Nein, eine einsame Exotin ist sie nicht. In der Ferdinand-von-Steinbeis-Schule auf dem Ulmer Kuhberg sitzt sie neben Australiern, Türken und Armeniern. Deutschlands vielleicht bekanntestes Exportgut verbindet die Völker, auch in der Berufsschule. Bierbrauer sind gefragte Experten mit glänzenden Berufschancen - weltweit.
Ein Jahr nachdem Haruka Hizawa erstmals deutschen Boden betrat ist sie von hochfliegenden Berufsplänen noch ziemlich weit entfernt. Nach einem halben Jahr in München, wo sie eine Sprachschule besuchte und „viel Bier trank“, wie sie augenzwinkernd meint, ist sie in Kirchheim gelandet. Leonardo Da Vinci und Michael Attinger sei Dank. Nach dem einen ist das internationale Austauschprogramm der Handwerkskammern benannt. Der andere ist seit September ihr Chef.
In der „Stiftsscheuer“, Kirchheims kleinster, weil einziger Gasthaus-Brauerei, die den „Platz der kleinen Freiheit“ inoffiziell in der Adresszeile trägt, führt sie am Wirtshaustisch ihr Berichtsheft, schrubbt kupferne Kessel und steht am Wochenende auch schon mal hinter der Theke. Dass die 30-jährige Japanerin ihre Liebe zur deutschen Kultur entdeckt hat liegt nicht nur am Bier, aber auch. An der Uni in Tokio hat sie ihren Bachelor in Mittelalterlicher Geschichte gemacht, danach sieben Jahre lang im Vertrieb eines japanischen Uhrenherstellers gearbeitet. Alte und neue Welt. Irgendwann war sie reif für eine Wende im Leben. Sie wollte Neues lernen, etwas Handwerkliches machen und natürlich: Bier trinken.
Kirchheim - kein Kompromiss, sondern die perfekte Lösung. Sie liebt die fachwerkdekorierte Innenstadt, das Beschauliche und die Menschen. Die gibt es in Tokio auch, aber eben viel zu viele. „Tokio ist Stress rund um die Uhr“, sagt Haruka Hizawa. Deshalb liebt sie es, morgens von ihrer kleinen Wohnung in Dettingen zur Arbeit zu radeln. Ist das Wetter allzu schlecht, geht sie einfach zu Fuß. Das größte Hindernis bisher: die Sprache. Nach einem Jahr redet sie zwar bereits recht gut deutsch, doch in der Schule ist die Fremdsprache nach wie vor ein Handicap. Mit eisernem Training und Zusatzstunden am Abend beißt sie sich durch. „Meine Klassenkameraden und die Lehrer“, sagt sie, „sind unglaublich hilfsbereit.“ Im Frühsommer nächsten Jahres sind Prüfungen. Für einen Moment huscht ein banger Blick hinüber zum Lehrherrn. Dessen Reaktion ist weniger zaghaft: „Das schaffst du“, sagt Michael Attinger und schiebt das Berichtsheft quer zu ihr über den Tisch.
Im nächsten Unterrichtsblock im Juni geht es an die Praxis. Dann wird das erste selbst gebraute Bier unter die Kundschaft kommen und vielleicht sogar ihren Namen tragen. Vermutlich ein Helles Export, ihre Lieblingssorte. Wer das, was er herstellt nicht liebt, ist kein guter Brauer. Dass sie als Japanerin gleich zwei Handicaps trägt, tut dieser Liebe keinen Abbruch: Frauen vertragen anatomisch bedingt weniger Alkohol als Männer, für Asiaten gilt generell dasselbe, weil ihnen ein Enzym fehlt, das hilft, den Alkohol zügiger abzubauen. „Kein Problem“, sagt Haruka Hizawa und lacht. „Ich vertrage schon immer eine ganze Menge.“
Ihr größter Wunsch: Die Sprache lernen, in Kirchheim arbeiten und hier möglichst viele Menschen kennenlernen. Beim Bier geht das am besten. „Bier verbindet und ist kommunikativ“, sagt sie. Was Prost auf japanisch heißt? „Kanpai.“ Na denn: „Kanpai Kirchheim!“