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Klima 2050: Es braut sich was zusammen

Zukunft Journalist, Autor, Aktivist: Nick Reimer spricht im Rahmen der Kirchheimer Klima­fasten-Woche über sein Buch zum Klimawandel – und macht nicht allzu viel Mut. Von Thomas Zapp

Einen Gute-Laune-Vortrag hatte wahrscheinlich ohnehin keiner der Gäste im Gemeindehaus St. Ulrich erwartet, als der Journalist und Klimaexperte Nick Reimer auf dem Podium Platz nahm. Dass die Antworten auf die Fragen von Hans Dörr vom „Forum 2030 Kirchheim“ und Kirchheims Klimamanagerin Beate Arman aber derart beunruhigend ausfielen, sorgte immer wieder für hörbares Seufzen unter den rund 50 Zuhörerinnen und Zuhörern. Noch einige mehr hätte sich Mitorganisator Heinrich Brinker gewünscht.

Dabei ist das Thema im wahrsten Sinne des Worte heiß: Nick Reimers Buch „Deutschland 2050 – Wie der Klimawandel unser Leben verändern wird“ ist das Ergebnis intensiver Recherchen und zeichnet ein düsteres Bild. Beispiele gefällig: Bis 2050 werden in Deutschland die Jahresmitteltemperaturen im Vergleich zum Beginn der Aufzeichnungen 1881 um 1,9 bis 2,3 Grad Celsius steigen. Das ist auch gar nicht zu vermeiden, denn aufgrund der Trägheit des Klimasystems und der langen Lebensdauer von Treibhausgasen werden sich dann erst die Auswirkungen der Emissionen bis zum aktuellen Tag zeigen – auch wenn ab sofort die Emissionen auf null sinken würden. „Deutschland wird sich stärker erwärmen als woanders auf der Welt, im Sommer wird es nicht mehr kälter als 20 Grad sein“, sagt Reimer. Von den sogenannten tropischen Nächten gebe es aktuell fünf pro Jahr, ab 2050 seien es 70.

Weltweit gebe es mehrere „Kipp­elemente“, etwa die 3000 Meter dicke Eisschicht in Grönland, die schmilzt. „Wenn die weg ist, stiegt das Meer um sieben Meter, New York und Hamburg stehen dann unter Wasser“, sagt er. Ein anderer Kipppunkt liegt ebenfalls auf der Nordhalbkugel in den Permafrostböden, die derzeit kontinuierlich weniger werden. „Wenn die abtauen, werden noch mehr Treibhausgase freigesetzt.“ Stichwort: Methangase. 

Ab 2050 wird es noch dramatischer, wenn die Menschheit nicht auf die Emissionsbremse tritt: Bei weiterem starken Anstieg könnte sich Deutschland im Jahr 2100 um 4,5 Grad pro Jahr erhitzen. All das hat der Zentralcomputer des Deutschen Wetterdienstes modelliert, dessen Rechenleistung etwa der von 30 000 „normalen“ PCs entspricht. „Das Modell wird derzeit in der Zeit nach hinten geprüft und es stimmt. Es ist zu befürchten, dass es auch für die Zukunft funktioniert“, sagt Nick Reimer lakonisch. Der Wald in seiner Wahlheimat Brandenburg würde verschwinden, in Gegenden wie Stuttgart hätten die Bäume noch bessere Chancen. „Heiße Sommer werden ihren Reiz verlieren“, stellt Beate Arman fest. 

 

Mitte des Jahrhunderts werden wir nicht mehr in den Süden fahren.
Nick Reimer
über Urlaubsziele, die zu heiß werden
 

Was also ist zu tun? „Ein klimafreundliches Leben bedeutet einen Ausstoß von 1,5 Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr“, erklärt Nick Reimer. In Deutschland liegt der Wert bei derzeit 11 Tonnen – etwa das Fünffache eines Menschen in Indien. Eine Journalistin habe versucht, mit „radikalen Mitteln“ und Entbehrungen ihren CO2-Verbrauch zu senken. „Damit schaffte sie nur 4,5 Tonnen. Es ist wahnsinnig schwierig“, räumt der Autor ein. Er ist auch strikt dagegen, die Verantwortlichkeit auf das Individuum zu legen. „Es ist ein kollektives Problem, das wir kollektiv lösen müssen.“ 

Das „Verbotswort“ nimmt er nicht in den Mund, aber es schwingt mit: Inlandsflüge sind nicht zeitgemäß, Zement ist für sieben Prozent der Triebhausgase verantwortlich und der Bau von Autobahnen ist nicht zukunftsweisend: Will man dies ändern, braucht es ordnungspolitische Maßnahmen.

Landwirtschaft von heute ohne Zukunft

Auch die Landwirtschaft ist Thema seines Buches und der Diskussion an diesem Abend. „Der Obstanbau wird sich ändern, auch auf den Feldern wird man andere Früchte anbauen müssen“, sagt er. Für die Tierhaltung gebe es das Konzept des gläsernen Stalls, wo die Kuh bei konstant 24 Grad nur das zu fressen bekommt, was sie braucht, und ihre Emissionen werden in Wärmekraftwerke abgeleitet. „Die Landwirtschaft wie heute hat keine Zukunft“, sagt er.

Nach zweieinhalb Stunden ebenso interessanter wie entmutigender Diskussion gibt Nick Reimer noch einen Blick auf ein Szenario mit Problemlösungscharakter: CO2 als Währung. „Sie bräuchten eine Zentralbank, die CO2-Zertifikate als Währung akzeptiert. Wenn Sie einen New-York-Flug buchen, ist er entweder viel zu teuer oder Sie müssen ihn von Ihrem CO2-Konto bezahlen“, sagt er. Sei das Konto leer, müsse man einen CO2-Kredit aufnehmen, wahrscheinlich bei jemandem im globalen Süden, der per se viel weniger emittiert. Das sorge sogar für mehr globale Gerechtigkeit. „Aber das ist eher unwahrscheinlich“, nimmt er der guten Idee gleich wieder den Wind aus den Segeln. 

Auch in der Diskussion mit den Gästen klingt Verzweiflung mit, warum Klimaschutz auf breiter Basis nicht möglich scheint. Doch was konkret zu tun ist, da ist auch der Experte nicht immer eindeutig: Verbrenner durch Elektroautos umzutauschen, könne es auch nicht sein. „Solange der Strom mit Kohlekraft erzeugt wird.“ Dennoch gibt es so etwas wie einen Rat: „Banden gründen“, rät er den Anwesenden, Interessengruppen bilden wie „Fridays for Future“ oder auch „Die letzte Generation“ – wenngleich er deren Methoden nicht unbedingt für zielführend hält. Aber Verständnis habe er für deren Verzweiflung. Etwas davon ist auch an diesem Abend im Gemeindesaal zu spüren.