Rund 4,6 Millionen Kleintiere leben in deutschen Haushalten. Mit einem Anteil von 2,1 Millionen Exemplaren sind Kaninchen hier mit Abstand die beliebteste Art. Kein Wunder, denn sie gelten als pflegeleicht und ideale Spielgefährten für Kinder. Doch genau das ist ein Irrtum.
„Die Nager sind anspruchsvoll“, sagt Sandra Schmauk, die in der Kaninchen-Auffangstation Wendlingen oft mit den Auswirkungen einer falschen Haltung konfrontiert ist. Wegen ihres starken Bewegungsdrangs brauchen die in Gruppen lebenden Tiere viel Platz. „Bei zwei Kaninchen sind es mindestens sechs Quadratmeter plus Tagesauslauf, am besten im Garten. Ohne Auslauf sind zehn Quadratmeter nötig“, betont die Tierpflegerin. „Für jedes weitere Tier müssen 30 Prozent mehr Fläche eingeplant werden.“ Nur so sind artgerechte Verhaltensmuster wie Luftsprünge, Kapriolen, Hakenschlagen oder auch Sprints möglich. Enge Ställe werden dem nicht gerecht, sondern können zu Skelettschäden oder Verhaltensstörungen wie Aggression und Unruhe führen.
Kaninchen sind Fluchttiere
Zudem sind Kaninchen keine Kuschel-, sondern Fluchttiere. Streicheln und Hochheben bedeuten Stress, weil sie das mit Fressfeinden verbinden. Sandra Schmauk rät, sich mit den flauschigen Hüpfern am Boden zu beschäftigen, sie auf sich zukommen zu lassen und langsam Vertrauen aufzubauen. Unterm Strich seien die Langohren eher für ältere Kinder und Erwachsene geeignet.
Gesundheitliche Probleme, die Schmauk bei Abgabe-Kaninchen registriert, sind oft die Folge falscher Ernährung. Heu müsse zwar immer zur Verfügung stehen, sei aber mit einem Anteil von 20 Prozent nicht das Hauptfutter. Wie ihre wildlebenden Artgenossen sind die Fellnasen Frischköstler. Während frische Pflanzen einen Wassergehalt von 80 bis 90 Prozent haben, sind es bei getrockneter Nahrung wie Heu nur rund 15 Prozent, weiß Dr. Susanne Flinspach vom Veterinäramt des Landratsamtes Esslingen.
Harngries, Verkalkungen, Blasen- oder Nierensteine
„Durch den reduzierten Flüssigkeitsgehalt und den damit verbundenen Wassermangel im Körper konzentriert sich das in der Nahrung enthaltene Kalzium im Harn“, sagt die Veterinärmedizinerin. „Mit dem Wassermangel sinkt das Harnvolumen, wodurch das Mineral nicht ausgeschieden, sondern in Blase und Nieren abgelagert wird.“ So können Harngries, Verkalkungen, Blasen- oder Nierensteine entstehen.

Gleiches gilt für Trockenfutter, das Flinspach zufolge überwiegend aus billigen Reststoffen besteht und keine artgerechte Nahrung darstellt, sondern etwa Verdauungsstörungen und, durch seinen hohen Energiegehalt, Übergewicht fördert. Wichtig sei, den Kalziumgehalt, der auch in natürlichem Futter wie Gras, Blättern, Rinde oder Wildkräutern vorkommt, durch wasserreiche Nahrung auszugleichen. Das gelingt mit frischem Futter, das im Sommer kostenlos auf der Wiese wächst und im Winter in Form von Küchenkräutern, Bittersalaten, blättrigem Kohl und Gemüsegrün zugekauft wird. „Das sind Kosten von 20 bis 50 Euro pro Woche ohne Tierarzt und das für acht bis zehn Jahre, denn so alt werden die Tiere bei guter Pflege“, sagt Sandra Schmauk, deren ältestes Kaninchen sogar 14 war.
Hartes Futter führt zu Fehlbelastungen
Langohren sind Folivore, also Blattspitzen- und Kräuterfresser. Deshalb ist ihr Gebiss rein auf seitwärts ausgeführte Mahlbewegungen spezialisiert, durch die sich die Zähne, die jeden Monat einen Zentimeter wachsen, bei artgerechter Ernährung normalerweise optimal abnutzen, klärt Susanne Flinspach auf. Hartes Futter, das durch Kaubewegungen von oben nach unten zerkleinert wird, führt daher zu Fehlbelastungen. Auch deshalb sind Pellets, Getreide und hartes Brot kein Kaninchenfutter.
Die Folge können langfristig Entzündungen und ein retrogrades Zahnwachstum sein, bei dem die Zähne in den Kiefer wachsen. Festes Gemüse wie Karotten oder Fenchel rät Flinspach deshalb in Streifen zu schälen. Immer wieder stellt sie bei Tierschutzkontrollen im Landkreis fest, dass Kaninchen völlig unterschätzte Tiere sind und Haltungsfehler die Folge von Unwissenheit. Deshalb empfiehlt sie, sich am besten vor der Anschaffung genau zu informieren.
Drei Fragen an Sandra Schmauk
1. Was macht die Kaninchen-Auffangstation Wendlingen?
Die Station wurde 2018 als Abgabe- und Vermittlungsstelle für Kaninchen gegründet. Ziel ist es, ihnen den Weg in ein neues artgerechtes Zuhause zu ebenen und Halter mittels Aufklärung und Beratung für die speziellen Bedürfnisse dieser Art zu sensibilisieren.
2. In welchem Zustand sind die Tiere?
Wir beherbergen bis zu 30 Kaninchen. Alle sind geimpft und werden regelmäßig vom Tierarzt untersucht. Neue Tiere nehmen wir nur mit einer veterinärmedizinischen Bewertung des Gesundheitszustandes auf. Für die muss der Halter sorgen. Kranke Kaninchen können wir aus finanziellen Gründen nicht aufnehmen. Wir geben die Tiere nur paarweise ab oder in Haltungen, in denen gewährleistet ist, dass es Artgenossen gibt, weil Kaninchen Gruppentiere sind.
3. Wo gibt es Tipps zur Haltung?
Unter www.kaninchenwiese.de haben Tierärzte für Anfänger und Fortgeschrittene alle Informationen zu Anschaffung, Haltung, Ernährung, Gesundheit und Pflege zusammengetragen, die für eine artgerechte und tierschutzkonforme Unterbringung und Versorgung nötig sind. Wer möchte, kann die Wendlinger Auffangstation mit Sachspenden wie artgerechtem Futter oder Gutscheinen von www.gruenhopper-kaninchenfutter.de unterstützen.
Zur Unterstützung der Auffangstation nehmen Spenderinnen und Spender unter folgender E-Mail-Adresse Kontakt auf: sandra-meixner@t-online.de