Weilheim und Umgebung
Keiner pflegt Streuobstwiesen:  Das Paradies ist in Gefahr

Kulturgut Streuobstwiesen wurden über Generationen hinweg mit viel Wissen und Aufwand liebevoll gepflegt. Der „Tag der Streuobstwiese“ am 29. April soll helfen, dieses ökologische Kapital zu erhalten. Von Daniela Haußmann
 

Streuobstwiesen sind schön, vor allem zur Blütezeit. Nicht umsonst wird die Region als „Streuobstparadies“ bezeichnet. Streuobstwiesen sind aber auch ein uraltes Kulturerbe und Oasen der Biodiversität. Obstbäume, Sträucher, Büsche, Hecken, Reisighaufen oder Wiesen bieten auf engstem Raum ein enorm breites Spektrum an Lebensräumen. Aus diesem Grund

 

Die Flächen werden
schrittweise zu Wald.
Rudolf Thaler


finden in diesem Teil der Kulturlandschaft rund 5000 Tier- und Pflanzenarten eine Heimat, darunter seltene und bedrohte Arten wie Steinkauz, Wiedehopf, Wendehals oder Halsbandschnäpper, die Rudolf Thaler früher deutlich öfter auf den Flächen rings um Weilheim und Bissingen beobachten konnte. Der Vorstandsvorsitzende des Obst- und Gartenbauvereins (OGV) Bissingen bedauert, dass die Zukunft dieses wertvollen ökologischen Kapitals auf wackeligen Beinen steht.
„Obwohl Natur und Landschaft in der Gesellschaft einen so hohen Stellenwert besitzen wie nie zuvor, sind immer weniger Menschen bereit, die Bestände zu bewirtschaften“, sagt der Hobby-Pomologe. Viele Grundstücke verschwinden deshalb unter Brombeeren und anderem Buschwerk. Dadurch verändern sich die Lebensbedingungen wie Mikroklima, Lichtverhältnisse, Nährstoff- oder Wasserhaushalt auf den Obstwiesen: „Die Flächen werden schrittweise zu Wald. Es entsteht also ein neuer Lebensraumtyp, an den ganz andere Pflanzen und Tiere angepasst sind.“
Zu den Verlierern zählen für ihn auch etwa 3000 Obstsorten, mit denen die landesweiten Obstbestände laut baden-würt­tembergischer Streuobstkonzeption aufwarten. Nicht nur wegen des schwierigen Generationenwechsels, sondern auch aufgrund des Klimawandels, der zudem das Auftreten alter und neuer Krankheiten und Schädlinge, wie Schwarzer Rindenbrand, Marmorierte Baumwanze oder Kirschessigfliege, begünstigt, sieht Rudolf Thaler dieses Kulturerbe in Gefahr. Allein an der Limburg stehen laut seinem OGV-Kollegen Karl Bölz schätzungsweise 10 000 Obstbäume. Nicht wenige von ihnen stammen aus der örtlichen Baumschule Entenmann und wurden in den 50er-Jahren an den Hängen von Weilheims Hausberg gepflanzt, etwa Sorten wie Jakob Fischer, Gewürzluiken, Hauxapfel oder Topaz.
Darauf ist Seniorchef Karl Entenmann stolz. Sein Unternehmen zählt, genau wie die Baumschule Weissinger, zu den letzten Betrieben ihres Fachs, die noch Obstgehölze durch Veredelung vermehren. Diese uralte gärtnerische Technik kannten laut Herman Weissinger vor gut 3000 Jahren schon die Phönizier. Nördlich der Alpen verbreitete sich dieses Wissen mit den Römern, die auch im Landkreis Esslingen Spuren hinterließen. Sorten, die nach Auskunft von Karl Entenmann vor einigen Jahrhunderten kultiviert wurden, wie laut Nabu etwa 1565 der Rote Herbstkalvill oder 1510 die Goldparmäne, konnten so bis heute erhalten werden.
Doch je weniger der Generationenwechsel hier gelingt, desto mehr geht auch das Kulturerbe der Veredelung verloren. Das ist schade, denn ein großer Vorteil der verschiedenen Vermehrungsmethoden besteht darin, dass sich mit ihnen Größe, Ertrag, Alter oder auch die Resis­tenz gegenüber Krankheiten oder Schädlingen nachhaltig beeinflussen lässt, wie Marc Weissinger berichtet. Grund: „Bei der Veredelung werden Pflanzenteile unterschiedlicher Sorten kombiniert, um gezielt die gewünschten Eigenschaften der Ursprungsbäume zu fördern.“ Über Generationen hinweg wurden so mit Fleiß, Hingabe und Know-how ein abwechslungsreicher, lebendiger und identitätsprägender Naturraum geschaffen. Nicht nur für Weissinger steigert dies den Aufenthalts- und Erlebniswert im Grünen. Zudem wird das Interesse an der Natur gefördert und die Wohnqualität in den Kommunen.