Ihr Nachname ist Programm: „Mein Verhältnis zur Natur ist schon seit meiner frühen Kindheit sehr intensiv“, verrät Brigitte Springmann, die sich durch ihre Mutter für Pflanzen, Gräser, Kräuter, Vögel, Schmetterlinge und alles was wächst, blüht und gedeiht interessiert. Bis heute bringt sie von jedem Spaziergang, jeder Wanderung etwas aus dem Boden Gereiftes, Urwüchsiges mit, das ihr buchstäblich ins Auge springt. Wie beim Springkraut greift dann der Verbreitungsmechanismus – bei Brigitte Springmann zeigt sich das in Form von Hunderten von Scherenschnitten.
Handwerkszeug: Eine schlichte Nagelschere
Was allerdings die Begabung für ihre filigrane Kunst betrifft, die wurde ihr von zu Hause aus nicht in die Wiege gelegt. „Das kam einfach so zustande“, erzählt die ursprünglich aus dem mittelhessischen Ebsdorf, Kreis Marburg, stammende Künstlerin, die 1974 mit ihrem Mann Hans-Peter und ihren zwei Kindern, Barbara und Christian, in Kirchheim-Ötlingen ihre neue Heimat fand. Von 1981 bis 2007 arbeitete sie im Sekretariat der Kirchheimer Musikschule, „eine wunderbare Zeit mit Kindern, Lehrern und Musik“, erinnert sich Brigitte Springmann gerne an die 26 Jahre zurück.
Verwendete sie für ihre ersten, noch recht kindlichen Scherenschnittversuche schwarze Pappendeckel ihrer Schulhefte, nutzt sie längst das „60 Gramm leichte und drunter Original-Origamipapier, Normalpapier wiegt 80 Gramm“, das ihr ein japanischer Freund in allen Farben aus seinem Heimatland mitbringt. „Mein richtiges Scherenschnittpapier bekam ich mit etwa zwölf Jahren, mein allererstes Motiv waren die miteinander verbunden Drei Heiligen Könige, darauf folgten Weinblätter sowie Märchensymbole wie Prinzen und Prinzessinnen“, erzählt die Künstlerin, die mittlerweile mehrmals in China und ganz Europa war und über 20 Ausstellungen hatte.
Ihr Handwerkszeug ist eine klassische Nagelschere, „die allerdings von hochwertiger Qualität sein muss“. Konzentriert arbeitet sie „stets von innen nach außen, schneidet die zerbrechlichsten und dünnsten Stellen zuerst aus“, zeigt sie auf einem schnöden Blatt Papier. Als Voraussetzung für diese Art von Kunst benötige man eine „ruhige Hand, gutes Sehen, Geduld und Kreativität“, so Brigitte Springmann, die am 8. Mai ihren 80. Geburtstag feiern darf. „Jeder meiner Scherenschnitte ist aus einem Stück geschnitten und von daher ein Unikat. Ich musste noch nie einen Scherenschnitt wegschmeißen“, sagt sie und nennt ihre Maxime: „Mach’s einfach fertig!“ Insofern sind Korrekturen nur durch Reduzierung möglich, doch alles, was einmal weggeschnitten ist, ist unwiederbringlich dahin. Je filigraner, umso länger, von Stunden bis Wochen nennt sie das Zeitfenster.
Beim Entstehen ihrer Scherenschnitte legt sie besonderen Wert auf reale Flora und Fauna, Fotos kommen in der Regel nicht in Betracht. Ob Albkräuter, Akelei, Apfelblüten, aus denen ein Kranz entsteht, Brennnessel oder Äste und Zweige der Forsythie, Heckenrose oder Schlehe, aber auch Pilze, die sie sich jeweils nach Hause holt. „Ich beschäftige mich damit über einige Tage, gerne entscheide ich mich für nicht so perfekte Pflanzen und krumme Zweige, forme ein Bild und zeichne sie dann für den Schnitt auf“, sagt Brigitte Springmann, die ihre tierischen Beiwerke wie Libellen, Schmetterlinge, Vögel und Spinnen entweder vor Ort oder aus dem Gedächtnis skizziert.
„Mitunter ergeben sich während des Schneidens spontane Änderungen, indem ich auch etwas hinzufüge.“ Kein Scherenschnitt gleicht dem anderen, neu in ihrem Portfolio sind aktuell mit farbigem Origamipapier unterlegte Pflanzen-Arrangements oder wie beim Sommerstrauß rote Farbtupfer. Verwendet wurde bei den Blättern schon Grün oder Lila, bei den Veilchen findet sie weiße Schnitte auf schwarzem oder dunkelrotem Hintergrund interessant. Ein besonderer Hingucker ist außerdem der Faltschnitt, dabei wird das Papier in der Mitte gefaltet und das Motiv zur Hälfte ausgeschnitten – wodurch ein spiegelgleiches Bild entsteht.
Kunst gehört zum Kulturerbe der UNESCO
Die Wiege des Scherenschnitts liegt in China und ist dort historisch belegt seit der Zeit der Nördlichen Dynastie (4. bis 6. Jahrhundert). Im 17. Jahrhundert kam das kunsthandwerkliche Verfahren, Psaligrafie genannt, über Indien, Java und Persien nach Europa – dabei ist der Weißschnitt wesentlich älter als der schwarze Schattenriss. 2009 wurde der Chinesische Scherenschnitt von der UNESCO in die Repräsentative Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen.
Ausstellung: Die von den Kulturbeauftragten der Gemeinde, Gerti und Walter Grupp, initiierte Ausstellung im Bürgerzentrum Lichtenwald-Hegenlohe ist am 21. und 28. April von 13 bis 15 Uhr geöffnet. ack