Zwischen Neckar und Alb
Jetzt steht die Neubaustrecke unter Strom

Bahn Auf der 60 Kilometer langen Trasse zwischen Wendlingen und Ulm beginnen die Testfahrten. Das Betreten der Gleisanlage ist jetzt lebensgefährlich. Von Elisabeth Maier

Auf der Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm steht die Oberleitung seit gestern mit 15 000 Volt unter Spannung. „Erst mal rollen noch keine ICEs über die Gleise“, sagt Christian Lammerskitten, der die eisenbahntechnische Ausrüstung für die Bahn-Neubaustrecke StuttgartUlm leitet. Zunächst seien Testfahrten mit langsamen Fahrzeugen angesagt. Die Leitungen müssten gründlich überprüft werden. Doch schon jetzt besteht im Bereich der Trasse Lebensgefahr, sollten Passanten der Bahnanlage zu nahe kommen.

Nach dem mehr als acht Kilometer langen Albvorlandtunnel, der in Wendlingen beginnt und in Dettingen endet, sind die Oberleitungsmasten entlang der Strecke aufgestellt. Nicht nur Flugdrachen oder Luftballons sind dann im Bereich der neuen Bahnstrecke tabu. Weil immer wieder Züge oder Testwagen unterwegs sind, müssen sich Passanten unbedingt von den Gleisen fernhalten. „Wer auf Brückenvorbauten, Maste oder Wagen klettert, begibt sich in Lebensgefahr“, sagt Christian Lammerskitten.

Bereits ein Abstand von weniger als drei Metern zu den stromführenden Anlagen könne zu einem tödlichen Stromschlag führen, warnt der Elektroingenieur. „Auch wer etwa Wasserschläuche in diesem Bereich nutzt, riskiert sein Leben.“ Schon bei einem Spaziergang entlang der Gleise droht Gefahr. Wenn die Züge heranfahren, nehme man sie kaum wahr, sagt der Experte: „Und es kann zu einem heftigen Sog kommen.“ Deshalb hätten Passanten in der Nähe der Gleise nichts zu suchen.

Der Projektleiter für die Stromleitungen freut sich, dass das Bahnprojekt nun auf der Zielgeraden ist. Die ersten ICE-Züge und der französische Schnellzug TGV sollen laut Fahrplan bereits ab Sonntag, 11. Dezember 2022, über die Neubaustrecke zwischen Wendlingen und Ulm rollen. „Bis dahin haben wir aber noch einiges zu tun.“ Denn die Testfahrten seien sehr komplex. In der vergangenen Woche gab es eine Kontrollfahrt mit Experten des Eisenbahn-Bundesamts. Nun wird unter Strom geprüft. Zunächst fahre man die neue Oberleitung mit langsameren Fahrzeugen ab, um alles genau zu prüfen. Bis dann die ersten ICEs über die Strecke rollen, dauert es noch einige Wochen.

Wenn die Neubaustrecke zwischen Stuttgart und Ulm im Dezember in den Regelbetrieb geht, soll die Durchschnittsgeschwindigkeit 250 Stundenkilometer betragen. „Bei den Testfahrten fahren wir aber mit einer Spitzengeschwindigkeit von bis zu 275 Stundenkilometern“, erklärt Lammerskitten. Es sei üblich, die Tests mit zehn Prozent höherer Geschwindigkeit durchzuführen. Ab dem 11. Dezember 2022 fahren die Züge von Stuttgart nach Ulm dann vom Hauptbahnhof über Wendlingen auf die Neubaustrecke.

Der Abschnitt von Ulm nach Wendlingen ist rund 60 Kilometer lang. „Insgesamt wurden auf der Neubaustrecke rund 120 Kilometer Oberleitung montiert“, sagt der Experte. Rund die Hälfte der Strecke verläuft in Tunneln. Außerhalb der Tunnel wurden mehr als 900 Oberleitungsmaste errichtet. Da verläuft die Leitung, die nun im Probebetrieb getestet wird. Bereits jetzt war der Lichtraummesszug Limez von Ulm bis Wendlingen über die komplette Länge der Neubaustrecke unterwegs.

Das Projekt Stuttgart 21 geht erst Ende des Jahres 2025 mit der Einweihung des Tiefbahnhofs in Betrieb. Dieser Abschnitt be­ginnt hinter Wendlingen und endet am Flughafen. Bis zu diesem Zeitpunkt wird der ICE-Verkehr über Wendlingen und Plochingen nach Stuttgart geführt. Dort fahren die Schnellzüge über weite Strecken an Wohnhäusern vorbei – dann allerdings mit deutlich gedrosseltem Tempo. „Die neue Trassenführung über die Filder bedeutet auch, dass die Züge nicht mehr an Wohnhäusern vorbeirollen“, nennt Lammerskitten einen Vorteil.