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„KI kann das Denken nicht ersetzen“

Vortrag Der Neurowissenschaftler Henning Beck klärt über den Unterschied von Lernen und Verstehen auf: Maschinen können eine Menge Daten auswerten, aber nicht verstehen, was sie tun. Von Andreas Volz

Lernen und Verstehen sind zwei Paar Stiefel: Man kann viele Dinge mechanisch lernen, ohne sie jemals wirklich zu verstehen. Deshalb sagt der Biochemiker und Neurowissenschaftler Dr. Henning Beck: „Lernen ist nichts Besonderes. Alle Lebewesen können etwas lernen.“ Das Gelernte jedoch lässt sich schnell wieder
 

Es gibt nichts Besseres als ein Fragezeichen.
Henning Beck
über den Spaß am Lernen durch Rätseln

vergessen, wenn es nicht mehr gebraucht wird. Wer aber einmal etwas verstanden hat, der könne es nicht wieder „ent-verstehen“. Henning Becks Fazit: „Verstehen ist der Unterschied.“

Zur Feier seines 100-jährigen Bestehens hatte das Kirchheimer Seminar zur Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte den Hirnforscher in die Dettinger Schlossberghalle eingeladen – zum Vortrag mit dem Thema „Lernst du noch oder verstehst du schon? Wissensvermittlung in digitalen Zeiten“. Die wichtigste Botschaft vorab: „Künstliche Intelligenz kann das menschliche Denken nicht ersetzen. Die nächste große Idee kennt heute noch keiner. Aber so viel ist sicher – sie wird von einem Gehirn ausgedacht und nicht von einer Maschine.“

Henning Beck nannte zwei unterschiedliche Prinzipien: Um herauszufinden, was ein „E“ ist, kann man Millionen von „Es“ anschauen und daraus die Charakteristik herausfinden, die ein „E“ ausmacht. Man ist dann selbst in der Lage, ein „E“ zu produzieren. So macht es die Maschine, die dem menschlichen Gehirn weit überlegen ist, wenn es darum geht, in kürzester Zeit immens große Datensätze auszuwerten.

Menschen müssen sich zwangsläufig anders behelfen: Ihnen genügt der Blick auf ein einziges „E“ oder ein paar wenige „Es“, um die Konstruktion dieses Buchstabens zu erkennen und danach für den Rest des Lebens millionenfach neue „Es“ zu schreiben. Dieses Prinzip erzeugt Kreativität.

Wenn Kinder ihre Muttersprache lernen, müssen sie beide Prinzipien kombinieren, gab Henning Beck zu: „Die ersten beiden Jahre sammeln sie nur Daten.“ Sie haben also einen enormen Input bei bescheidenem Output. Danach aber beginnen sie, selbst zu sprechen und dabei äußerst kreativ mit der Sprache umzugehen, weil sie das Prinzip der Sprache immer besser verstehen. Grammatische Feinheiten müssen sie nicht mit den entsprechenden Fachwörtern beigebracht bekommen. Sie lernen und verstehen die Grammatik durch ihre Kombinationsgabe. 

Auch um einen Rauchmelder zu erkennen, muss man nicht allzu viele Exemplare gesehen haben. Die menschliche Kombinationsgabe geht sogar noch weiter: Sie hilft dabei, recht schnell völlig neue Begriffe zu verstehen – wie das einmal bei „Brexit“ oder bei „Selfie“ der Fall war. Im Gegensatz zur künstlichen Intelligenz muss das menschliche Gehirn nicht Millionen von Textstellen auswerten, in denen diese Wörter vorkommen. Es genügt, das Prinzip anhand weniger Beispiele zu verstehen.

Mehr Mut zum Irrtum

Wichtig ist dabei, dass man auch Fehler machen kann, wie beim Laufen lernen: Hinfallen, aufstehen, weitermachen heißt die Devise. Aus Fehlern lässt sich lernen. In diesem Zusammenhang zitiert Henning Beck Hegel, der festgestellt hatte, dass die Furcht zu irren schon der Irrtum selbst ist.

Auf die Praxis bezogen, rät er deshalb zu „ineffizienten Phasen“, in denen die Schüler rätseln können, wie sich ein Problem lösen lässt. Auch wer nicht auf die richtige Antwort kommt, ist entsprechend „angefixt“, um die Lösung wissen zu wollen. „Es gibt nichts Besseres als ein Fragezeichen“, sagt der Neurowissenschaftler.

Schulstunden mit einem Cliffhanger enden zu lassen – wie eine Fernsehserie –, das hilft, damit sich die Klasse auch nach Schulende noch eigenständig mit dem Thema befasst und weiterdenkt. Und deshalb stellten sich alle Fachkräfte im Saal folgende Frage: „Wie kriege ich das am besten hin?“