Nur einmal als Profikämpfer im Scheinwerferlicht mit Musik und Robe zum Boxring einlaufen, gefeiert von der Menge. Mit diesem Bild vor Augen begann Gökhan Arslan im für Kickboxer bereits hohen Alter von 24 Jahren sein Training. Der Wunsch wurde zur
Karriere: In 43 Kämpfen gewann er vier Weltmeistertitel, kämpfte in der Olympiahalle München. Heute ist Arslan 47 Jahre alt. Seinen letzten Kampf bestritt er vor fast einem Jahrzehnt – am 26. Oktober 2013, erinnert er sich. Dass er an diesem Abend in Göppingen zum letzten Mal im Scheinwerferlicht stehen würde, war fix. Der Zenit des Profisportlers war mit 37 Jahren bereits überschritten: „Ich war viel nervöser als sonst. Mein Gegner war 28. Das beste Alter für einen Kickboxer. Ich riskierte drei Titel, er nur einen“, sagt er.
Nachdem Arslan seinen Gegner in der vierten Runde k.o. geschlagen hatte, sind viele Tränen geflossen. Die Emotionen seien zu viel für ihn gewesen. In ein Motivationsloch fiel er nach dem Ende seiner Karriere nicht, denn auch im Altern schlägt er sich wacker. Den berüchtigten Angstgegner Midlife-Crisis bezwang er gar kampflos. Ihm gefallen seine grauen Haare und seine Fältchen einfach, erzählt er lächelnd. Sein Geheimnis für das glückliche Altern: viel Zeit mit der Familie verbringen, Sport sowie die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Was ihm im Leben am wichtigsten ist: Respekt vor anderen und vor sich selbst.
Die Reflexe lassen nach
Nachdem er seine Handschuhe im Ring gelassen hatte, stieg Arslan die Treppe hinunter zur Trainerecke, und dort sei er glücklich. In seinen Kampfsportschulen in Esslingen, Nürtingen und Kirchheim unterrichtet er den Nachwuchs und bereitet die nächste Generation auf Wettkämpfe vor. Auch wenn die Nervosität noch schlimmer sei, wenn er selbst nur unterstützend bei Kämpfen dabei sein könne. Die Arbeit halte ihn jung. Als ob er selbst ein Schulkind sei, könne er sich mit den Jugendlichen während des Trainings unterhalten. Sie erzählen ihm, was auf dem Schulhof passiert ist, und er kann ihnen durch die Erfahrung seines Alters Ratschläge geben.
Dass er mit fast 50 Jahren inzwischen mehr für seine Kondition trainieren müsse als früher, sei der Lauf der Dinge. Nur die Reflexe hätten nachgelassen. Dieser Prozess lasse sich nicht aufhalten. Das Training mit seinem Sohn Deniz, der selbst als Profi-Kickboxer aktiv ist, traut er sich nicht mehr zu. „Er ist zu schnell und zu stark“, erzählt er grinsend. „Wenn man da einmal die Pratzen falsch hält, dann war es das mit dem Handgelenk.“ Natürlich sei er auf alle seine Schüler gleichermaßen stolz. Ob es seine eigenen Kinder sind oder nicht, da mache keinen Unterschied.
Schwerer Start in Deutschland
In einem Jahr will er endgültig in den Ruhestand gehen – mit 48 Jahren. Ein Luxus, der wohl Profisportlern und Kampfpiloten vorbehalten ist. Die Sportschulen will er seinen drei Kindern überlassen, die inzwischen alle über 20 Jahre alt sind – alle Kickboxer. Aber: Kickboxer mit einer soliden Berufsausbildung. Das sei ihm wichtig. „Sonst werde ich sauer“, bekundet er ernst. Immer auf Nummer sicher zu gehen, rührt wohl von seiner Lebensgeschichte her: Im Alter von 17 Jahren kam er nach einem verheerenden Erdbeben in seiner Heimat, der türkischen Stadt Erzincan, nach Deutschland. Musste erst die Sprache und die Mentalität erlernen.
Die Erfahrung, bei Null anzufangen, erdete ihn, lehrte ihn Demut. „Ich brauche nicht viel und hatte während meiner Karriere nie Angst, alles zu verlieren. Ich wusste, ich kann arbeiten.“ Das Resultat dieser Erfahrungen ist eine grundlegend positive Lebensphilosophie und eine bemerkenswerte Einstellung zur Integration. Einer älteren Dame die Tasche zu tragen, sei keine gute Tat, sondern normales, menschliches Verhalten – Nationalität, Religion und Hautfarbe hätten darauf keinen Einfluss. Auch in die Rentenkasse einzuzahlen, um anderen den verdienten Ruhestand zu finanzieren, sei ihm ausgesprochen wichtig, da er das Leben und die Möglichkeiten liebe, die ihm hier geboten worden seien.
Seinen Ruhestand möchte er nutzen, um selbst wieder als Schüler auf die Trainingsmatten zu gehen. Dass er als ehemaliger Weltmeister dann von Jüngeren unterrichtet wird, ist für ihn selbstverständlich: „Man kann sich nicht selbst trainieren, das können nur andere.“
Bald will er sich ein E-Bike für Touren über die Schwäbische Alb kaufen. Nicht, weil er es aus konditionellen Gründen brauchen würde – immerhin fuhr er in den vergangenen Jahren insgesamt drei Mal mit dem Rad in die Türkei und möchte noch in diesem Jahr einen 5000er-Berg besteigen –, sondern weil er ohne Anstrengung die Landschaft genießen möchte. Dazu wünscht er sich ein Häuschen am unteren Bosporus. Seine Frau, mit der er seit 28 Jahren glücklich verheiratet ist, freue sich schon mit ihm. Wenn dann noch Enkelkinder dazu kämen, wäre sein Glück perfekt: „Ich hoffe, dass eines meiner Kinder mal mein Haus in Bissingen übernimmt, und dann komme ich regelmäßig zu Besuch.“