Unbarmherzig knallt die Sonne an diesem Samstagnachmittag auf das Getreidefeld am Böhringer Ortsausgang. Es ist einer dieser Julitage, an denen keiner freiwillig in der Mittagshitze das Haus verlässt – schon gar nicht, um einen der heißesten Jobs überhaupt zu erledigen: Mähdreschen.
Der Böhringer Werner Kurz ist Landwirt. Er hat keine andere Wahl. Ist das Getreide reif, muss er ran. Raus aufs Feld, rauf auf den Fahrersitz des Mähdreschers, wo die Temperaturen locker-flockig mit denen in der finnischen Sauna mithalten können. Generationen von Bauern auf der Alb haben das vor ihm so gehalten. Genauer gesagt: Bis zum Strukturwandel in der Landwirtschaft Ende des vergangenen Jahrhunderts war die Arbeit auf Hof und Feld der Beruf der meisten männlichen Einwohner in Böhringen, Zainingen, Hengen, Wittlingen und sämtlichen benachbarten Albflecken.
Übrig geblieben sind heute nur noch die ganz großen Agrarbetriebe und die Nebenerwerbler. Solche wie Werner Kurz – Männer, die noch die DNA des Landwirts in sich tragen.
Es wundert also kaum, dass der wettergegerbte Böhringer in dieser Höllenhitze seine Runden auf dem Getreidefeld dreht. Was schon eher stutzig macht, sind erstens Werner Kurz’ junge Helfer (vielleicht sind sie auch schon mehr als das). Und zweitens: das Alter der Maschinen, die auf dem Feld ihren Dienst tun. Bei den Mähdreschern handelt es sich es nämlich um regelrechte Oldtimer: Einen Claas „Europa“ aus dem Jahr 1960 und einen „Mercur“ derselben Firma, 1968 gebaut.
Oben auf dem „Mercur“ hockt Lucas Buck, im August 21 Jahre alt. Vor ihm wirbelt der Getreidestaub, gegen die Sonne schützt ihn seine Basecap, die Ölflecken auf T-Shirt und Hose deuten auf einen längeren Arbeitseinsatz hin: „Wir haben bis vorhin geschraubt, um die Maschinen rechtzeitig flott zu kriegen“, sagt er und deutet auf die beiden Oldies.
Lucas weiß, wovon er spricht. Die beiden Mähdrescher gehören ihm und seinem Kumpel Joshua, dem Sohn von Werner Kurz. Während andere 20-Jährige stolz vom ersten eigenen Auto reden, parliert Lucas über seine etwas anderen Maschinen. „Schon als Kind wollte ich immer mal mit einem Mähdrescher fahren“, erzählt er. Warum, das weiß er selbst nicht so genau. Fakt ist, die großen Wagen haben ihn schon immer fasziniert. Vielleicht, weil sie den Landwirten auf der Alb Mitte des 20. Jahrhunderts das Mähen und Dreschen in einem automatisierten Arbeitsgang ermöglichten. Früher mussten die Bauern ihr von Hand abgemähtes Getreide noch in Büschel zusammenfassen und zur stationären Dreschmaschine bringen.
Erst dann wurden Stroh, Spreu und Körner voneinander getrennt. „Die ersten Mähdrescher in der Landwirtschaft waren ein unglaublicher Fortschritt in der Landwirtschaft“, sagt Werner Kurz. Und Lucas nickt zustimmend. „Das war ein Quantensprung.“
Nun ist es nicht so, dass Lucas Buck unbedingt Landwirt werden will. Der Böhringer studiert Elektrotechnik in Stuttgart. Später kein Job, in dem man mit ölverschmierten Haaren unter schweren Maschinen liegt. Aber gerade das Schrauben hat dem 21-Jährigen schon immer Spaß gemacht, sagen auch seine Eltern. Sie stehen am Waldrand im Schatten, um das Dresch-Spektakel mit den Oldies zu begutachten. Gemeinsam mit anderen Zuschauern übrigens, denn Lucas hat mal eben via Instagram ein paar Leute eingeladen. Und so ganz nebenbei ein paar Mütter aus dem Dorf zum Würste-Grillen eingeteilt.
Aber zurück zu den fahrenden Dreschmaschinen. Alles Zureden der Eltern nützte nichts: Lucas Buck ist bei seinem Kindheitstraum geblieben – für ihn musste es das ganz große Besteck sein. Mit seinem Freund Joshua Kurz (vom Elternhaus geprägt) wollte er sich unbedingt landwirtschaftliche Schwergewichte anschaffen.
Da kam es gerade recht, dass das Bauernhausmuseum in Ödenwaldstetten unlängst ein paar alte Geräte ausmusterte. Lucas und Joshua schlugen zu. Sie kauften den „Europa“ zum „Spottpreis von 100 Euro“ und sicherten sich damit ein Vehikel aus der frühen Mähdrescher-Generation: Auf der linken Seite des Dreschers ist standardmäßig ein Stand mit „Absackvorrichtung“ befestigt. Von dort wurden die Säcke entweder in einen Anhänger übergeladen oder sie konnten auf dem Feld abgestellt werden.
Ein kleiner Fuhrpark
Das ist alles längst vorbei. Schon der acht Jahre ältere „Mercur“ kommt wesentlich moderner daher. Dieses Gefährt schafften sich die beiden Jungs wenig später an. Ist ihr kleiner Fuhrpark außer Dienst, steht er auf dem Grundstück von Werner Kurz, und dort treffen sich die Hobby-Mähdrescher auch, wenn sie an ihren Oldies herumschrauben.
Was wohl ziemlich oft vorkommt. Die Dinger sind reparaturanfällig und komplexe Geräte, die viele Vorgänge in einem Arbeitsprozess vereinen. Mitten im Schaudreschen auf dem Böhringer Feld gibt prompt eines der Fahrzeuge den Geist auf. Lucas Buck setzt seine Mütze ab und verabschiedet sich von den Zuschauern. Gleich wird er sich wieder mit seinem Werkzeug an der Maschine zu schaffen machen und nach der Ursache suchen. Dabei ist Joshua heute wegen des Studiums unabkömmlich. Gut, dass Johannes Banzhaf zur Stelle ist, der Dritte im Bunde der Mähdrescher-Fans. Der Hengener möchte sein Hobby vielleicht zum Beruf machen – er studiert Agrarwissenschaft.
Gemeinsam haben die Jungs zuvor in Bad Urach das Abitur gemacht – und dort auch ihre Begeisterung für die Landwirtschaft geteilt. Damit überraschten sie die Gleichaltrigen schon hin und wieder: „Als Lucas in der Elften verkündete, er kauft jetzt einen Mähdrescher, sind die anderen fast vom Glauben abgefallen.“