Abgesehen von den vergitterten Fenstern lässt das malerische Fachwerkhaus äußerlich durch nichts vermuten, dass es sich hier um kein normales Haus handelt. Das historische Gebäude, das Mitte des 16. Jahrhunderts errichtet wurde, diente von 1935 bis 1969 als U-Haft Gefängnis für das Amtsgericht Göppingen. Mittlerweile ist hier seit mehr als 50 Jahren die für ganz Württemberg zuständige Jugendarrestanstalt (JAA) untergebracht.
Momentan sind in der JAA jährlich zwischen 400 und 500 junge, überwiegend männliche Arrestantinnen und Arrestanten einquartiert, berichtet Dienstleiterin Miriam Pillkann. Die Mehrheit der Insassen ist schon volljährig, etwas weniger als ein Drittel ist zwischen 16 und 18 Jahre alt. Jünger sind nur wenige. „Obwohl das Jugendstrafrecht eigentlich nur bis 21 greift, haben wir vereinzelt auch Menschen über 25 bei uns“, so Pillkann. Das liege daran, dass sowohl das Alter zum Tatzeitpunkt als auch die altersgerechte Entwicklung der Straftäter eine Rolle spielen würden.
Je nach Strafmaß verbüßen die Jugendlichen und jungen Erwachsenen in der JAA einen ein- bis maximal vierwöchigen Arrest. Die Dauerbrenner unter den rechtlichen Fehltritten: Drogendelikte, Diebstahl und Körperverletzung.
Der Jugendarrest ist keine Bestrafung, sondern eine erzieherische Maßnahme.
Miriam Pillkann, Dienstleiterin der Jugendarrestanstalt Göppingen
Von zuhause dürfen die Insassen lediglich ihre Kleidung, Kosmetikartikel, Bücher, Sport- und Schulsachen mitnehmen. Alles Weitere wird von der JAA gestellt. Besonders schmerzhaft mag für viele der temporäre Abschied vom Handy sein. Während ihres Aufenthalts kommen die jungen Menschen zwangsläufig in den Genuss eines elektronischen Detox. Auch Tablet, Laptop und Konsole müssen also leider draußen bleiben. In den einzelnen Arresträumen steht lediglich ein Radio zur Verfügung.
Von Kochen bis Yoga
An einem typischen Wochentag werden die Jugendlichen und jungen Erwachsenen um 7.15 Uhr geweckt. Frühstück gibt es um 7.45 Uhr, von 9 bis 12 Uhr stehen Gruppenaktivitäten auf dem Programm. Nach dem Mittagessen haben die Insassen eine Stunde Hofgang und können im Anschluss beim Sportprogramm ihren Bewegungsdrang stillen. Abends ist ein anderthalbstündiges Zeitfenster für Freizeit eingeplant; um 20 Uhr geht es zurück in die Einzelzimmer, die für die Nacht abgeschlossen werden.

„Theoretisch könnten die jungen Menschen 23 Stunden auf dem Arrestraum verbringen und eine Stunde am Hofgang teilnehmen. Das wäre aber nicht zielführend“, stellt Miriam Pillkann klar. Stattdessen bietet die Jugendarrestanstalt Göppingen ihren Bewohnern eine Reihe vielseitiger und produktiver Angebote, mit denen sich diese die Zeit vertreiben können, darunter Kunst, Yoga, Musik, Kochen, schulische Weiterbildung und mehr. Dass Menschen zuerst kein Interesse an den Angeboten zeigen, komme durchaus vor, so Pillkann. Das ändere sich in der Regel aber spätestens am zweiten Tag.
Am beliebtesten ist bei den jungen Menschen erwartungsgemäß das Sportprogramm. „Man merkt sofort, dass die Stimmung kippt, wenn mal kein Sportangebot stattfinden konnte“, berichtet Miriam Pillkann. Auch Werkunterricht und konstruktive Angebote wie Kriminal- oder Suchtprävention würden bei den Arrestanten aber auf Anklang stoßen.
Die Dienstleiterin betont, dass der Jugendarrest keine Bestrafung sei, sondern eine erzieherische Maßnahme: „Der junge Mensch soll sich mit sich selbst auseinandersetzen, Perspektiven für die Zukunft finden, einen strukturierten Alltag erleben und dabei durch unser Fachpersonal angeleitet werden.“

Punkte belohnen gutes Benehmen
Das Miteinander funktioniere im Großen und Ganzen gut, erzählt Miriam Pillkann. Natürlich könne man Konflikte nicht vermeiden, körperliche Auseinandersetzungen seien aber selten. Wer sich danebenbenimmt, muss mit Sanktionen wie einer Freizeitsperre oder dem Ausschluss vom gemeinsamen Essen rechnen. Umgekehrt wird auch gutes Verhalten via Punktesystem belohnt: Pro Woche können sich Insassen jeweils einen halben Tag erarbeiten, um den die Dauer ihres Aufenthalts verkürzt wird.
„Die Arbeit in der JAA ist wenig bürokratisch, sondern vielmehr gesprächsorientiert“, äußert Diplom-Sozialarbeiter Robert Sivek. Er ist seit mehr als 20 Jahren im sozialen Bereich tätig und seit mittlerweile rund 11 Jahren bei der Jugendarrestanstalt Göppingen beschäftigt. Hier ist er in erster Linie für die Beratung, Betreuung und Begleitung der Inhaftierten zuständig.
Sein Beruf erfülle ihn auch nach den vielen Jahren noch, erzählt Robert Sivek. „Man erhält von den Jugendlichen relativ viel Dankbarkeit und Bestätigung.“ Um wirklich an die jungen Menschen heranzukommen und konstruktive Gespräche mit ihnen zu führen, sei ein gewisses Vertrauen unverzichtbar. Der Sozialarbeiter warnt an dieser Stelle jedoch: „Man darf die Professionalität nie aus den Augen verlieren.“
Lernerfahrung für Arrestanten
Dass Insassen aggressiv werden, hat Robert Sivek nur selten erlebt. Dennoch sei er im Laufe seiner Karriere, wenn auch nur vereinzelt, mit Konfliktsituationen konfrontiert gewesen, in denen es zu deeskalieren galt: „Das hatte dann meist mit Gewalt beziehungsweise Androhungen von Gewalt zu tun“, so Sivek. Seine Herangehensweise in derartigen Situationen: „Möglichst gelassen bleiben und sich nicht beeindrucken lassen!“
Für manche jungen Menschen bleibt der Aufenthalt in der JAA keine einmalige Sache: Im vergangenen Jahr sei laut Miriam Pillkann rund ein Viertel zum wiederholten Male dort gewesen. Oft hinge das mit der Nichterfüllung rechtlicher Auflagen zusammen.

Auch Robert Sivek hat so manches Gesicht schon mehrmals gesehen. Gleichzeitig habe er bei vielen jungen Leuten im Zuge des Aufenthalts eine sehr deutliche Veränderung beobachten können. „Der Arrest kann schon eine intensive Erfahrung sein, durch die die Jugendlichen Dinge, wie den Wert einer Struktur, Drogenabstinenz oder eine bessere Wertschätzung des eigenen Lebens, lernen können“, beurteilt der Sozialarbeiter.
Seine Arbeitsphilosophie: „Jeder Mensch ist das Produkt seiner Lebensumstände und wird durch Erfahrungen geprägt.“ Diese seien wiederum aber durch eigene Kraft veränderbar. Letztendlich müsse jeder irgendwann verstehen, dass er für sein eigenes Glück verantwortlich ist.