Das Problem zeichnet sich schon seit Jahren ab. Die jüngste Erhebung vom Sommer vorigen Jahres verheißt jedenfalls nichts Gutes: Rund 44 Prozent der niedergelassenen Hausärzte im Kreis Esslingen sind 60 Jahre oder älter. Fast alle, die ans Aufhören denken, bezeichnen die Suche nach einer Nachfolge für ihre Praxis als äußerst schwierig. Um angehende Mediziner für diese Aufgabe zu begeistern, ist folglich Einfallsreichtum gefragt. Während Bund und Länder mit der Landarzt-Quote versuchen gegenzusteuern, suchen kommunale Gesundheitskonferenzen seit Jahren nach eigenen Wegen. Seit Februar berät das Gesundheitsamt Kommunen zur Verbesserung von Rahmenbedingungen. Die Idee, eigene Stipendien zu vergeben, ist nicht neu. Etliche Landkreise versuchen Studierende auf diese Art an sich zu binden und verknüpfen die Förderung mit einer anschließenden Niederlassungspflicht. Im Kreis Esslingen geht man nun einen anderen Weg. Statt der Zusage, eine Praxis hier im Kreis zu übernehmen oder neu zu eröffnen, verpflichten sich die Stipendiaten, ihre mehrjährige Weiterbildung bis zur Approbation hier im Landkreis zu absolvieren. Dafür gibt es einen monatlichen Zuschuss von 500 Euro für die Dauer von vier Jahren. Maximal sechs Stipendien pro Jahr sind vorgesehen. Im Landratsamt setzt man dabei auf den „Klebe-Effekt“, der sich auf eine Erhebung der Kassenärztlichen Vereinigung im Land stützt. Demnach lassen sich 80 Prozent der Allgemeinmediziner nach Abschluss ihrer Weiterbildung im Umkreis von 25 Kilometern ihrer letzten Weiterbildungsstätte nieder. Weniger Fesseln also, stattdessen mehr Vertrauen in wirksame Bindungen während der Ausbildung in Kliniken und Praxen.
Zu diesem Zweck gründet der Landkreis einen Weiterbildungsverbund, an dem neben der Kreisärzteschaft und den Kreiskliniken auch die Uniklinik Tübingen und die Kassenärztliche Vereinigung beteiligt sind. Die Gründungsversammlung ist bereits für Dienstag kommender Woche in den Räumen des Gesundheitsamtes in Plochingen geplant. Die kreiseigene Gesundheitsbehörde übernimmt die Betreuung der Stipendiaten. Nach einer vierjährigen Einstiegsfinanzierung rechnet die Verwaltung ab 2029 mit jährlichen Kosten von 144.000 Euro. Gut angelegtes Geld, wie Christina Werstein, Leiterin des Gesundheitsdezernats im Landratsamt, findet. Die Hoffnung: Auf diese Weise könnten binnen acht Jahren 24 zusätzliche Stellen in der ärztlichen Weiterbildung im Kreis besetzt werden. Aktuell befinden sich hier 34 Studierende in der Ausbildung. Die Frage, was davon am Ende wird hängen bleiben: offen.
Breite Unterstützung, aber auch Skepsis kommt vonseiten der Politik. „Es ist eine gute Chance, mehr aber auch nicht“, hielt Grünen-Sprecherin Margarete Schick-Häberle im Sozialausschuss des Kreistags am Donnerstag fest. Auch für Joachim Dinkelacker (Freie Wähler) ist klar, dass es in Bund und Land mehr Anstrengungen braucht, um dem Hausärztemangel zu begegnen: Mehr Studienplätze, attraktivere Arbeitsbedingungen und die Abschaffung der Budgetierung. Für den Kreisrat und Berliner CDU-Abgeordneten Markus Grübel lohnt sich jeder Versuch, die Versorgungsnot zu bekämpfen. Man müsse bei den Maßnahmen eben mit Schrot schießen, zog Grübel den Vergleich. Der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Kenner dagegen äußerte Zweifel an der Wirksamkeit der Bemessungsmethode der Kassenärztlichen Vereinigung. Die ist dafür zuständig, dass eine ausreichende Versorgung mit Arztpraxen in der Fläche gewährleistet ist. „Laut dieser Statistik gibt es im Kreis Esslingen überhaupt keinen Mangel“, stellte der Kirchheimer fest. Es gebe zurzeit mehr Mediziner mit abgeschlossenem Studium als je zuvor. „Die arbeiten halt nicht mehr wie früher der Dorfarzt mit Zwölf-Stunden-Arbeitstag“, meinte Kenner. „Das muss man sich klarmachen.“
Auch Psychiater fehlen
Die psychiatrische Versorgung gilt länger schon als Problem im Kreis Esslingen. Zwar gibt es ein enges Netz an Hilfsangeboten und Beratungsstellen, bei niedergelassenen Fachärzten herrscht jedoch ein gravierender Mangel. Vor allem in der Kinder- und Jugendpsychiatrie, wo der Bedarf seit Jahren stetig wächst, müssen Patienten weite Wege und teils monatelange Wartezeiten in Kauf nehmen.
Ein Vorschlag seitens der Politik ist deshalb, die Unterstützung durch Stipendien auch angehenden Fachärztinnen und Fachärzten anzubieten. Nach Auffassung von Carsten Wagner, Kreisrat der Freien Wähler, zeichnet die Statistik kein scharfes Bild. „Wo immer ein Psychiater in Ruhestand geht, folgt ein Neurologe nach“, meint der Apotheker aus Plattenhardt. Damit herrsche statistisch gesehen zwar kein Mangel in diesem Fachbereich. Die Versorgungsqualität für Patienten, die einer psychiatrischen Versorgung bedürften, leide aber darunter. bk