Krankheit
Katzen: Tödliches Parvovirus grassiert im Tierheim Esslingen

Zwei Fundtiere haben das für Katzen lebensbedrohliche Parvovirus ins Esslinger Tierheim eingeschleppt. Fast 50 Artgenossen steckten sich an. Das Tierheim in Kirchheim hat die Infektionswelle hinter sich.

Im Kirchheimer Tierheim ist das Parvovirus dank strenger Hygiene überstanden. Foto: Tobias Tropper

Weißer Schutzanzug, weiße Kapuze, weiße Handschuhe – Sandra Kunz sieht aus, als käme sie gerade von einem Spaziergang auf dem Mond zurück. Doch die Mitarbeiterin hat in der Quarantänestation des Tierheims Esslingens nach den Katzen geschaut, die vom Parvovirus betroffen sind. Vor ein paar Wochen seien zwei Fundtiere aus Mettingen abgegeben worden – sehr mager, aber sonst unauffällig. Am nächsten Tag war eine der kleinen Katzen tot und die Einrichtung im Nymphaeaweg im Alarmzustand. Das Parvovirus ging um.

Die fast 50 erkrankten Tiere wurden von den anderen getrennt, Hygienemaßnahmen ergriffen, Mitarbeitende für die Pflege der Quarantänetiere abgestellt, das Tierheim einige Wochen lang für den Publikumsverkehr geschlossen. Nun läuft der Betrieb eingeschränkt an.

 

Es ist die Masse an unkastrierten und nicht gekennzeichneten oder registrierten Katzen, die draußen herumlaufen, die uns die Arbeit im Tierschutz so schwer und oft frustrierend macht.

Martina Wölfl-Neubauer vom Tierschutzverein Kirchheim

 

Das Virus, das für den Menschen ungefährlich ist, sei sehr widerstandsfähig, sagt Sandra Kunz, die im Tierheim für Quarantänekatzen zuständig ist. Bei einer Temperatur von 70 Grad könne es bis zu 30 Minuten überleben. Die Sterblichkeitsrate könne bei bis zu 80 Prozent liegen, doch im Tierheim Esslingen halte sich die Zahl in Grenzen: Erkrankte Tiere würden mit einer speziellen Medizin behandelt.

Eine Flasche koste 33 Euro, und eine kleine Katze brauche eine, ein großes Tier zwei Flaschen am Tag. Die Behandlung ist somit kostenintensiv. Kunz fordert daher eine Impf- und Kastrationspflicht. Nur so könnten Krankheiten und eine unkontrollierte Vermehrung der Population mit einem vermehrten Übertragungsrisiko verhindert werden: „Katzen können zwei Mal im Jahr bis zu acht Junge bekommen.“

Eine Infektionswelle mit dem Parvovirus hat auch das Tierheim Kirchheim hinter sich, berichtet Martina Wölfl-Neubauer vom Tierschutzverein Kirchheim. Die Folgen: ein Aufnahmestopp, strengste Hygieneanforderungen, Stress für Mitarbeitende: „Jeder Schritt muss genau durchdacht werden. Was muss wie und wie lange desinfiziert oder ausgekocht werden? Wir denken mit Trauer an die Verluste, die diese Krankheit den Tieren abverlangt hat.“ Die Ansteckungsgefahr sei hoch, das Virus sei resistent gegen viele Desinfektionsmittel und überlebe an der Luft bis zu sechs Monate lang. Auch Martina Wölfl-Neubauer fordert Impfungen sowie eine flächendeckende Katzenschutzverordnung mit Kastrations-, Kennzeichungs- und Registrierungspflicht: „Es ist die Masse an unkastrierten und nicht gekennzeichneten oder registrierten Katzen, die draußen herumlaufen, die uns die Arbeit im Tierschutz so schwer und oft frustrierend macht.“

Impfung ist sinnvoll

Im Tierheim Stuttgart gab es den letzten, aber unbegründeten Verdacht auf das Parvovirus vor drei Jahren. Pressesprecherin Petra Veiel spricht sich ebenfalls für Impfungen aus, da auch andere Krankheiten gefährlich für die Tiere seien. Das Verhalten mancher Tierbesitzer sei „unverantwortlich, sorglos, geizig, egoistisch und unglaublich dumm“. Petra Veiel prangert auch ein ihrer Meinung nach unklares Tierschutzgesetz an, das „die Erlaubnis zur operativen Unfruchtbarmachung auf wenige Ausnahmen begrenzt“. Bei Haustieren wie Hunden und Katzen sei eine Kastration nur dann erlaubt, wenn sie nach der Indikation eines Tierarztes geboten sei oder wenn eine unkontrollierbare Fortpflanzung verhindert werden solle. Ein anderer Grund für fehlende Katzenschutzverordnungen seien der Kostenfaktor, fehlende Personalstellen in der Stadtverwaltung und eine zu geringe Anzahl an Amtsveterinären.

Städte ohne Katzenschutzverordnung verweisen auf die hohen Ausgaben und den immensen organisatorischen Aufwand bei der Umsetzung. Die Erfassung und Verwaltung einer Katzenpopulation erfordere ein umfassendes Registersystem, teilt etwa Michael Mikolajczak von der Stadt Plochingen mit: „Laut Erfahrungen anderer Städte entstehen dadurch jährliche Kosten zwischen 10.000 und 30.000 Euro, abhängig von der Einwohnerzahl und der Anzahl frei laufender Katzen.“ Die Kastration freilaufender Fellnasen schlage mit 50 bis 100 Euro pro Tier zu Buche – für Plochingen würden sich die jährlichen Ausgaben auf bis zu 20.000 Euro allein für die Kastration der Katzen belaufen.

Kontrollmaßnahmen zur Überwachung der Kastrations- und Registrierungspflicht seien schwierig und erforderten personelle Ressourcen, die nochmals Ausgaben zwischen 15.000 und 25.000 Euro pro Jahr nach sich zögen. Die Durchsetzbarkeit ist nach Ansicht von Mikolajczak begrenzt: Die Maßnahmen könnten schwer flächendeckend durchgesetzt werden. Letztlich herrsche auch Unklarheit über tatsächliche Zahlen: „Viele Städte kämpfen mit unzureichenden Daten zu Streunerpopulationen, was die Planung und Effektivität solcher Verordnungen erschwert.“

 

Das Parvovirus

Entdeckung: Das Parvovirus kann manchmal nicht sofort erkannt werden, teilt Martina Wölfl-Neubauer vom Tierschutzverein Kirchheim mit. Ein Tier könne sich noch in der Inkubationszeit befinden. Es sei auch möglich, dass eine Katze das Virus symptomlos ausscheide. Daher könne es schnell zu einer Infektionswelle kommen.

Symptome: Das Parvovirus kann sich laut Sandra Kunz bei Katzen in Mattigkeit, Lustlosigkeit und Apathie äußern. Weitere Zeichen für eine Erkrankung sind laut der Mitarbeiterin des Esslinger Tierheims Erbrechen und Durchfall, sehr hohes Fieber sowie eine Futterverweigerung. Besonders bei jungen Kätzchen oder ungeimpften Tieren könne die Sterblichkeitsrate ohne eine Behandlung sehr hoch sein. sw