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Kitas und Kindergärten sind am Limit

Personalmangel Die Freien Wähler schlagen Alarm und fordern einen Notfallplan in der Betreuung. Bis 2030 fehlen mehr als 40 000 Erziehungskräfte im Land. Von Bernd Köble 

Es ist als das verstanden worden, was es letztlich ist: ein lauter Hilferuf. Die Kommunen im Landkreis leiden unter bedrohlichem Personalmangel in Kindergärten und Kitas, der sich in den kommenden Jahren noch deutlich verschärfen könnte. Die Freien Wähler im Kreistag, die eine Vielzahl an Rathauschefinnen und -chefs in ihren Reihen haben, schlagen jetzt Alarm. In einem gemeinsamen Antrag an die Verwaltung fordern sie Lösungen, die vor allem eines sollen: auf die Schnelle helfen. 

Das Problem besteht landesweit. Nach Berechnungen des Kommunalverbands für Jugend und Soziales (KVJS) in Baden-Württemberg werden bis zum Beginn des neuen Jahrzehnts im Erziehungsbereich rund 41 000 Fachkräfte fehlen. „In den Städten und Gemeinden brennt die Hütte“, macht Plochingens Bürgermeis­ter Frank Buß die Lage deutlich. Buß ist Sprecher der Freien Wähler im Jugendhilfeausschuss des Kreistags, und er sagt: „Ich fühle mich als Bürgermeister alleine gelassen.“

Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, haben viele Kommunen viel Geld in den Neubau von Kindergärten und die Ausweitung von Betreuungsangeboten gesteckt. Jetzt müssen vielerorts bestehende Gruppen eingeschränkt werden, 
 

Ich fühle mich als Bürgermeister
allein gelassen.
Frank Buß
Rathauschef in Plochingen
 

neue können erst gar nicht öffnen. Im Klartext heißt das: Der Personalmangel bringt familienpolitische Errungenschaften, für die lange Zeit hart gekämpft wurde, in Gefahr. In den kommenden Jahren droht die Kluft zwischen Realität und Anspruch weiter zu wachsen. Während die geburtenstarken Jahrgänge sich in den Ruhestand verabschieden, haben Eltern ab 2026 einen Rechtsanspruch auf einen Ganztagesplatz in der Grundschule. 

Wie also soll das gehen? Die beiden Großen Kreisstädte Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen haben mit fachlicher Unterstützung inzwischen ein Qualifizierungsprojekt gestartet, mit dem man verstärkt um Migranten und Fachkräfte aus dem europäischen Ausland werben will. Ein Ansatz, der nach Vorstellung der Freien Wähler auch andernorts als Muster dienen könnte. Karin Käppel, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit in Göppingen, weiß, dass dies ein Baustein sein kann. Sie warnt jedoch davor, in ausländischen Erziehungskräften ein Allheilmittel zu sehen. „Das kann in manchen Fällen funktionieren“, sagt sie. „Solche Fachkräfte brauchen eine intensive Betreuung, da darf man sich nichts vormachen.“ Naheliegender wäre für sie, das eigene Potenzial, das es durchaus gibt, auszuschöpfen. Nur knapp die Hälfte der Erzieherinnen und Erzieher im Land arbeiten Vollzeit, 14 Prozent haben nur einen befristeten Arbeitsvertrag. Hinzu kommt, das allein im Arbeitsamtsbezirk Göppingen, zu dem auch der Kreis Esslingen zählt, etwa 900 Beschäftigte in der Erziehung keine entsprechende Berufsausbildung haben. 

Mehr Qualifikation, mehr Gestaltungsspielräume und bessere Bezahlung bei gleichzeitig verbesserten Arbeitsbedingungen fordern Gewerkschaften schon lange. Seit diesem Freitag laufen die Tarifverhandlungen im kommunalen Sozial- und Erziehungsdienst. Dabei geht es vor allem um die höhere Eingruppierung von 245 000 Beschäftigten in der Kinderbetreuung. Die kommunalen Arbeitgeber stellen sich quer. Der Esslinger Landrat Heinz Eininger verlangt stattdessen mehr Flexibilität, etwa beim Mindestpersonalschlüssel. „Wir sind gut beraten, nicht auf Standards zu beharren, wenn die Betreuung dadurch aufrecht erhalten werden kann“, sagt er. Allerdings liegen einer Studie des Leibniz-Instituts zufolge in der großen Verantwortung und Arbeitsbelastung jetzt schon die Hauptgründe, weshalb rund ein Viertel aller Erziehungskräfte innerhalb der ersten fünf Jahre wieder aussteigt.

Im Kreis Esslingen will man nun fachliche Hilfe hinzuziehen und gemeinsam mit den kommunalen Spitzenverbänden nach Lösungen suchen, die vor allem kurzfristig für Entlastung sorgen sollen. In der nächsten Bürgermeis­terversammlung soll das Thema ebenfalls auf den Tisch. Bis dahin hoffen Politik und Verwaltung auch auf erste Erfahrungen mit der Fachkräfte-Offensive in Filderstadt und Leinfelden-Echterdingen.