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Kahlschlag Im Aufzugswerk

Krise TK Elevator will nach massiven Verlusten die Belegschaft in Neuhausen auf 300 verkleinern. Das Unternehmen verspricht einen sozial verträglichen Abbau. Die IG Metall sieht Managementfehler. Von Harald Flößer

Für die rund 800 Beschäftigten von TK Elevator ist es ein Paukenschlag kurz vor Weihnachten: Mit einer radikalen Neuaufstellung will die Konzernspitze das wegen hoher Verluste in tiefrote Zahlen abgerutschte Aufzugswerk zukunftsfähig machen. 500 Arbeitsplätze sollen in den nächsten zwei Jahren abgebaut werden, „sozial verträglich“ , wie es aus der Unternehmensleitung heißt. Außerdem will der Konzern ein „hochmodernes Exzellenzzentrum“ in unmittelbarer Nähe des bisherigen Standorts errichten. Begründet wir dieser Schritt unter anderem damit, dass mit dem kriegsbedingten Rückzug aus dem russischen Markt eine der zentralen Absatzregionen für Produkte aus Neuhausen weggebrochen sei. Weitere belastende Faktoren seien hohe Materialkosten und unterbrochene Lieferketten. Seit 2017 stehe das Aufzugswerk in Neuhausen erheblich unter Druck.

„Alle waren geschockt, als sie am Donnerstag in einer Mitarbeiterversammlung erstmals von den Plänen hörten“, sagt Betriebsratsvorsitzender Georgios Triantafillidis. Er hält die neue Strategie für „brandgefährlich“. Die angekündigten Einschnitte kamen auch deswegen für die meisten völlig überraschend, weil der Konzern erst vor gut zwei Jahren nach der Abspaltung von Thyssen-Krupp nicht nur eine Arbeitsplatzgarantie bis 2027 gegeben hatte, sondern für den gleichen Zeitraum auch den Standort Neuhausen als gesichert erklärt hatte. Harsche Kritik kommt von der IG Metall. Eklatante Fehler im Management hätten zu der Schieflage geführt. Gewerkschaftssekretär Max Czipf spricht von einem Verlust von 30 Millionen Euro, den das Aufzugswerk dieses Jahr eingefahren habe.

Man wolle die Aufzugsproduktion stärker auf die  Kundenbedürfnisse ausrichten, sagt Christoph Buss, Vizepräsident für Produkt- und Lieferkettenmanagement. Zugleich sei es Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts zu stärken. Für TK Elevator sei Neuhausen ein wichtiger Standort für die Antriebe der neuen Generation. Aktuell habe man dort aber hohe Strukturkosten. Deshalb wolle man die zukunftsfähigen Produkte wie Antriebe, Systeme und Anzeigeelemente für die Aufzugplattform EOX bündeln und in diese weltweit gefragten Kompetenzfelder investieren. Die Antriebsentwicklung soll laut Buss zu einem hochmodernen globalen Exzellenzzentrum ausgebaut werden. Neben der Kernkompetenz für Antriebe wolle man hier auch das Ersatzteilgeschäft bündeln und weiter ausbauen.

„Wir glauben weiterhin an den Produktionsstandort Deutschland“, sagt Buss. „Die Ingenieursexpertise hierzulande ist einzigartig.“ Darauf setze man im künftigen Exzellenzzentrum in Neuhausen.

Hinter der geplanten Umstrukturierung stehe eine neue Produktstrategie, berichtet Betriebsratschef Triantafillidis. Die Aufzüge sollen vom Seil- auf Riemenantrieb umgestellt werden. Diese Transformation sei vergleichbar mit dem Wechsel von Benziner/Diesel auf Elektro in der Automobilindustrie. Außer der Digitalisierung versprechen sich die Aufzugbauer eine höhere Energieeffizienz. Erste Prototypen gebe es bereits, berichtet Triantafillidis. „Wir stehen vor einer Riesenherausforderung.“ Seinen Angaben zufolge ist Neuhausen seit Jahren der einzige Produktionsstandort für Aufzüge in Deutschland. Hier bündele sich Spitzen-Know-how. Der Betriebsrat werde dafür kämpfen, möglichst alle Arbeitsplätze zu erhalten. Nach wie vor gilt für den Betriebsratschef die vertraglich zugesicherte Beschäftigungs- und Standortgarantie. Nun begännen langwierige Verhandlungen für einen Interessensausgleich.

Dass Einschnitte kommen, damit habe man nach den massiven Verlusten rechnen müssen, sagt Gewerkschaftssekretär Czipf. „Aber nicht in der Heftigkeit. Das kommt jetzt einer Beerdigung gleich.“ Er habe bei einer Betriebsversammlung noch nie in so viele glasige Augen schauen müssen. Die Belegschaft solle nun „bluten für die Managementfehler in der Vergangenheit“. Immer wieder habe man mit Umstrukturierungen in Neuhausen begonnen, doch die Schritte nie ganz zu Ende geführt. Das räche sich jetzt.  „Der Zukunftsvertrag Elevator von 2020 mit der Beschäftigungsgarantie und der Standortsicherung bis 2027 gilt nach wie vor“, betont auch der Gewerkschaftssekretär. Nach seinen Angaben hat die Geschäftsführung angekündigt, dass sie sich an den Vertrag halten werde. Deshalb werde der Konzern auf Instrumente wie das Sonderkündigungsrecht zurückgreifen und sehr viel Geld für Abfindungen in die Hand nehmen müssen, will er den Stellenabbau in der geplanten Dimension umsetzen.

 

TK Elevator ist seit der Abspaltung von Thyssen-Krupp 2020 eigenständig

Geschäftszahlen Mit Kunden in über 100 Ländern, die von mehr als 50 000 Mitarbeitern betreut werden, erzielte TK Elevator im Geschäftsjahr 2020/21 einen Umsatz von rund acht Milliarden Euro. Das Vertriebs- und Servicenetz erstreckt sich über mehr als 1000 Standorte. TK Elevator zählt zu den weltweit führenden Aufzugsfirmen. Seit der Abspaltung von der Thyssen-Krupp AG im August 2020 ist es eigenständig.

Großes Portfolio Den wichtigsten Geschäftsbereich bildet das Servicegeschäft mit mehr als 24 000 Technikern. Das Produktportfolio umfasst Personen- und Lastenaufzüge bis hin zu individuell angepassten Lösungen für moderne Hochhäuser. Darüber hinaus werden Fahrtreppen, Fahrsteige, Fluggastbrücken sowie Treppen- und Plattformlifte angeboten. Wachsende Bedeutung genießen integrierte cloudbasierte Servicelösungen, wie beispielsweise die sogenannte MAX-Plattform. hf