Zwischen Neckar und Alb
Karl der Verschwundene

Landwirtschaft Dieter Fischle aus Aichwald wurde sein wertvoller Zuchtbock von der Weide gestohlen. Der Schafzüchter geht davon aus, dass organisierte Kriminelle dahinterstecken. Von Julia Hawener

Es ist ein mieses Jahr für Kriminelle. In Zeiten von Ausgangsbeschränkungen, Fernunterricht und Homeoffice haben zumindest Einbrecher schlechte Karten - denn alle sind zu Hause. Doch eben diese Corona-Maßnahmen halten eine besondere Gruppe Krimineller nicht von ihrem Tun ab. Sie kommen in der Nacht und beschäftigen sich nicht mit prächtigen Wohnungen, sondern mit abgelegenen Höfen und Weiden: Viehdiebe. Zu dieser Kategorie gehören ungebetene Besucher bei Schafzüchter Dieter Fischle. Einen wertvollen Zucht-Schafbock und ein Mutterlamm hat ein noch unbekannter Täter von seiner Weide im Aichwalder Ortsteil Lobenrot gestohlen.

Am jenem Morgen schaute Fischle mit seiner Tochter Daniela Jost und Enkelin Lara wie gewöhnlich nach seinen Schafherden. An der Weide direkt an der Schanbacher Straße „habe ich sofort bemerkt, dass mein Bock fehlt“, berichtet Fischle. Sein fast zwei Jahre alter Zuchtbock Karl gehört zur Rasse „Suffolk“. Das sind sehr muskulöse Tiere, die rund 150 Kilo wiegen. Ihre Wolle ist generell weiß, Gesicht, Ohren und Beine sind allerdings tiefschwarz und nur glatt behaart. Karl sticht deshalb sofort aus der restlichen Herde heraus. „Er war wirklich außergewöhnlich schön“, merkt Daniela Jost an.

Hätte Karl nicht sein markantes Aussehen, hätten Fischle und seine Tochter den Viehdiebstahl vermutlich erst viel später bemerkt. „Ich habe zunächst nur gesehen, dass das Stromgerät mitsamt Batterie am Zaun fehlt, habe mir aber nichts dabei gedacht. Das kommt schon hin und wieder mal vor“, erklärt Jost.

Abgesehen von dem fehlenden Gerät war der Zaun an keiner Stelle beschädigt. Das war auch gut so, sonst hätten die restlichen Lämmer der rund 40 Tiere großen Herde ausbüxen können. „Es hätte nur noch gefehlt, dass die Diebe eine Schleife an den Zaun machen“, witzelt die Tierhalterin. Doch Trauer und Wut sind in ihrer Stimme nicht zu überhören. Ein solches Verbrechen in ohnehin schwieriger Zeit - dafür fehle ihr einfach jegliches Verständnis.

„Karl war sehr menschenbezogen, zahm und lieb“, sagt Lara Jost, die die Leidenschaft ihres Großvaters für Tierhaltung teilt. Der Zuchtbock war somit ein ideales Opfer für Diebe. Vermutungen, wer Karl und das vier Monate alte Mutterlamm gestohlen haben könnte, hat Fischle nicht. Der Landwirt ist sich jedoch sicher, dass es keine Laien waren, sondern organisierte Kriminelle: „Die wussten, was sie machen. Alles war durchgeplant.“

Die Polizei schätzt den Schaden auf 1400 Euro. In dieser Summe inbegriffen sind der Wert des Zuchtbocks und das verschwundene Stromgerät. Der Wert des Mutterlamms komme hinzu. Hoffnung, dass die Täter gefunden werden, hat Fischle nicht. Wegen des Lockdowns und der ab 20 Uhr geltenden Ausgangssperre sei es schwierig, die Unbekannten ausfindig zu machen. „Es ist ja niemand mehr abends unterwegs, der etwas hätte sehen können“, sagt der 72-Jährige. Außerdem sei ihm nicht klar, was die Diebe vorhaben. Das belaste ihn am meisten. Es könnte sein, dass Karl direkt geschlachtet wurde.

Hinweise, dass den beiden Tieren schon vor Ort Schaden zugefügt worden war, konnte Dieter Fischle nicht finden. Aber abgesehen vom emotionalen Aspekt sei der Zuchtbock für eine Schlachtung viel zu schade: „Da hätten die Diebe theoretisch jedes Lamm nehmen können.“ Dieser spezielle Bock aber könne entweder für viel Geld weiterverkauft oder von den Dieben für die Zucht verwendet werden.

Seit über 50 Jahren ist Dieter Fischle mit Leib und Seele Schafzüchter. Er hätte längst in Rente gehen können, doch sein Herz habe ihm immer wieder gesagt: „Du kannst jetzt noch nicht aufhören.“ In all den Jahren seien ihm zwar schon mal ein paar Lämmer gestohlen worden, doch noch nie ein Zuchtbock. „Es tut wirklich weh, wenn ein Tier fehlt. Vor allem, wenn man nicht weiß, was mit ihm passiert ist“, sagt er und blickt wehmütig auf seine Schafherde.

Auch seine Tochter und Enkelin sind sichtlich betroffen: „Wir hoffen einfach nur, dass es Karl gut geht.“