigerlich nach oben. Die Ausmaße der Keller unter der Stadthalle K3N in Nürtingen sind gigantisch. Hier würde ohne Zweifel ein Wohnhaus reinpassen. Ein bisschen wirkt es wie eine Kathedrale unter der Erde. Mehrere Keller reihen sich hier aneinander.
Stadthallenmanager Michael Maisch hat den Schlüssel zu diesem Gewölbe. Der Weg dorthin führt an den beiden Blockheizkraftwerken und an vielen Reglern und Schaltpulten vorbei. Dann heißt es: sich bücken, um nicht mit dem Kopf an die dicken Heizungsrohre zu stoßen. Eine unscheinbare Tür führt dann in eine andere Welt. Der unwirtliche Zugang ist auch der Grund, warum Führungen im Kellergewölbe ausgeschlossen sind. „Die nötigen Bauhelme sind nicht das Problem“, sagt Maisch. Viel eher der Weg, der an zahlreichen Apparaturen vorbeiführt und wo tunlichst niemand einen Knopf drücken sollte. An eine Belebung der Keller ist somit nicht zu denken.
Früher hatte das Kellergewölbe wohl mehrere Ausgänge. Nun geht es nur noch über den K3N-Heizungskeller in Nürtingens wohl größten und höchsten Keller. Unmittelbar neben dem Eingang gibt es noch einen Notausgang, der über eine Leiter nach oben führt. „Das war damals für die Kegelbahn“, erzählt der K3N-Geschäftsführer. Ganz richtig, hier unten wurde mal gekegelt. 1985 oder 1986 rollten hier die letzten Kugeln. In dem Gewölbe deutet heute nichts mehr darauf hin – bis auf eine kleine Reminiszenz: Zwei weiße Kegel fungieren quasi als Korken für die Toilettenleitung.
Dabei waren die Nürtinger einst richtig stolz auf diese „mustergültige Kegelbahnen“, die sogar das richtige Turniermaß aufwiesen. Unumstritten war der Bau unter der Stadthalle allerdings nicht. Einigen Stadträten war das Vorhaben schlicht zu teuer. Zudem erforderte die im Untergrund herschende Feuchtigkeit ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit. „Holz wird nur verwendet, wo es gar nicht mehr anders geht, vor allem bei den Bahnen“, schrieb ein NZ-Redakteur einst über die tiefliegende Sportstätte. Mithilfe von Drainagen, Zusatzisolierungen und Zwischendecken versuchte man dem Problem Herr zu werden.
Domizil des Jazzclubs
Feucht ist der Keller auch heute noch. Je weiter man sich von der Tür zum Heizungskeller entfernt, umso matschiger ist der Boden. Alle vier Wochen schaut das Team der Stadthalle mal nach dem Rechten. Es gibt aber Räume, da hat schon länger keiner mehr einen Fuß hineingesetzt. Dabei boten diese Kellerräume einst sogar dem „Nürtinger Jazzclub 1960“ ein Domizil. Doch der Eingang führt heute über eine schmale Treppe, mit Matsch und Geröll auf den Stufen. Hier schwang einst „Swingi“, der wilde Jazz-Geist sein Zepter. Die Nürtinger Zeitung berichtete von der Eröffnung am 25. Februar 1961. Sieben Freunde hatten sich demnach zusammengeschlossen, um „eine Lücke im kulturellen Leben unserer Stadt zu schließen“. Sie fanden schnell weitere Mitstreiter und einen passenden Raum im Kellergewölbe unter der Stadthalle. Die Stadtverwaltung gab dem Ansinnen nach.
Mit Farbe, Holz, Rohrmatten und viel Fantasie wurde aus einem Kellerraum ein Jazzclub. Bei der Eröffnung waren dann auch einige Gemeinderäte zugegen. Der Jazzclub-Vorsitzende bedankte sich artig für das Verständnis der älteren Generation und vergaß laut NZ auch nicht zu erwähnen, dass die Eltern oft ein Auge haben zudrücken müssen, weil die Töchter und Söhne nach getaner Arbeit im Jazzkeller erst sehr spät nach Hause gekommen seien.
Bei diesen guten Manieren wollte auch der damalige Berichterstatter kein Spielverderber sein und machte sich für die jungen Leute stark: „Warum auch nicht, solange sie andere, die an der heißen Musik keine Freude haben, nicht stören.“ Ein Motiv, das sich auch bei den Kegelbahnen wiederfindet. Anderer Autor, gleiche Sichtweise: „Was wichtig ist, der Kegelbetrieb wird sich hier bald entfalten, ohne jemand zu stören.“
Den Todesstoß für die Kegelbahnen versetzte somit nicht die Politik, sondern der Hausschwamm. Der Schimmelpilz hatte ganze Arbeit geleistet, was 2009 zu hektischer Betriebsamkeit in der Stadtverwaltung führte, verbunden mit der Frage: Hatte man beim 2003 abgeschlossenen Umbau der Stadthalle etwas übersehen? In diesem Zuge sind dann auch die letzten Reste der Kegelbahnen entfernt worden, nur noch zwei einsame Kegel halten heute Wache.
Mehrere Jahrhunderte alt dürfte mancher Keller unter dem K3N sein. Die Stützpfeiler in den Gewölben sind erst vor einigen Jahren hinzugekommen. „Damit Laster auch auf den Vorplatz der Stadthalle fahren können“, erklärt Maisch. Die Kathedrale unter der Oberfläche hat eine bewegte Geschichte. Einst nutzte sie die Sonne-Brauerei, die 1920 aufgelöst wurde. Viele Menschen haben im Zweiten Weltkrieg hier unten Schutz gesucht. Doch es gibt viele Geheimnisse, die wohl nie gelüftet werden.