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Ist Wasserstoff der richtige Weg?

Diskussion Die EnBW will in Altbach Strom und Wärme mithilfe von Wasserstoff gewinnen. Der Leiter eines Forschungsinstitutes hält diese Form der Energiegewinnung für ineffizient. Was sagen die Befürworter? Von Greta Gramberg

Ein Wasserstoffkraftwerk zur Strom- und Wärmegewinnung? Das sei, als würde man Champagner verbrennen, sagt der Leiter des Forschungsinstituts für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm, Franz Josef Radermacher. Er halte Pläne, die Klimakatastrophe mittels des Einsatzes von Wasserstoffkraftwerken in Europa abzuwenden, für wenig zielführend. Das hat der Globalisierungsexperte kürzlich bei einer Veranstaltung der Industrie- und Handelskammer (IHK) in Esslingen deutlich gemacht. Ausgerechnet diesen Weg will aber die EnBW an ihrem Kraftwerkstandort Altbach/Deizisau gehen. Warum halten Projektbeteiligte Wasserstoff für eine gute Idee?

Derzeit gilt grüner Wasserstoff als das Mittel, in der Zukunft Energie aus erneuerbaren Quellen in großem Stil zu speichern und über längere Strecken zu transportieren. Das ist notwendig, weil der Strom aus Wind- oder Sonnenkraft naturgemäß nicht stetig fließt. Was nicht direkt verbraucht wird, so die Idee, wird dazu verwendet, mittels sogenannter Elektrolyseure aus Wasser Wasserstoff zu gewinnen. Dieser kann auch dann zum Einsatz kommen, wenn der Wind stillsteht und die Sonne nicht scheint. Beispielsweise in der geplanten Gas- und Dampfturbinenanlage (GUD) in Altbach/Deizisau, die den Zielen der EnBW zufolge ab Mitte der 2030er-Jahre zum Wasserstoffkraftwerk umfunktioniert werden könnte. Bis dahin wird Erdgas verfeuert. Die GUD soll nach Angaben des Energieunternehmens 2026 die bestehenden Kohleblöcke ablösen. Schon im Erdgasbetrieb rechnet die EnBW mit CO2-Einsparungen im Vergleich zum derzeitigen Kohleeinsatz von 63 Prozent. Sie kalkuliert mit Investitionskosten von 590 Millionen Euro.

 

„Das ist, als würde man Champagner verbrennen.
Franz Josef Radermacher
Leiter des Forschungsinstitutes für anwendungsorientierte Wissensverarbeitung in Ulm
 

Das Gelingen des Projekts hängt allerdings davon ab, ob Wasserstoff in ausreichender Menge zur Verfügung steht. Es müssen Fabriken in windreichen Gegenden und ein Leitungsnetz zum Transport gebaut sowie die Kapazitäten der Elektrolyseure erweitert werden. „Alles hängt an der Umsetzung des Green Deals der Europäischen Union“, sagt Hannah Gruner, eine der kommerziellen Leiterinnen des Projektes am Standort Altbach/Deizisau.

Dass bis 2045, wenn Deutschland klimaneutral sein will, genug Wasserstoff zur Verfügung stehen wird und nur mit erneuerbaren Quellen Energiesicherheit und Wohlstand erhalten werden können, stellt Radermacher infrage. Er hält auch den Wirkungsgrad bei der Verwendung von grünem Wasserstoff für zu gering. Zwischen Windrad und Wasserstoffverbrennung gehe viel Energie verloren. Zudem weist er auf die hohen Kosten der Energiewende in Deutschland hin.

Radermacher votiert für eine globalere Sicht auf die Dinge: Der Mathematiker, Informatiker und Wirtschaftswissenschaftler findet es besser, stattdessen Investitionen in das klimafreundliche Wachstum anderer Weltregionen zu tätigen. In Schwellenländern wie Indien etwa, deren Treibhausgasemissionen pro Kopf noch weit unter denen in Europa oder den USA liegen, die aufgrund der Bevölkerungsdichte aber größere Auswirkungen auf das Weltklima haben.

Und die Energiezukunft in Deutschland? Neben der Energie aus Wind-, Sonnen- und Wasserkraft hält Radermacher als Absicherung nukleare und fossile Quellen für effizienter und kostengünstiger – letztere in Kombination mit Techniken der CO2-Abscheidung und -Speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS). Das in Kraftwerken oder Industrieanlagen anfallende CO2 könnte abgefangen und unterirdisch verpresst und gespeichert werden. Der Weltklimarat der Vereinten Nationen geht davon aus, dass die weltweiten Klimaziele ohne den Einsatz von CCS nicht erreicht werden können. Die Technologie ist unter Umweltschutzorganisationen allerdings umstritten. Zudem bleibt das Problem: Die Erdgas- und Ölvorkommen sind begrenzt.

EnBW will klimaneutrale Energie

Doch die EnBW setzt nicht auf CO2-Abscheidung, sondern auf Wasserstoff. Die geplante Anlage könne schnell und flexibel hoch- und runtergefahren werden. „Die CO2-Abscheidung ist nicht flexibel“, erklärt dazu Diana van den Bergh, ebenfalls in der Projektleitung. Sie sei teuer, platz- und energieintensiv und lohne sich nur in Anlagen, die permanent auf Hochtouren liefen, nicht aber für Kraftwerke, die vor allem auf Bedarfsspitzen im Versorgungsnetz reagieren sollen. „Ich glaube, dass es Industrien gibt, die das nötiger brauchen.

 

Das plant die EnBW in Altbach

Anlage Das Erdgas betriebene Kraftwerk am EnBW-Standort Altbach/Deizisau soll über eine elektrische Leistung von bis zu 750 Megawatt und eine Wärmeleistung von rund 170 Megawatt verfügen. Die Versorgung mit Erdgas und später Wasserstoff erfolgt über das Netz der EnBW sowie die im Bau befindliche Süddeutsche Erdgasleitung (SEL), die nach derzeitigen Informationen des Betreibers Terranets im Raum Esslingen bis Ende 2025 realisiert werden soll.


Baupläne Die neue Gas- und Dampfturbinenanlage (GUD) in Altbach wird neben dem Heizkraftwerk 1 aus dem Jahr 1985 errichtet. Der alte Steinkohlemeiler dient derzeit der Netzreserve und soll stillgelegt werden. Da das Gebäude unter Denkmalschutz gestellt wurde, wird es nicht abgerissen. Vielmehr werden Teile der neuen GUD in dem Bau Platz finden. Die neue Anlage wird nach Einschätzung der Projektleitung eine etwas geringere Einsatzzeit als Block 2 (1997) aufweisen, der derzeit am Markt und nach Angaben der EnBW jährlich 4700 Stunden in Betrieb ist. Der kohlegefeuerte Block 2 wird zur Stilllegung angemeldet. Sofern notwendig, könnte er auf Erdgas umgerüstet und in die Netzreserve gehen – die Entscheidung liegt bei der Bundesnetzagentur. gg