Der Schock sitzt tief. Der islamistische Terror der Hamas, mit dem Israel vor zwei Wochen überzogen wurde, habe Fassungslosigkeit hervorgerufen, erklären der Vorstandsvorsitzende des Kreisjugendrings Esslingen, Michael Medla, und der KJR-Geschäftsführer Ralph Rieck. „Das moralische Entsetzen ist immens“, sagt Rieck. Es sei Zeit, öffentlich Position zu beziehen. Am Freitag wurde deshalb die Stellungnahme „Solidarität mit Israel“ veröffentlicht. Darin heißt es: „Menschenverachtende Überfälle und Hass auf unschuldige Menschen sind durch nichts zu rechtfertigen.“ Der KJR pflegt seit 1974 eine Partnerschaft mit der israelischen Stadt Givatayim, östlich von Tel Aviv. Man sei mit den Gedanken und der Trauer bei den getöteten, entführten und verletzten Opfern, bei den Familien und Angehörigen, steht in der Stellungnahme. Momentan stehe die Betonung der uneingeschränkten Solidarität mit Israel im Vordergrund, hob Rieck hervor. „Jetzt ist nicht die Zeit für ein Aber“, betont er.
Allerdings wird die Zeit für die Diskussion des Nahostkonflikts aus Sicht des KJRs kommen. Seit längerem beobachten die Mitarbeiter, dass es nicht nur Jugendlichen schwerfällt, die Flut an Informationen im Internet selbstständig zu bewerten und zu filtern. „Man ist schnell in einer Echokammer“, sagt Medla. Dort werden die Positionen rasch immer radikaler und Widersprüche ausgeblendet. Dem möchte der Kreisjugendring entgegentreten. So könnten beispielsweise Einwohner aus der israelischen Partnerstadt Givatayim zu Diskussionen eingeladen werden. Erste Anfragen an Schriftsteller sowie an israelische und muslimische Musikgruppen für gemeinsame Konzerte seien bereits gestellt worden.
Das Thema Antisemitismus soll in den Fokus rücken. „Es braucht auch Orientierung“, findet Rieck. Diese könnten unter anderem die Mitarbeiter des KJR in ihrer täglichen Arbeit mit vielen Jugendlichen im Landkreis bieten. Dabei müsse auch Widerspruch geleistet werden, wenn fundamentale Werte des Zusammenlebens in Frage gestellt würden. „Wir wollen an dieser Stelle deutlicher die Auseinandersetzung führen“, erklärt er. Zunächst werden Plakate und Sticker verteilt. Auf dem Plakat steht: „Wir lieben das Leben und die Menschen. Gegen Rassismus, Antisemitismus und Menschenfeindlichkeit“. Ein QR-Code leitet auf die Seiten des KJR weiter, wo die Stellungnahme „Solidarität mit Israel“ vollumfänglich zu finden ist.
Das Dritte Reich wirkt weit weg
Für die deutsche Nachkriegsgenerationen war aufgrund der zeitlichen Nähe des Holocausts meist klar gewesen, dass es für Antisemitismus keinen Raum gibt. Für jüngere Menschen ist das Dritte Reich inzwischen aber weit weg. Zeitzeugen gibt es kaum noch. Und in manchen Einwandererfamilien fehlt die besondere Sensibilität Deutschlands gegenüber Israel. Kurz nach dem Angriff der Hamas fanden Jubelfeiern in deutschen Großstädten statt, bei denen palästinensische Fahnen geschwungen wurden. Das Engagement gegen Antisemitismus braucht aus Sicht des KJR Esslingen neue Konzepte. „Es ist ein langer Prozess, den wir vor uns haben“, sagt Rieck.
Ob in der Vergangenheit dem Antisemitismus mancher Muslime in Deutschland zu zögerlich entgegengetreten wurde? „Mag sein, dass man zu lange weggeschaut hat“, gibt Rieck zu. An dieser Stelle hätten sich viele Menschen in Deutschland nicht getraut, deutlich Position zu beziehen. Es sei aber notwendig, diese Auseinandersetzung zu führen. Auch in einer multikulturellen Gesellschaft müsse es eine Verständigung über das Zusammenleben geben. Der KJR erlebe das in seiner täglichen Arbeit. In die Einrichtungen kämen Jugendliche mit völlig unterschiedlichen kulturellen, religiösen oder weltanschaulichen Hintergründen. „Es ist nicht so, dass jeder kommt und es funktioniert. Es ist eine tägliche Auseinandersetzung“, berichtet Rieck.
Ein Vortrag mit Musik ist die Veranstaltung „Youth Against Antisemitism – Lesung, Party, Konzert“ am Samstag, 9. Dezember, um 19.30 Uhr im Jugendhaus Komma in Esslingen. Gelesen wird aus dem Buch „Judenhass Underground“, worin es über verstecken Antisemitismus geht.