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Kreis macht Druck beim Wasserstoff

Energiewende Der Landkreis will in Kommunen und Betrieben für Aufbruchstimmung sorgen. Wissenschaftler sehen ein enormes Marktpotenzial.
Von Bernd Köble

Egal ob als Treibstoff der Zukunft oder bei der Umwandlung von grünem Strom in Wärme, grüner Wasserstoff ist nach Meinung vieler Experten der Schlüssel zur Energiewende. Politik und Wirtschaft im Land, aber auch hier im Kreis Esslingen, wollen nicht länger auf die Zukunft warten, sondern gemeinsam mit Wissenschaftlern die nötige Infrastruktur dafür schaffen. „Wir haben erkannt, dass Wasserstoff beim Erreichen unserer Klimaziele die zentrale Rolle spielt“, sagt der Esslinger Landrat Heinz Eininger.

Vertreter der Hochschule Esslingen und des Steinbeis Transferzentrums Energie- und Mobilitätssysteme (STEM) haben deshalb im Auftrag des Landkreises eine Potenzial-Analyse erstellt und dabei auch mögliche Mitspieler befragt. Das Ergebnis: Der Aufbau einer Infrastruktur für grünen Wasserstoff stellt für den Landkreis als Wirtschaftstandort und dichtbesiedelter Lebensraum eine gewaltige Chance dar. Jetzt soll gehandelt werden und zwar zügig, wie Eininger betont. Der erste Schritt: eine auf zunächst fünf Jahre befris­tete Koordinierungsstelle, angesiedelt bei der Wirtschaftsförderung, die Kommunen und Unternehmen beraten und beim Thema entsprechend vernetzen soll.

Leuchttürme strahlen weit in die Ferne, aber sie sind immer erst der Anfang von Land. Erste sogenannte Leuchtturmprojekte bei der Erzeugung und Nutzung von grünem Wasserstoff gibt es bereits im Kreis. Sie reichen von zwei brennstoffzellengetriebenen Transportern der kreiseigenen Straßenmeisterei bis zum klimaneutralen Stadtquartier in der Esslinger Weststadt. Projekte, die in Planung sind, könnten bald folgen. Einer der potenziell größten Schrittmacher: Cellcentric in Weilheim. Die geplante Brennstoffzellen-Gigafactory von Daimler Truck und Volvo unter der Limburg müsste diesen Sommer die letzte und entscheidende Hürde nehmen, wollte man, wie vom Unternehmen geplant, bereits 2026 in Produktion gehen. Grüner Wasserstoff als Beitrag zum Transformationsprozess könnte auch auf andere Wirtschaftszweige ausstrahlen, „auch auf solche, die heute eher schlechtere Zukunftsperspektiven haben“, meint der Sprecher der Freien Wähler im Umweltausschuss des Kreistages, Günter Riemer. „Deshalb wollen wir vor allem kleinere und mittlere Betriebe bei diesem Thema unterstützen und begleiten“, begründet Landrat Heinz Eininger den Entschluss für eine eigene Vermittlerrolle.

Für Kreis und Kommunen drängt die Zeit: Sie müssen bald schon entscheiden, auf welcher Technologie der Schwerpunkt liegen soll. Die von der EU beschlossene „Clean Vehicles Directive“ zwingt zum Umstieg auf emissionsfreie Fahrzeuge im öffentlichen Nahverkehr. „Wenn wir in die Ausschreibung gehen“, macht Eininger deutlich,  „muss klar sein, worauf wir setzen wollen.“ Nicht nur das, es braucht dann auch eine zuverlässige Infrastruktur, um Busse zu betanken. Ein zentraler Vorteil aus Sicht von Wissenschaftlern: Das bestehende Leitungsnetz für die Versorgung mit Erdgas kann auch für Verteilung und Transport von Wasserstoff genutzt werden. „Das ist wichtig, auch für die kommunale Wärmeplanung“, sagt Dr. Oliver Ehret, der die Potenzial-­Analyse im Auftrag des Landkreises federführend mit erarbeitet hat.

Klar ist: Grüner Wasserstoff ist keine Energiequelle, sondern ein Energieträger. Er kann grün erzeugten Strom in großen Mengen speichern und dann zur Verfügung stellen, wenn die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. Gleichzeitig braucht es gewaltige Mengen an erneuerbarer Energie, um Wasserstoff zu erzeugen. „Wir werden nie in der Lage sein, die Mengen, die wir brauchen, hier im Kreis herzustellen“, betont der Landrat und verweist auf die Bedeutung von Importen aus dem hohen Norden.

Grüne für Ausweitung von Windkraft

Die Grünen im Kreistag pochen umso mehr darauf, Windkraft auch im Kreis effizienter zu nutzen. „Das Potenzial ist viel größer, als immer behauptet wird“, betont der umweltpolitische Sprecher der Fraktion, Jürgen Menzel, und fordert einfachere und schnellere Genehmigungsverfahren. Eininger verweist dabei auf die Ausweisung geeigneter Gebiete in Analysen. „Antragsteller kann ich mir nicht schnitzen“, meint er. „Die kommen, wenn ausreichend Potenzial erkannt wird.“ Gebiete, die im Kreis potenziell interessant seien, sagt Eininger, „sind hier überlagert von Schutzgebieten“.   

Geplante Wasserstoff-Pipelines

Süddeutsche Erdgasleitung (SEL) Der zentrale Versorgungsstrang für Erdgas soll bis 2026 vom hessischen Lampertheim bis nach Esslingen verlängert werden. Damit wäre für den Landkreis eine Lücke beim Transport von Wasserstoff aus dem Norden geschlossen. Die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff ist für 2030 geplant. Hauptabnehmer soll das Kraftwerk Altbach sein, das aus der Kohleverstromung aussteigen und nach einer Übergangszeit mit Erdgas ab 2035 Energie komplett aus Wasserstoff gewinnen will.
H2 GeNeSIS Das Gemeinschaftsprojekt der Stadtwerke Stuttgart und Esslingen sieht eine Wasserstoff-Pipeline von Stuttgart-Gaisburg entlang des Neckars bis nach Esslingen vor. Die Inbetriebnahme ist für 2026 geplant. Der grüne Wasserstoff soll per Elektrolyse im Stuttgarter Hafen erzeugt werden.bk