Kein Genuss ist vorübergehend, denn der Eindruck, den er hinterlässt ist bleibend“, sagt Thomas Rabel, der in seiner Brennerei in Owen seit drei Jahrzehnten an geistreichen Kreationen mit außergewöhnlichem Charakter feilt. Der 56-Jährige zählt zu den schwäbischen Whisky-Pionieren. Er war einer der ersten, die das schottische Nationalgetränk in Baden-Württemberg brannten. Jetzt überrascht er sogar mit einem für Deutschland raren Destillat: ein Brand, der aus heimischen Zuckerrüben besteht. „Geschmacklich gehört er zur ‚Rumfamilie‘“, sagt Rabel, der ihn in seinem Aromaprofil deshalb gern als „regionalen ‚Rum‘ beschreibt“.
Da laut EU-Gesetzgebung aber nur Alkohol aus Zuckerrohr als Rum bezeichnet werden darf, nennt ihn Thomas Rabel „Ruba“, hergleitet vom altdeutschen Wort für Rübe „Ruoba“. Die Idee für seine aktuelle Kreation ging dem passionierten Edelbrenner schon vor zehn Jahren durch den Kopf. Und da er sich auf die Herstellung von Bränden aus regionalen Rohstoffen spezialisiert hat, stand für ihn auch von Anfang an fest, dass das bei diesem feinen Tropfen genauso der Fall sein wird. Mit seinem „Ruba“ knüpft Rabel zudem an Historisches an und interpretiert es zeitgenössisch.
Thomas Rabel ist überzeugt, dass innovative Spirituosen aus unkonventionellen Rohstoffen am Markt gute Chance haben: „Der Trend geht hin zu Regionalität, mehr Vielfalt und gereiften Qualitäten mit vielschichtigem Aromaspektrum für den Pur-Genuss.“ Deshalb fing er 2013 an, mit Rübenmelasse zu experimentieren. Der dickflüssige, dunkelbraune Sirup fällt als Nebenprodukt bei der Zuckerherstellung an und enthält noch 48 bis 50 Prozent Zucker, der sich nach heutigem Verfahren nicht extrahieren und kristallisieren lässt. Die klebrige Masse schmeckt erdig, leicht bitter, mit einem Hauch Lakritz. Mit Geduld und viel Liebe zum Detail gelang es Thomas Rabel, der Melasse karibische Aromen zu entlocken. Dazu mischte er sie mit Wasser, gab Hefe dazu, die den Zucker in Alkohol umwandelte, und goss das Gemisch in die Brennblase, wo es mit Dampf destilliert wurde. Anschließend reifte die erfrischende Allianz von Zuckerrübe und Alkohol mehrere Jahre in Eichenfässern. So verlor der „Ruba“ seine anfänglichen Ecken und Kanten, wurde ausgewogen und fein. Hier bekam er alles, was ihm Tiefe und Komplexität verleiht: Farbe, Textur, Charakter und ein reichhaltiges Aroma.
Der passionierte Brenner hat einen immensen Aufwand betrieben. Er hat viele Rezepte zu Papier gebracht, ausprobiert, verworfen und neu erdacht. Dafür betört der Duft der Frucht schon beim Entkorken. Wenn die Aromen aus dem Glas in die Nase steigen, wird Vorfreude auf fruchtige Kirsche, herbe Orange und feine Himbeeren geweckt. Beim ersten Schluck offenbart der bernsteinfarbene Tropfen einen ungeheuer facettenreichen Charakter. Am Gaumen zeigt er Noten von Vanille, Schokolade, Zimt, Tonkabohne, Kakao und eine filigrane Süße. Auch wenn es nicht von der Hand zu weisende Parallelen gibt, ist „Ruba“ kein Rum. „Rübendestillate sind eine innovative Nischenkategorie mit Potenzial“, findet Rabel. „Sie lassen sich damit immer wieder neu erfinden und zeigen, dass die Zuckerrübe viele Jahre völlig zu Unrecht stiefmütterlich behandelt wurde.“ Trotzdem kommen auch traditionsorientierte Genießer auf ihre Kosten. Für sie hat der Owener nämlich einen klassischen Rum aus Zuckerrohr im Angebot.
Zuckerhaltige Kulturpflanze
Zuckerrübe als Basis für Alkohol ist nichts Neues. Die zuckerhaltige Kulturpflanze wird seit gut 200 Jahren auch auf Äckern in Baden-Württemberg kultiviert. Zur ernsten Konkurrenz für das Zuckerrohr, aus dem man bis dahin Zucker herstellte, entwickelte sie sich aber erst unter Napoleon. 1806 hatte er weite Teile Europas unter seine Kontrolle gebracht. Zu diesen Zeitpunkt führte Frankreich gegen Großbritannien einen Handelskrieg, den es nun auf die von ihm beherrschten europäischen Staaten ausdehnte. Deshalb war auch in Deutschland die Einfuhr von britischen Waren von 1807 bis 1813 verboten. Dadurch verteuerte sich der Import von Rohrzucker aus den Kolonien drastisch. Trotzdem wollten die Menschen nicht auf das Süßungsmittel verzichten. Deshalb boomten Rübenzuckerindustrie und Anbau. Viele Landwirte fingen an, aus dem Gewächs Schnaps zu brennen. Da die Rübenreste nach der Verarbeitung noch genug Restzucker für die Alkoholproduktion enthielten, entdeckte auch die Industrie weitere wirtschaftliche Potenziale. Da der Rohrzucker in der Regel aber günstiger war, blieb Rübenschnaps ein auf regionale Wirtshäuser beschränktes Phänomen. am