Wie viele seiner Landsleute hat auch Aref Alizadeh seine afghanische Heimat verlassen. Auf der Flucht vor den Taliban kam er bereits vor sechs Jahren nach Deutschland. Allein. Seinen Bruder, seine Schwester und die Mutter musste er zurücklassen. Bis heute leben sie in Afghanistan. Die Schwester habe gerade die Schule abgeschlossen, wolle studieren, doch mit der Machtübernahme der Taliban sei das unmöglich geworden, sagt Alizadeh. Die Angst um seine Familie, man merkt es ihm an, belastet ihn dieser Tage besonders. Und doch muss er sich auf sein Leben in Deutschland konzentrieren, weitermachen. „Immer weiter, weiter. Egal was kommt“, sagt er.
Seit 2018 absolviert Aref Alizadeh eine Schreiner-Ausbildung bei der Firma Lenzen in Ebersbach. Die praktische Prüfung hat er bereits bestanden, die Theorie scheiterte nur knapp an fehlenden Sprachkenntnissen. „Nächstes Jahr im Juli wird er die Prüfung wiederholen. Das wird klappen, davon bin ich überzeugt“, sagt Tobias Lenzen, Geschäftsführer des Betriebs. Danach will er Alizadeh fest anstellen. Lenzen hält große Stücke auf seinen Azubi. Sein Fleiß und sein Durchhaltevermögen seien bemerkenswert.
Dabei war der Start ins neue, fremde Leben alles andere als leicht. „Zuerst war ich ein Jahr in einer Unterkunft in Göppingen, dann nochmal zwei Jahre im Zelt in Ebersbach“, erzählt Alizadeh. Dort, im Zelt, habe er Andrea Schiller von der Stadtverwaltung Ebersbach kennengelernt. Wie Tobias Lenzen ist auch sie in der Flüchtlingshilfe tätig, organisierte Praktika. So kam er in die Schreinerei. „In Afghanistan habe ich als Fliesenleger gearbeitet“, sagt er, „aber die Arbeit mit Holz finde ich besser. Es ist ein schöner Beruf.“ Und sie helfe ihm auch dabei, das, was ihn beschäftigt, für einen Moment beiseite zu lassen: „Das schmeiße ich dann alles weg und mache einfach meine Arbeit.“
In der Schule und nach Feierabend sei das schwieriger. Die letzten drei Jahre hat Aref Alizadeh in einer Wohngemeinschaft mit fünf anderen Personen gelebt. Einige feierten immer bis spät in die Nacht. „Gott sei Dank – seit fünf Tagen bin ich von der WG weg. Jetzt ist es viel besser“, sagt er. In seiner neuen, kleinen Zwei-Zimmerwohnung könne er endlich zur Ruhe kommen, besser schlafen, Kraft tanken für sein Ziel. „Ich möchte meinen Führerschein machen und weiter arbeiten“, sagt Alizadeh. Sein größter Wunsch sei es aber, endlich in ein Leben ohne Duldung zu starten. „Hast du keinen Aufenthalt, dann bist du auch nicht frei“, sagt der junge Afghane. In vier Jahren hat er Ebersbach kaum verlassen. Anzukommen hieße aber doch auch, sich frei bewegen zu dürfen, findet Alizadeh. „Jeder braucht das doch ein bisschen.“
Lenzen weiß um die Sorgen seines Schützlings. „Natürlich wäre es toll, wenn wenigstens auch sein Bruder oder seine Schwester hier wären.“ Alizadeh wird nachdenklich. „Natürlich, wenn die Familie mitgekommen wäre, wäre es ganz anders“, sagt er. Seine Heimat und Familie zu verlassen, war nicht einfach – doch die Umstände haben ihm keine Wahl gelassen. Er versucht, seinen Liebsten daheim finanziell zu helfen. Was er entbehren kann, schickt er heim. Doch auch das reicht nicht. „Als es in Afghanistan so eskaliert ist, wollten auch wir seiner Familie helfen“, sagt Lenzen. Doch mal eben Geld auf ein Girokonto zu überweisen, sei nicht möglich gewesen. „Da existierte nichts mehr“, sagt Lenzen. Erst nach vielen Versuchen gelang es über einen Dritten, einen Freund von Alizadeh, der in Kabul lebt.
Wenn Alizadeh nicht gerade lernt oder arbeitet, fährt er Rad, geht im Sommer ins Freibad oder spielt Fußball. Vor Corona war er selbst in der Flüchtlingshilfe tätig. Ganz angekommen sei er immer noch nicht, meint er. Doch das wird besser werden, davon ist er überzeugt. „Ich war schon beim Weihnachtsmarkt in Esslingen und auch in Ulm. Da war es sehr schön“, erzählt Alizadeh. Über eine Sache muss er bei den Deutschen aber immer noch schmunzeln: „Sie kochen immer mit Wasser. Das ist nicht lecker“, sagt er und lacht. Bei ihnen daheim koche man immer mit Öl. Das, so versichert er, sei doch die deutlich bessere Variante.