Ohne Zweifel, Albrecht Esche ist beeindruckt von den beiden Blumhardts, vom Wirken des Vaters Johann Christoph und des Sohns Christoph. Der pensionierte Pfarrer führte bei einer stadtgeschichtlichen Erkundung auf Einladung von Stadtarchiv, Museen sowie Geschichts- und Altertumsverein Göppingen, zu den Wirkungsstätten der Blumhardts in Bad Boll. Vom Nieselregen ließen sich die Geschichtsinteressierten nicht beeindrucken. Vielmehr ließen sie sich von der Begeisterung und Bewunderung des Referenten für seine Protagonisten anstecken. Denn tatsächlich waren sowohl der Vater als auch der Sohn herausragende Theologen, die mit ihrer Arbeit im Widerspruch zum jeweiligen Zeitgeist standen und sich nicht beirren ließen.
Kritische Töne blieben in der heutigen Reha-Klinik in Bad Boll und ihrer Umgebung nicht aus. Vater und Sohn waren von der Landeskirche gemaßregelt worden. Der Jüngere musste gar seinen Dienst als Pfarrer quittieren. Zwar hat die Württembergische Landeskirche jetzt zu seinem 100. Todestag einen Kranz vor dem Grab von Christoph Blumhardt niedergelegt. „Offiziell rehabilitiert ist er aber noch nicht“, so Esche.
„Sie verstehen Christoph Blumhardt nur, wenn Sie um seinen Vater wissen“, betonte er im Festsaal des Kurhauses. Der war geprägt von „elastischem Gehorsam“. Als ihm nämlich die Kirchenoberen untersagt hatten zu heilen, weil sich die Ärzteschaft beschwert hatte, bewarb er sich weg - ohne Erfolg. Der König wollte den außergewöhnlichen Theologen aber in Württemberg halten und bot ihm den defizitären Kurbetrieb in Bad Boll an. Es lässt sich erahnen, welche Ausstrahlung Blumhardt besaß. Denn er fand schnell Finanziers, die ihm den größten Teil des Kaufpreises schenkten, für den Rest standen Bürgen ein.
Boll wurde zum Magneten
1852 kam Johann Christoph Blumhardt nach Boll, das eine ungeheure Anziehungskraft entwickelte. Dabei praktizierte er kein spektakuläres Heilsmanagement, wie Albrecht Esche versicherte: „Seine Magie war sein Glauben.“ Als kluger Therapeut aktivierte er vor allem die Selbstheilungskräfte der Menschen, die aus dem ganzen Reich nach Bad Boll als dem „Reich Gottes“ pilgerten. Die Namen auf den Gräbern des Blumhardt-Friedhofs lesen sich deshalb auch wie das Who‘s who der damaligen Adelswelt.
In der Wandelhalle erfuhren die aufmerksamen Zuhörer, dass Christoph Blumhardt ganz gezielt zum Nachfolger seines Vaters aufgebaut worden war. „Er entwickelte Ansätze einer theologischen Ökologie“, so Albrecht Esche. Der Theologe wurde zum Pazifist, der sich die Schlagworte der Sozialdemokratie zu eigen machte: Friede, Gerechtigkeit, Solidarität. Seine Ausführungen zum Umgang mit der Natur, zum Mammonismus und zum Kapitalismus klingen erschreckend aktuell und machen deutlich, dass die Probleme zu Beginn des 21. Jahrhunderts nicht gelöst sind.
Als wahrer Ketzer erwies sich Christoph Blumhardt, als er die christliche Mission als imperialistisch, als kolonialistisch geißelte. Entscheidend war für ihn, „wie einer lebt, nicht was einer glaubt“. Mit dieser Ansicht fand er in „seiner“ Kirche keine Heimat mehr und trat der SPD bei. Aber auch dort tat er sich mit seiner radikalen Sozialpolitik schwer. Er reiste nach Palästina, kam krank zurück, zog mit der Diakonissin Anna von Sprewitz nach Jebenhausen und gründete dort eine Stiftung. Mit seinem Schwiegersohn Richard Wilhelm „sprengte der Geist von Bad Boll Grenzen und strahlte weltweit aus“.