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„Katar ist kein Terrorstaat“

Interview Der CDU- Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich ist Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe. Hier spricht er über die Krise in Arabien. Von Jürgen Gerrmann

Die Welt hat einen neuen Krisenherd: Arabien. Der Kirchheimer Bundestagsabgeordnete Michael Hennrich kennt sich aus vor Ort. Wie sieht er die Lage?

Araber gegen Araber, fünf (unter Führung Saudi-Arabiens) gegen einen (Katar) - blicken Sie durch?

Michael Hennrich: Meines Erachtens geht es Saudi-Arabien darum, in der sunnitischen Welt bei den Mitgliedsstaaten des Golf-Kooperationsrates so etwas wie einen Alleinvertretungsanspruch durchzusetzen. Katar hat schon in der Vergangenheit eine relativ eigenständige Außenpolitik betrieben. Ich sehe das, was im Moment passiert, daher auch als Disziplinierungsmaßnahme.

Saudi-Arabien will also die Macht in dieser Region.

Hennrich: Die Vorherrschaft auf jeden Fall. Katar hat in den vergangenen Jahren versucht, etwa Kontakte zu den Muslimbrüdern aufzubauen in Tunesien, Ägypten und anderen sunnitisch geprägten Ländern. Aber auch - wie auch der Oman -, sich Iran anzunähern. Das passt Saudi-Arabien offensichtlich nicht ins Konzept. Deswegen die harsche Reaktion, zu der sich die fünf Länder ja offensichtlich nach dem Besuch von Donald Trump in der Region ermuntert fühlten.

Hat der US-Präsident gezündelt?

Ich will es so formulieren: Er hat vielleicht nicht die Erfahrung in der Region, die notwendig ist, um die Lage zu beurteilen. Ich darf in Erinnerung rufen, dass der US-Außenminister Rex Tillerson mittlerweile unterstrichen hat, wie wichtig Katar als Stützpunkt für das amerikanische Militär ist, und auch auf eine schnelle Beendigung des Konflikts baut, damit man wieder reibungslos zusammenarbeiten kann. Die Lage ist insgesamt zu schwierig, ein weiterer Konflikt schadet allen und nutzt allenfalls den radikalen Kräften.

Geht das?

Ich hoffe schon, dass die Länder in der Region sich wieder an einen Tisch setzen. Man hat genug damit zu tun, die Lage in Syrien, dem Irak, Libyen und im Jemen zu befrieden. Und natürlich brauchen wir ein gemeinsames Vorgehen gegen den IS-Terrorismus. Auch die Lage in Ägypten wird zunehmend schwieriger. Alle Beteiligten wären gut beraten, diesen Konflikt schnell vom Tisch zu räumen.

Bisher war man eher andere Konfliktmuster gewöhnt: Israelis gegen Palästinenser. Wie vergleichen Sie demgegenüber die Situation?

Man spürt schon, dass dieser klassische Grundkonflikt in den Hintergrund tritt. Wir haben neue Problemfelder. Zunächst ist es wichtig, sich darüber im Klaren zu werden, in welcher Rang- und Reihenfolge man bestimmte Schwierigkeiten lösen will.

Und was ist Ihr Vorschlag?

Erstens: die Bekämpfung des Terrorismus. Dann: Länder wie vor allem Syrien und Irak stabilisieren und dort wieder eine funktionierende Staatlichkeit herstellen. Im Moment gibt es ja in beiden Ländern Zerfallserscheinungen. Und dann kann man auch wieder drüber nachdenken, wie die Aussöhnung zwischen Israel und Palästina gelingen kann. Aber auch da wissen wir: Das ist schon Jahrzehnte vergebene Liebesmüh. Es ist mehr als fraglich, ob wir da jetzt eine Lösung hinbekommen.

Sie sind ja Mitglied der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe. Wann haben Sie denn die Kollegen von dort zum letzten Mal gesehen?

Erst vor zwei Wochen hatten wir eine Delegation aus dem Irak zu Gast in Berlin und dort auch Gespräche geführt. Der Deutsche Bundestag hatte die Gruppe eingeladen. Aber insgesamt ist das ein sehr mühsames Geschäft. Sollte ich im Herbst wiedergewählt werden, weiß ich auch nicht, ob ich mich wirklich noch einmal um den Vorsitz dieser Parlamentariergruppe bewerbe.

Warum das denn?

Für mich waren das zuletzt vier verlorene Jahre. Brücken, die man über Jahre aufgebaut hat, wurden eingerissen. Ich will das beispielhaft deutlich machen an der Arbeit der politischen Stiftungen. Es hat viel Überzeugungsarbeit bedurft, dass sich die politischen Stiftungen aus Deutschland in der Region engagieren. Dann hat man das endlich geschafft - und über Nacht haben es sich die Partnerländer anders überlegt und die Stiftungen wieder vor die Türe gesetzt. Da frag‘ ich mich schon, ob man an einem echten Dialog interessiert ist.

Katar wird ja jetzt als Hort des Terrorismus dargestellt. Stimmt das?

Es ist schon faszinierend, dass gerade Saudi-Arabien dieses Argument ins Feld führt. Für mich stellt sich die Situation, was Finanzierung und Sympathien für den Terrorismus angeht, in Katar im Moment nicht wesentlich anders dar als in Saudi-Arabien.

 

Warum?

Wir wissen, dass es in beiden Ländern Sympathisanten für den IS-Terror gibt, in breiten gesellschaftlichen Schichten. In die Terroranschläge der Vergangenheit waren oft auch Terroristen aus Saudi-Arabien involviert, und wir wissen, dass es aus beiden Ländern Geldflüsse gibt. Deswegen finde ich auch den Fingerzeig nur in eine Richtung sehr vereinfacht.

Vorhin haben Sie gesagt, es gehe um den Kampf gegen den Terrorismus. Die Familie bin Laden stammt aus Saudi-Arabien. Einen ähnlichen Vorwurf habe ich aber aus US- oder deutschem Mund nicht gehört, wie er jetzt gegen Katar erhoben wird.

Wir sind insgesamt sehr vorsichtig. Unsere europäische Außenpolitik unterscheidet sich sehr von der des amerikanischen Präsidenten. Wir versuchen, die beteiligten Länder ins Boot zu holen, eine Politik des Ausgleichs einzunehmen. Das war auch unsere Intention für das Abkommen mit dem Iran.

Die deutsche Politik schweigt also lieber?

Nein. Es ist doch klar, dass wir dies in direkten Gesprächen anmahnen, gegen Terrorfinanzierung oder gegen Unterstützung durch die staatlichen Rundfunk- und Fernsehanstalten vorzugehen. Gerade gegenüber Katar haben wir sehr deutlich gemacht, dass Al Jazeera mit seiner offenen Sympathie für die radikalen Kräfte in der Region den Konflikt nur zusätzlich anheizt. Und wir waren maßgeblich an dem Abkommen mit dem Iran beteiligt, was ja durch den Besuch von Trump in der Region wieder konterkariert wurde.

Donald Trump hat ja einen Rüstungsdeal über mehr als 100 Milliarden Dollar mit den Saudis eingefädelt. Auch wir Deutsche sind alles andere als zimperlich, wenn es darum geht, sie mit Waffen zu versorgen. Erklären Sie uns das bitte!

Lange Zeit war es ein Grundpfeiler unserer Politik, mit solchen Ländern solche Geschäfte zu machen, um Einfluss zu sichern. Die Devise lautete: Wandel durch Handel. Wesentlich weiter sind wir aber nicht gekommen. Deshalb habe ich mich vor längerer Zeit in meiner Funktion als Vorsitzender der deutsch-arabischen Parlamentariergruppe dafür ausgesprochen, Waffengeschäfte mit Saudi-Arabien auszusetzen. Daran halte ich fest.

Der Iran ist der böse Bube im Spiel. Warum ist er böser als die anderen?

Ich sehe das nicht so. Bei den Wahlen kürzlich wurden die Reformkräfte um Präsident Rohani gestärkt, ein positives Signal. Umso ärgerlicher war dann die Stellungnahme des amerikanischen Präsidenten in Saudi-Arabien. Ich streite gar nicht ab, dass der Iran machtpolitische Interessen hat. Er versucht auch, seine Einflusssphäre über den Irak, Syrien und den Libanon zu erweitern. Aber was den Terror anbelangt, sind mir im Moment keine Attentäter aus dem Iran bekannt, zumindest was die jüngsten Anschläge anbelangt. Allerdings war der Amokläufer in München iranischstämmig. Andererseits kämpft der Iran an der Seite der iranischen und kurdischen Streitkräfte gegen den IS - wie zum Beispiel in Mossul.

Darf in einem Terrorstaat wie Katar eine Fußball-WM stattfinden? Sollte Deutschland daran teilnehmen?

Vorab: Katar ist kein Terrorstaat, die staatlichen Stellen beteiligen sich vielmehr an der Bekämpfung des Terrorismus. Das muss man davon trennen, dass es in der Bevölkerung offene Sympathien für radikale Kräfte gibt. Was den Fußball angeht: Das ist keine Sache der Politik. Das muss die FIFA entscheiden. Wer aber die Debatten verfolgt hat, sieht ja schon, dass es daran gewisse Zweifel gibt.

Darf sich ein deutscher Rekord-Fußballmeister wie der FC Bayern von einem Terrorstaat sponsern lassen?

Auch darüber zu urteilen ist nicht Aufgabe eines Abgeordneten.

Aber eine Meinung haben Sie?

Ja, aber als bekennender VfB-Fan gibt’s da Wichtigeres.