Sandra Nebe ist mit den Nerven am Ende. Nicht erst seit gestern schreit die Leiterin des Kirchheimer Tierheims zum Himmel, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Unkastrierte Katzen vermehren sich ungehindert; die Streunerpopulation wächst und mit ihr das Tierleid, das Sandra Nebe tagtäglich sieht.
Auch innerhalb des Heims steht ihr das Wasser bis zum Hals: Neben den rund 60 Katzen sind dort 20 Igel, zahlreiche Schildkröten, Vögel, Hunde, Kaninchen und weitere Tierarten untergebracht. Der Platz dafür fehlt, genauso das Geld. Von der Stadt erhofft sich die Tierschützerin mehr finanzielle Unterstützung und die Einführung einer Kastrationspflicht für Freigänger. Vor allem bei letzterem stelle sich die Stadt jedoch quer.
Die sehen das Problem nicht. Die sagen, wir haben kein Problem.
Sandra Nebe, Leiterin des Tierheims, über die Haltung der Stadt und der Kommunen zu herumstreunenden Katzen
Pro Einwohner oder Einwohnerin der insgesamt zehn Kommunen, für die das Heim zuständig ist, erhalten Nebe und ihr Team pro Jahr aktuell 90 Cent. Bei diesen Geldern handelt es sich um die sogenannte Fundtierpauschale, die 2019 zwischen den Kommunen und dem Heim ausgehandelt wurde. Doch in den vergangenen sechs Jahren hat sich viel getan. „Wo haben wir denn noch Preise wie 2019?“, will Sandra Nebe wissen. „Weder beim Kaffee noch bei Tierfutter oder Tierarzt.“
Die Kommunen stehen in der Verantwortung
Weil die 90 Cent pro Einwohner nicht einmal ausreichen, um die Fundtiere zu versorgen, die rund 35 Prozent der tierischen Bewohnerschaft ausmachen, muss sich das Heim mithilfe von Erbschaften, Geld- und Sachspenden über Wasser halten. Die Unterfinanzierung macht sich vor Ort in erster Linie durch Personalmangel bemerkbar.
Sandra Nebe ist schon länger bemüht, das Problem an die Stadt Kirchheim und die übrigen Kommunen heranzutragen. Seit mehreren Wochen wird aktiv verhandelt. „Irgendwann ist so ein Tierheim am Ende“, bedauert die langjährige Leiterin. Mit dieser Realität sieht sich nicht nur der Tierschutzverein Kirchheim konfrontiert. Auch viele andere Heime sind am Limit; statt zu sinken, steigt der Aufwand immer weiter.
„Die Stadt kann sich nicht aus der Verantwortung ziehen“, stellt Sandra Nebe klar. Wenn das Tierheim irgendwann an einen Punkt gelangt, an dem es keine Kapazität mehr hat, um Fundtiere aufzunehmen, steht die Kommune rechtlich in der Pflicht, eine andere Unterbringungsmöglichkeit zu organisieren.
Wenn es so weitergeht, haben wir bald Zustände wie im Süden und im Ostblock.
Sandra Nebe
„Die Stadt wird ihrer Verpflichtung zur Fundtierunterbringung nachkommen“, beteuert eine Sprecherin der Stadt Kirchheim. Da es sich nur bei rund jedem dritten Tier im Heim um ein Fundtier handle, bestehe nach Kenntnis der Stadtverwaltung aktuell keine Gefahr, dass das Tierheim seiner Verpflichtung, Fundtiere aufzunehmen, nicht mehr nachkommen könne.
Diese Argumentation lässt Sandra Nebe nur den Kopf schütteln. Denn ob Fund- oder Aufnahmetier: ein volles Tierheim sei ein volles Tierheim. Auch Nicht-Fundtiere müssten versorgt werden. Das, so Nebe, sei dann zwar nicht auf Kosten der Stadt, doch die komme aktuell ja nicht einmal für alle Fundtiere auf. Dafür greife das Heim kontinuierlich in die eigene Tasche.

Erst kürzlich sei eine Tierarztrechnung über 1200 Euro für die Behandlung zwei verletzter Fundtiere ins Heim geflattert. Beide Tiere hätten trotz ärztlicher Bemühungen nicht überlebt. „Davon hat die Stadt keinen Cent gezahlt“, sagt Sandra Nebe. Man könne ihr den Begriff „Fundtier“ ja noch nicht einmal klar definieren. „Was ist denn mit den zehn Kätzchen, die an der Hahnweide gefunden wurden? Was ist, wenn eine Oma stirbt und ihr Hund übrigbleibt?“
Kätzchen werden schon krank geboren
Die Tierschützerin hat eine eindeutige Botschaft: Man muss das Problem bei der Wurzel packen! Um die unkontrollierte Vermehrung der Katzen einzudämmen, fordert Sandra Nebe die Einführung einer Kastrations- und Meldepflicht für Freigänger, die von Kommunen verordnet werden kann.
„Die Katzenflut ist ein Riesenproblem“, klagt Sandra Nebe. „Wenn es so weitergeht, haben wir bald Zustände wie im Süden und im Ostblock.“ Mittlerweile, so Nebe, sehe man auch hier immer öfter Kätzchen, die zum Teil schon krank zur Welt kommen und einem „in den Händen wegsterben“ würden. Mit netten Appellen an die Bevölkerung – und vor allem die Bauern –, ihre Katzen zu kastrieren, komme man leider nicht weit. Da helfe nur der rechtliche Schritt.
Die Stadt kann sich nicht aus der Verantwortung ziehen.
Sandra Nebe
Bei der Stadt und den Gemeinden stoße diese Bitte jedoch „absolut“ auf taube Ohren. Man habe ihr sehr deutlich signalisiert, dass an der Einführung einer Kastrationspflicht kein Interesse bestehe, erzählt Sandra Nebe frustriert. „Die sehen das Problem nicht. Die sagen, wir haben kein Problem.“
„Der Stadt sind keine großen Ansammlungen von wildlebenden Katzen im Stadtgebiet bekannt“, heißt es auf Nachfrage aus dem Rathaus. Weil eine Kastrationspflicht im Einzelfall „das hohe Rechtsgut der Unantastbarkeit des Eigentums“ außer Kraft setzen könne, müsse die Anfrage rechtlich ausführlich begründet und zwingend notwendig sein. Für ein Katzenproblem gebe es bisher keine Belege.
Sandra Nebes große Hoffnung ist derweil, die Bevölkerung zu mobilisieren. Sie erläutert, man müsse das Thema publik machen, aufklären, und mit etwas Glück habe vielleicht sogar jemand Kontakt zu den richtigen Leuten. „Es muss doch irgendwo da oben jemanden geben, der ein Herz für Katzen hat.“
Was ist eine Fundtierpauschale?
Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch gilt ein gefundenes Tier rein rechtlich als „Fundsache“.
Die Kommune, in der das Tier gefunden wurde, ist daher gesetzlich verpflichtet, sich darum zu kümmern. Dazu zählen die Unterbringung, Nahrung und medizinische Versorgung.
In der Praxis wird diese Aufgabe üblicherweise von Tierheimen übernommen; die Kosten dafür trägt jedoch die Kommune.
Viele Tierheime schließen mit der Stadt oder Gemeinde einen Pauschalvertrag ab. Die Fundtierpauschale wird entweder pro gefundenem Tier oder pro Einwohner berechnet.
Oft reicht die Fundtierpauschale nicht aus, um die tatsächlichen Kosten des Tierheims zu decken.

