Entgegen der bisherigen Annahmen würde sich eine Wiederinbetriebnahme der Boller Bahn lohnen, zumindest was das Fahrgastaufkommen angeht. Zu diesem Schluss kommt eine Studie, die von Landesverkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) vorgestellt worden ist.
Von 42 stillgelegten Strecken im Land wurden nur zwölf in die „Kategorie A“ eingestuft, was bedeutet: „Sehr hohes Nachfragepotenzial.“ Die Boller Bahn hat es in diese Kategorie geschafft und völlig überraschend auch das „Josefle“, die ehemalige Hohenstaufenbahn nach Schwäbisch Gmünd. Nun sind noch vertiefende Untersuchungen notwendig, doch eines ist bereits klar: Die Landkreise, die schnell reagieren und sich für eine mögliche Wiederbelebung der Strecke entscheiden, bekommen von Land und Bund 96 Prozent der Kosten erstattet. Außerdem übernimmt das Land bei entsprechendem Fahrgastaufkommen 100 Prozent der Betriebskosten.
Noch im März vergangenen Jahres war das Thema Boller Bahn inklusive Verlängerung nach Kirchheim vom Umwelt- und Verkehrsausschuss (UVA) des Landkreises vorläufig ad acta gelegt worden. Auf ein Fahrgastaufkommen von lediglich 1300 bis 1800 Bahnfahrern am Tag kam eine von den Kreisen Göppingen und Esslingen in Auftrag gegebene Studie. Eine Wiederinbetriebnahme der Strecke sah man damit als unrentabel an. Völlig andere Ergebnisse stellte gestern Gutachterin Petra Strauß von PTV Transport Consult vor. Sie geht von 7380 Einsteigern auf der Strecke Göppingen-Kirchheim aus, auf der Strecke nach Bad Boll noch von 4720. Entscheidend sind allerdings die sogenannten Personenkilometer pro Streckenkilometer: Hier liegen beide Abschnitte bei mehr als 2000 und damit in der Spitzengruppe aller untersuchten Strecken.
Hermann: „Greifen Sie zu“
Minister Hermann richtete gestern einen Appell an die politisch Verantwortlichen im Land: „Greifen Sie zu!“ Wer sich schnell entscheide, komme in den Genuss der Förderung. Bis Ende 2021 muss spätestens die Förderung einer Machbarkeitsstudie beantragt werden, diese wird zu 75 Prozent bezuschusst. Er verwies darauf, dass es sich bei der Potenzial- analyse noch nicht um eine Machbarkeitsstudie handele, dennoch wurden laut Gutachterin Strauß diverse Faktoren in die Untersuchung mit einbezogen, so etwa die Zahl der Arbeitsplätze und Schulen im Umfeld der Strecken. Und Gerd Hickmann vom Ministerium erklärte in der anschließenden Fragerunde, dass auch Probleme wie etwa Gebäude auf der früheren Trasse wie in Bad Boll schon berücksichtigt wurden. Solche Stellen könnten mit einem „stadtbahnmäßigen Ausbau“ umfahren werden. Das sei auch in Bad Boll möglich.
„Die aufgezeigten Fördermöglichkeiten durch Bund und Land, sowohl für die weitere Planung als auch die Investitionen bei der späteren Umsetzung, waren niemals zuvor so günstig“, stellte Landrat Edgar Wolff gestern nach Vorstellung der Studie fest. „Das ist positiv zu bewerten und eröffnet neue Chancen, die gemeinsamen Ziele für einen nachhaltigen Ausbau umweltfreundlicher Mobilitätsangebote voranzubringen.“ Vor diesem Hintergrund müsse die Haltung zu einer möglichen Reaktivierung der Strecken und auch ein möglicher Ringschluss bis Kirchheim neu bewertet werden.
Die Verwaltung werde nun zunächst mit den an den Trassen gelegenen Kommunen und dem Nachbarlandkreis sprechen, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Anschließend soll laut Wolff der UVA zeitnah beraten, ob der Landkreis in vertiefende Machbarkeitsstudien einsteigt, um die Chancen der Reaktivierung und gegebenenfalls des Ringschlusses bis Kirchheim zu klären.